Müllberge, Flucht und Politik

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Deutsche Städte sollen Kommunen im Nahen Osten unterstützen, den Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien zu bewältigen. Die Initiative der deutschen Entwicklungspolitik stößt aber auf politische Hindernisse.

Seit Beginn des Krieges in Syrien im Jahr 2011 sind mehr als fünf Millionen Syrer aus dem Land geflohen. Die meisten, etwa 90 Prozent, haben in einem der Nachbarländer Jordanien, Türkei und Libanon Zuflucht gefunden. In der Regel leben sie nicht in speziellen Auffanglagern, sondern schätzungsweise vier Fünftel in Städten und Gemeinden mitten unter der Bevölkerung. Sie alle brauchen Wohnungen, Jobs und einen Arzt, wenn sie krank sind. Sie verbrauchen Wasser und Strom und produzieren Abfall. Ihre Kinder besuchen die Schule und in ihrer Freizeit wollen auch syrische Familien die wenigen Grünflächen nutzen.

All das belastet die Infrastruktur der Kommunen in den Aufnahmeländern. Das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) hat daher im Herbst 2016 die Initiative „Kommunales Know-how für Nahost“ ins Leben gerufen. Fachleute aus deutschen Kommunen hätten notwendige Expertise, um zu helfen, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller bei der Vorstellung der Initiative im Oktober 2016 in München. Damit sollen sie zur Stabilisierung der Region beitragen und Fluchtursachen im Nahen Osten bekämpfen. Dahinter steckt auch die Idee, dass es besser ist, wenn Geflüchtete in der Region bleiben und nicht nach Europa kommen.

Das klingt sinnvoll, braucht aber einen langen Atem. In der Region stößt die Initiative auf politische Hürden. Und bei den deutschen Kommunen erwacht das Interesse erst langsam. Die Initiative läuft bis Ende 2018 und soll bis 2021 verlängert werden. Mit der Umsetzung beauftragt sind die Städteplattform Connective Cities und die Servicestelle Kommune in der Einen Welt (SKEW). Connective Cities bringt Fachleute aus Verwaltung und kommunalen Betrieben etwa mit Dialogworkshops oder Informationsreisen zusammen und vermittelt Fachleute aus Deutschland in die Region.

Mann müss bei null beginnen

Die SKEW ist für das Herzstück des Projekts verantwortlich: Sie berät deutsche Kommunen bei der Anbahnung und Gestaltung von Projektpartnerschaften in den drei Ländern. Hierfür hat das BMZ bis Ende 2017 rund 580.000 Euro und für 2018 dann 1,45 Millionen Euro bereitgestellt. Bisher halten sich deutsche Kommunen noch zurück. Bislang laufen zwei Müllprojekte mit Kommunen in Jordanien und ein Ausbildungsprojekt mit einer türkischen Kommune. Außerdem hat eine Handvoll deutscher Städte das Know-how ihrer Mitarbeiter oder kommunalen Betriebe angeboten und Projekte zur Förderung eingereicht, über die noch entschieden werden muss. „In Jordanien und im Libanon gab es bisher gar keine kommunalen Partnerschaften“, sagt Kurt-Michael Baudach von der Servicestelle als Erklärung für die Verzögerung. Man müsse bei null beginnen und brauche entsprechend Zeit.

Von Anfang an hat sich gezeigt, wie schwierig die politischen Rahmenbedingungen sind. Gleich die erste geplante Zusammenarbeit musste abgesagt werden: München musste den Plan, in der Stadt Mardin im türkisch-syrischen Grenzgebiet berufliche Bildung für junge Flüchtlinge zu unterstützten, aufgeben, Zusammenarbeit mit ihnen ist momentan schwierig. Nach der türkischen Invasion in Nordsyrien seit Februar 2018 hat sich die Lage teilweise noch verschärft.

