Bis heute ist es in den meisten Gesellschaften Brauch, dass bei einer Hochzeit die eine Familie der anderen etwas gibt, Geld oder einen Vermögenswert. Weltweit am stärksten verbreitet ist der Brautpreis: Die Familie des Bräutigams muss der Familie der Braut etwas zahlen. In der westlichen Welt wissen viele Menschen gar nicht, wie verbreitet diese Praxis selbst im 21. Jahrhundert noch ist, etwa in Afrika oder im Nahen Osten.
Wo der Brautpreis nicht üblich ist, ist man sich oft nicht bewusst, welche ernsten und belastenden Probleme diese Praxis für viele junge Männer schafft. In patrilinearen Gesellschaften, in denen etwa die Vererbung von Besitz über die männlichen Familienmitglieder läuft, ist der Status eines Mannes eng an die Ehe gebunden. Die Hochzeit markiert in diesen Gesellschaften nicht nur den Eintritt ins Mannesalter, sondern erst damit wird der Mann auch zum weiteren Glied in der vaterrechtlichen Erbfolge. In solchen Kulturen stehen Männer deshalb unter erheblichem Druck, zu heiraten.
Ohne Vermögen jedoch keine Heirat. Für junge Männer ist der Brautpreis eine Art universelle Einheitssteuer. Es gibt einen für alle gültigen „Marktpreis“ für Bräute, von dem nur in den obersten Gesellschaftsschichten abgewichen wird: Sehr reiche Leute müssen mehr zahlen als alle anderen. Da fast alle Familien Töchter und Söhne haben, sind sie sowohl Empfänger als auch Geber des Brautpreises. Der Einheitspreis soll helfen, einen vorhersehbaren Markt zu schaffen. Trotzdem hat die Praxis eine Menge schädlicher Folgen.
Vor allem gefährdet der Brautpreis die Menschenrechte, den Status und die Sicherheit von Frauen. Um ihre Söhne zu verheiraten, müssen die Familien zunächst ihre Töchter verheiraten, um genug Geld für den Brautpreis zu erhalten. Das bedeutet, dass Mädchen normalerweise viel jünger verheiratet werden als ihre Brüder. Die Kinderehe ist in diesen Gesellschaften weit verbreitet.
Die Kosten einer Heirat können innerhalb weniger Jahre um ein Hundertfaches wachsen
Kinderehen sind eine Form des Missbrauchs. Aber auch eine erwachsene Braut wird als gekaufte Ware angesehen mit der Folge, dass sie im Haushalt der Familie des Bräutigams häufig ausgebeutet oder körperlich, sexuell und psychisch misshandelt wird. Gesellschaften, in denen der Brautpreis üblich ist, sind oft durchzogen von einer allgemein abwertenden und missachtenden Haltung gegenüber Frauen, die zur Folge hat, dass nicht in ihr Leben investiert wird. Häufig dürfen sich Ehefrauen nur dann von ihren gewalttätigen Männern scheiden lassen, wenn sie den vollen Brautpreis zurückzahlen können, der den Ehevertrag festgeschrieben hat. Der Brautpreis wird jedoch normalerweise an den Brautvater gezahlt, der das Vermögen bis dahin meist für sich oder seine Söhne ausgegeben hat.
Die herzzerreißenden Folgen für die Frauen sind aber nicht das ganze Problem: Die Praxis des Brautpreises hat auch Folgen für die jungen Männer. Der Brautpreis kann zeitweise stark steigen, so dass die Kosten einer Heirat innerhalb weniger Jahre um ein Hundertfaches wachsen. Die Folge solcher Brautpreisinflation ist, dass Männer entweder sehr spät heiraten oder die Heirat für sie einfach unbezahlbar wird.
Berichte über durchschnittliche Brautpreise aus unterschiedlichen Ländern wie Afghanistan, Südsudan oder Nigeria zu verschiedenen Zeiten zeigen, dass die Belastung das Zwölf- bis Zwanzigfache des Besitzes an Nutztieren wie Kühen oder Ziegen oder das Zwei- bis Vierfache des Haushaltseinkommens einer Familie beträgt. Andere Studien zeigen, dass das durchschnittliche Heiratsalter der Männer gestiegen ist: Ägypter heiraten im Schnitt mit 32 Jahren, Saudi-Araber mit 29 Jahren und Iraner mit 28 Jahren. Die angespannte Lage auf dem Heiratsmarkt wird zusätzlich durch die Polygamie verschärft.
Militante Gruppen nutzen die Verzweiflung der Männer
Eine weitere Folge ist, dass sich junge Männer militanten Gruppen anschließen. Der pauschale und steigende Brautpreis setzt arme junge Männer, die heiraten wollen, enorm unter Druck. Sie sind möglicherweise nicht in der Lage, das Geld aufzubringen, ohne zu verzweifelten Maßnahmen zu greifen. Solche jungen Männer greifen aber nicht zu den Waffen, um gegen die Institution des Brautpreises zu rebellieren. Vielmehr beteiligen sie sich an Gewalt, um im patrilinearen System erfolgreicher zu werden.
In Ländern wie Kenia oder Äthiopien etwa ist der Brautpreis Anlass für Viehdiebstähle, die häufig Konflikte zwischen Hirtengruppen auslösen. Schon vor einigen Jahren nannten US-Diplomaten laut von Wikileaks veröffentlichten Informationen die späte Ehe als Quelle der Unzufriedenheit in Libyen. Ohne die Dynamik des Brautpreises zu berücksichtigen, sind Erklärungen, warum Gesellschaften, die den Brautpreis praktizieren, instabil sind, beklagenswert unvollständig. Arbeitslos zu sein, ist nie gut. Aber arbeitslos zu sein in einer Gesellschaft, in der nur als Mann zählt, der heiratet, und in der dafür beachtliche Finanzmittel benötigt werden – das verschärft Ärger und Verzweiflung.
Militante Gruppen, die neue Rekruten brauchen, können diese Verzweiflung zu ihrem Vorteil nutzen. Es ist interessant zu sehen, wie unverblümt solche Gruppen seit jeher junge Männer rekrutieren, indem sie ihnen den Weg in die Ehe ermöglichen: Die Beispiele reichen von der Palästinensischen Befreiungsorganisation in den 1970er Jahren bis heute zur Hamas, der libanesischen Hisbollah, dem sogenannten Islamischen Staat, zu Boko Haram und zu Milizen im Südsudan.
Autorin
Valerie M. Hudson
ist Professorin an der Texas A&M University und leitet dort das Programm zu Frauen, Frieden und Sicherheit der Bush School of Government and Public Service.Wissenschaftler auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik und der Friedensforschung müssen anfangen, die erforderlichen Informationen zu sammeln, um diese Faktoren in ihre Analysen einzubeziehen. Sie müssen die gängigen Sicherheitskonzepte darauf überprüfen, inwiefern sie das Verhältnis zwischen den Geschlechtern berücksichtigen. Angesichts der Rolle, die die Brautpreisinflation bei Missständen, Gewaltkonflikten, Überfällen und sogar Aufständen spielt, kommen Sicherheitsfachleute nicht umhin, Schwankungen auf dem Heiratsmarkt zu beobachten. Bislang geschieht das nicht, und das muss sich ändern.
Aus dem Englischen von Johanna Greuter.
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