Wir Menschen schwarzer Hautfarbe stehen wieder im Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit. Aufgrund der tödlichen Polizeigewalt in den USA wird wieder gebührend gegen Ungleichheit, Rassismus, Diskriminierung, rassistische Strafverfolgung und Hass protestiert. Und wieder einmal haben dabei die schwarzen kulturellen Eliten in Amerika die Bühnen und Rednerpulte erobert, um dort – meist zu Recht – ihrem Ärger Luft machen. Doch über den Hauptgrund, warum Schwarze immer wieder Rassismus erfahren, wird kaum gesprochen: die weltweite Entwürdigung schwarzer Menschen.
Rassismus gibt es nicht nur in den Vereinigten Staaten. Es gibt keine nicht schwarze Nation, in der wir mit Achtung behandelt werden. Die Geschichte hat uns mit dem Eindringen von Fremden in unsere Länder einen unerbittlichen Schicksalsschlag verpasst. Erst kamen die Araber. Sie versklavten Stämme und Völker, kolonisierten und missionierten sie. Dann kamen die Europäer. Sie waren überzeugt, Afrikaner seien eine minderwertige Rasse, und teilten den afrikanischen Kontinent 1884 auf der Afrikakonferenz in Berlin beim Mittagessen unter sich auf. Einen großen Teil der Bevölkerung verschifften sie, ganze Dörfer blieben verlassen zurück. Diejenigen, die blieben, unterwarfen sie ihrer Herrschaft.
Der Kontinent wurde vollständig umgekrempelt, so dass nicht einer einzigen schwarzen Nation ihre überlieferte Identität, ihre Sprache oder ihr kulturelles Erbe blieb. Und heute heißt es oft, China und Indien eroberten Afrika wirtschaftlich. Es gibt fast keine nicht schwarze Nation, die unserem Kontinent nicht ins Gesicht gespuckt hat, früher oder später.
Die meisten afrikanischen Staaten sind gescheitert
Sicher ist: Die Demütigung geht weiter. Schwarze Eliten und Aktivisten auf der ganzen Welt haben eine Kultur der verbalen Tyrannei übernommen: Sie unterbinden jeden Versuch, schwarze Menschen und von Schwarzen geführte Staaten zu kritisieren, indem sie das als „Rassismus“ oder „Hassrede“ abstempeln. Deshalb werden Vorschläge, die wir gut brauchen könnten, gar nicht mehr vorgebracht – und schon gar nicht von den mittlerweile verschreckten Leuten anderer Hautfarbe. Und wer von uns Schwarzen derartige Kritik äußert, wird wie US-Präsident Barack Obama als schwach und anbiedernd diffamiert.
So spricht niemand die bittere Wahrheit aus: Die meisten afrikanischen und karibischen Staaten sind gescheitert oder stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Frühe afroamerikanische Intellektuelle erkannten, dass sie nicht weiterkommen, indem sie endlos für „Gleichheit“ oder „Gerechtigkeit“ auf die Straße gehen. Stattdessen muss unsere niedergetrampelte Würde wieder hergestellt werden. Ein Mann, der in einer Hütte lebt, kann nicht erwarten, dass die Bewohner des Palastes ihn mit Respekt behandeln. Bürgerrechtler wie Marcus Garvey, W. E. B. Du Bois und Malcolm X wussten, dass ein Volk nur dann respektiert wird, wenn es einen Staat bildet, der Respekt verdient – einen Staat mit einem vorzeigbaren Entwicklungs- und Wohlstandsniveau, der als Anwalt für die schwarze Bevölkerung weltweit eintreten kann.
Doch einen solchen Staat gibt es nicht. Nigeria, das bevölkerungsreichste schwarze Land auf der Erde, steht am Rande des Zusammenbruchs. Die Mechanismen, die einen Staat am Laufen halten oder ihn gar erfolgreich machen, sind alle defekt. Man könnte argumentieren, dieses Scheitern sei bereits in der Kreation der Nation durch selbstsüchtige weiße Imperialisten angelegt gewesen. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Unfähigkeit, Korruption, Ungeschick sowie zerstörerischer Egoismus und Gier haben eine große Rolle für den Zerfall gespielt. Das gleiche kann man leider über die meisten afrikanischen Länder sagen. Simbabwe, Kamerun und Äquatorialguinea sind Karikaturen von Demokratien, regiert von Männern, die nur ihre eigenen Interessen und die ihrer Verbündeten verfolgen.
Wie Hunde behandelt
Es ist kein Wunder, dass ohne gesunde schwarze Nation und inmitten von Chaos, sinnloser Gewalt und wirtschaftlichem Zusammenbruch viele Menschen aus Afrika und der Karibik ihre Heimat verlassen. Sie betteln auf den Straßen von Griechenland oder prostituieren sich in den Rotlichtvierteln der Niederlande und füllen die Boote auf dem Mittelmeer mit Ziel Europa. Wenn sie dort ankommen – hilflos, unerwünscht, halb verhungert oder verstümmelt –, werden sie wie Hunde behandelt. In Italien wurde im Juli ein frisch verheirateter Nigerianer ermordet, einfach weil er dort unerwünscht war. Von der Ukraine bis Indien, fast jeden Tag sehen wir die Entwürdigung und die Hilflosigkeit von Schwarzen. Und wir tun nicht mehr, als „Rassismus!“ schreien und um das Wohlwollen der anderen buhlen.
Bei den Yoruba, einem Volk in Nigeria, gibt es ein Sprichwort: „Eniyan bi aparo ni omo araye n’fe”, auf Deutsch: Die Welt liebt Menschen, die wie ein Rebhuhn sind. Rebhühner sind hilflose Vögel, sie können nicht jagen und sich kaum selbst schützen. Die Yoruba glauben, die Welt liebt diese Vögel, weil sie es den Menschen erlauben, sowohl ehrliches als auch falsches Mitgefühl für sie zu entwickeln und ihnen immer überlegen zu bleiben. Mit anderen Worten: Das Rebhuhn ist auf das Mitgefühl der anderen angewiesen und wird daher in seiner unterlegenen Position stecken bleiben.
Autor
Chigozie Obioma
ist nigerianischer Schrifststeller.So ist das Ende der institutionalisierten Rassentrennung in den USA zum Teil eine Folge der Unabhängigkeitsbewegungen in Afrika. Die US-amerikanischen Schwarzen wurden gestärkt, als afrikanische Staaten unabhängig wurden, angefangen mit Ghana im Jahr 1957. Jaja Nwachukwu war in den 1960er Jahren Außenminister von Nigeria, bekennender Pan-Afrikanist und eng befreundet mit den US-Präsidenten Dwight Eisenhower und Lyndon Johnson. Nwachukwu erinnerte einmal daran, wie peinlich berührt amerikanische Diplomaten waren, wenn afrikanische Minister das UN-Hauptquartier in New York besuchten oder dort würdevoll als Vertreter souveräner Staaten behandelt wurden. Es war ihnen unangenehm, dass Afro-Amerikaner nicht das gleiche Bad wie die angereisten Afrikaner benutzen konnten.
Solange wir weiter ignorieren, dass Afrika im Sumpf sinnloser Armut und zerstörerischem Versagen steckt, solange die Kongolesen oder die Haitianer der Inbegriff für Armut und Mangel bleiben, solange werden wir ohne Würde bleiben. Wenn wir in Würde leben wollen, müssen wir eine selbstkritische Haltung einnehmen. Davon hängt unser Überleben ab.
Aus dem Englischen von Hanna Pütz.
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