Das trifft auch die im Sommer 2017 gut angelaufene Zusammenarbeit von Mannheim mit Kilis. Die Stadt liegt in der Region Südostanatolien und hatte vor dem Syrienkrieg etwas mehr als 100.000 Einwohner; heute hat sich ihre Zahl etwa verdoppelt. Es leben mehr Syrer als Türken in Kilis. Die Stadt liegt auf der Route von Aleppo in die Türkei, nur zehn Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Der Krieg im Nachbarland ist hier direkt spürbar, auch wenn das Verhältnis von Arabern, Türken und Kurden als gut gilt.Mannheim konnte den Kontakt über Bürger türkischer Herkunft knüpfen: Der Verein „Arbeitskreis Islamischer Gemeinden Mannheims“ (AKIG) hatte die Idee für ein Projekt, die Stadt Mannheim zog mit. Kilis und Mannheim arbeiten jetzt bei der Integration syrischer Frauen zusammen.

Geplant ist ein Begegnungs- und Ausbildungszentrum, in dem sich rund 700 syrische Frauen zur Näherin, Friseurin oder Altenpflegerin ausbilden lassen können. Die türkischen Ausbilderinnen haben an einer Mannheimer Berufsschule eine Weiterbildung erhalten. Zunächst sollten die Trainer aus Mannheim zur weiteren Schulung nach Kilis fahren; das musste jedoch abgesagt werden, weil die Lage zu unsicher ist. Die Schulung wird nun in Mannheim stattfinden. Seit der türkischen Invasion in Syrien hat die syrische Kurdenmiliz YPG zur Vergeltung Kilis mit Raketen angegriffen. Talat Kamran von der AKIG in Mannheim ist aber überzeugt, dass das Projekt nicht in Gefahr ist. Durch die Bürgerkontakte nach Kilis kenne man sich mit der Situation gut aus und die Zusammenarbeit der beiden Stadtverwaltungen laufe reibungslos.

Der Fokus in der Zusammenarbeit liegt auf Müll

Die beiden Kooperationen mit Jordanien müssen ohne solche Bürgerkontakte auskommen; ihr Ziel ist reiner Know-how-Transfer. Jordanien hat laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) 650.000 registrierte Flüchtlinge aufgenommen, laut der jordanischen Regierung sind etwa1,3 Millionen Syrer im Land. Die Bevölkerung ist damit von rund sechs Millionen auf über sieben Millionen angewachsen. Gingen die jordanischen Behörden in den ersten Jahren der Syrienkrise noch davon aus, dass die Nachbarn nur kurzzeitig bleiben, rechnen sie heute nicht mit ihrer baldigen Rückkehr. Syrer leben überwiegend im Großraum Amman, in der Stadt Zarqa oder in den nördlichen Provinzen an der Grenze zu Syrien. In dortigen Gemeinden leben teils mehr Syrer als Jordanier.

Ein großes Problem stellt die Versorgung mit Trinkwasser dar, denn Jordanien – eines der wasserärmsten Länder der Welt – verbraucht Jahr für Jahr mehr Grundwasser, als sich durch Niederschlag erneuert. Auch „Energieverbrauch, kommunale Dienstleistungen wie Abfallmanagement, Abwasserreinigung und öffentlicher Transport sind große Anforderungen“, sagt der jordanische Stadtplaner Iman Zaki.

Der Fokus in der Zusammenarbeit liegt auf Müll. Durch die jüngste Flüchtlingskrise sind die Müllberge bedrohlich gewachsen. Rund zwei Millionen Tonnen städtischer Abfall jährlich fielen schon 2015 in Jordanien an; der Müll wird in der Regel auf Halden und Deponien abgeladen. Problemstoffe wie etwa Motoröl sickern ungefiltert ins Erdreich und verseuchen das Grundwasser und die Böden. Das Abfallmanagement in Jordanien steht noch ganz am Anfang. Lange hat es in Jordanien die Zentralregierung in Amman organisiert. Als Teil einer vorsichtigen Dezentralisierung 2015 sollen die Kommunen diese Dienstleistung selbst übernehmen. Im August 2017 fanden die ersten Wahlen von Bürgermeistern und Stadträten statt. Die Kommunen müssen sich in ihrer neuen Rolle noch zurechtfinden. Bisher dürfen sie etwa noch keine eigenen Steuern und Gebühren erheben und haben daher nur wenig Gestaltungsspielraum.

Köln und Jena haben hier Unterstützung angeboten. Die Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln unterstützt die Kommune Wasatiyyah, eine Kleinstadt mit rund 20.000 Einwohnern im Bezirk Irbid nahe der syrischen Grenze, ihr Abfallmanagement zu verbessern. Ziel der Zusammenarbeit ist zunächst, das bestehende System zu stärken, etwa durch bessere Organisation und Müllautos mit besseren Müllbehältern und schnelleren Kippvorrichtungen. Dadurch soll nicht so viel von den Müllautos herunterfallen und die Kommune soll Kosten sparen. Den Müll zu sortieren, ist nicht geplant.

Anders beim Projekt der Stadt Jena mit Deir Alla, einer Stadt im Jordantal mit etwa 65.000 Einwohnern. Hier ist die Trennung von Hausmüll das Ziel. Ende 2017 hat der Kommunalbetrieb Jena die Stadt bei einer Hausmüllanalyse beraten.

Noch keine Partnerschaften im Libanon

20 Haushalte wurden ausführlich analysiert, bei der Befragung waren auch Syrer eingebunden. Ziel ist es, Biomüll von Abfällen wie Papier und Metall zu trennen, die dann recycelt werden können. Der Biomüll kann dann kompostiert werden. Eine Vergärung, mit der sich Energie gewinnen lässt, wäre ideal, ist aber momentan nur ein langfristiges Ziel.

Autorin

Claudia Mende

ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de
Im Libanon haben die Städte und Gemeinden zwar eine längere Tradition der Eigenständigkeit, aber über Finanzen entscheidet die Zentralregierung –auch wenn eine Kommune im Rahmen eines Partnerschaftsprojekts Unterstützung aus dem Ausland erhält. Das kleine Land mit rund 4,5 Millionen Einwohnern hat etwa 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen, die für libanesische Gemeinden eine extreme Belastung darstellen. Bis jetzt gibt es noch keine Projektpartnerschaften deutscher Kommunen mit dem Libanon, aber fünf Städte aus dem ländlichen Westallgäu haben im November 2017 eine Sondierungsreise in das Land unternommen und sind entschlossen, dort zu helfen. Vor allem kleinere Orte an der Grenze zu Syrien sind dringend auf Unterstützung angewiesen.

André Sleiman von der Organisation „Democracy Reporting International“ in Beirut sieht den Umgang mit Müll als ein Hauptproblem im Libanon. Sleiman soll im Auftrag der SKEW deutsche Kommunen bei ihrer Partnerschaftsarbeit im Libanon beraten. Im Jahr 2015 gab es im Libanon eine Müllkrise, als die größte Deponie des Landes von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde. Die Regierung konnte sich auf keine Stelle für eine neue Deponie einigen. Daher türmte sich der Müll wochenlang in den Straßen der Hauptstadt Beirut. Tausende demonstrierten damals unter dem Motto „Ihr stinkt“ gegen die politische Klasse des Landes. „Das Müllproblem ist kein technisches, sondern ein politisches“, sagt Sleiman. Probleme mit Ineffizienz, Klientelwirtschaft und Missmanagement sind hier gravierender als in Jordanien.

Damit können aber nur die Libanesen selbst aufräumen. Hier liegen die Grenzen der Kommunalen Initiative Nahost. Eine Zusammenarbeit auf lokaler Ebene ist sinnvoll, aber die größten Probleme der Region sind politischer Art. Wo Institutionen schwach und die politischen Spielräume eng sind, wird es für die Nahostinitiative schwierig. Wenn es gut läuft, kann aber die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene Chancen eröffnen wie etwa in Kilis. Ein wenig Bürgerbeteiligung oder Ansätze zur Einbindung der Zivilgesellschaft in den Kommunen wären schon viel in der Region.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2018: Globale Politik von unten
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