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Wenn die Erderwärmung begrenzt werden soll, muss die Kohle- und Ölwirtschaft schrumpfen. Für ihre Anteils­eigner würde das große Verluste bedeuten. Gibt es dafür schon erste Anzeichen?

Wer Anteile an RWE besitzt, hat daran kaum noch Freude. Das frühere Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk hat im März beschlossen, seinen Aktionären für 2015 keine Dividende zu zahlen. Und wer Anteile verkaufen will, muss sich auf Verluste einstellen: Die RWE-Aktie, die 2008 noch über hundert Euro kostete, wird zu Preisen um gut zwölf Euro gehandelt.

Ein Grund ist die deutsche Energiewende. Der Strom, den RWE selbst produziert, stammt überwiegend aus fossilen Energieträgern: über ein Drittel aus Braunkohle, knapp ein Viertel aus Steinkohle, knapp ein Fünftel aus Erdgas. Nur fünf Prozent kamen 2014 aus Erneuerbaren Energien. Die aber werden in Deutschland aus Gründen des Klimaschutzes auf dem Strommarkt bevorzugt. Das ist nicht der einzige Grund für die Probleme von RWE; auch zum Beispiel der Ausstieg aus der Atomkraft belastet das Geschäft. Doch klar ist: Wenn die Treibhausgas-Emissionen der deutschen Stromerzeugung von 2014 bis 2030 grob halbiert werden sollen – dies sieht der jüngste Klimaschutzplan der Bundesregierung vor –, lässt sich mit der Kohleverstromung kaum noch Geld verdienen.

Das scheint eine These von Klimaschützern zu bestätigen: Öl-, Gas- und Kohlelager verlören an Wert und ebenso Firmen, die fossile Energie erzeugen oder an ihrer Nutzung verdienen. Denn man müsse einen Teil der Kohle- und Ölreserven im Boden lassen, um den Klimawandel zu begrenzen.

Teersand muss tabu bleiben

Das letztere ist aus Sicht der Klimaforschung klar: Weil Kohlendioxid (CO2) sich über Jahrhunderte in der Atmosphäre ansammelt, kann die Erd­erwärmung nur begrenzt werden, wenn man die Gesamtmenge der CO2-Emissionen langfristig deckelt. Wie stark, hängt davon ab, welches Klima-Risiko man hinnehmen will. Um mit nur 50 Prozent Wahrscheinlichkeit unter dem Zwei-Grad-Limit zu bleiben, dürften noch rund 1000 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) CO2 emittiert werden. Allein die Nutzung jener Öl-, Gas- und Kohlevorräte, die heute wirtschaftlich rentabel gefördert werden können, wird aber etwa 2900 Gigatonnen freisetzen, haben die britischen Umweltökonomen Paul Ekins und Christopher McGlade 2015 ermittelt. Grob zwei Drittel davon müssten also im Boden bleiben. Nutzt man zuerst die Lager mit den geringsten Förderkosten, dann sind laut Ekins und McGlade vom Erdöl ein Drittel, von Erdgas die Hälfte und von Kohle vier Fünftel tabu – auch alle unkonventionellen Ölquellen wie Teersand und alle Lager in der Arktis.

Klima-Aktivisten fordern deshalb, kein Geld in Öl, Gas und Kohle anzulegen. „Wir finden es moralisch falsch, in fossile Energien zu investieren“, sagt Brett Fleishman, Senior Global Analyst bei der Klimaschutz-Bewegung 350.org. Doch nicht nur das: „Es ist auch finanziell schlechtes Investment.“ Denn wenn Reserven nicht verbrannt werden können, sind sie wertlos.

Das ließe auch den Wert vieler Energiefirmen einbrechen. Zwar gehören die meisten Kohle-, Öl- und Gasvorkommen, etwa in China, Indien und Venezuela, Staaten oder Staatsunternehmen. Aber die Renditen aus der Nutzung teilen sich stets Staaten und Unternehmen, erläutert Stefan Lechtenböhmer, der Leiter der Forschungsgruppe Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen am Wuppertal Institut: „Der Wert einer Firma beruht auf erwarteten Gewinnen aus der Nutzung dieser Ressourcen.“ Wenn Anleger von börsennotierten Firmen denken, die können daran nichts mehr verdienen, dann verkaufen sie ihre Anteile.

Weil das viele Unternehmen träfe, drohe ein Börsensturz, hat die britische Organisation „Carbon Tracker Initiative“ 2011 gewarnt. Eine Studie der Grünen im Europaparlament stützte 2013 diese Ansicht: Ölkonzerne wie British Petrol (BP) und Shell könnten, wenn man das Zwei-Grad-Ziel einhalten wolle, 30 bis 60 Prozent ihres Wertes verlieren und das Platzen dieser „Kohlenstoffblase“ eine Finanzkrise auslösen.Ist das bloß eine Phantasie von Klimaschützern? Ein solcher Wertverlust setzt ja voraus, dass Regierungen weltweit die Nutzung fossiler Brennstoffe rigoros beschränken. Zwar haben sich praktisch alle Staaten im Klimaabkommen von Paris dazu bekannt, die Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Kohlenstoff-neutral zu machen. Auf der Klimakonferenz in Marrakesch haben sie das gerade bestätigt. Aber ob alle das tun, ist fraglich.

Die Nachfrage nach Kohle ist gesunken

Zudem hängen die Geschäftsaussichten für Energiefirmen nicht nur von der Klimapolitik ab. Entscheidend sind die Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle sowie ihr Preis. Beide werden von vielen Faktoren beeinflusst, nicht zuletzt vom Wirtschaftswachstum und dem technischen Fortschritt. Auf all das wirken Regierungen aus vielen Gründen ein. Sie subventionieren zum Beispiel fossile oder auch erneuerbare Energien, um weniger von Energieimporten abhängig zu sein, Verbraucher zu entlasten oder Arbeitsplätze zu erhalten. Welche Gaspipelines oder Atomkraftwerke gebaut werden, wird von außenpolitischen Erwägungen und lokalen Protesten beeinflusst.

Prognosen zum Geschäft mit Kohle, Öl und Gas sind also mit vielen Unsicherheiten behaftet. Dennoch ist ein Trend weg von fossiler Energie erkennbar – vor allem in der Stromerzeugung, wo Kohle und Gas eingesetzt werden. „Klimaschutz spielt eine Rolle, aber beim Strom ist die Abkehr von den Fossilen ohnehin im Gang“, sagt Stefan Lechtenböhmer. Zum einen sei der Preis von Wind- und Sonnenstrom so gefallen, dass er in vielen Regionen die wirtschaftlichste Stromquelle sei. Zum anderen wolle insbesondere China wegen der Luftverschmutzung in den Städten von Kohle und Öl weg – und Peking möchte, „dass dann auch seine Konkurrenten ihre Industrie knebeln“, sagt Lechtenböhmer.

Jakob Peter vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln ist nicht ganz so optimistisch. „Der Anteil der Kohle am Welt-Energieverbrauch ist seit 2000 gestiegen“, betont er. Zwar lieferten neue Wind- und Solarkraftwerke in vielen Gegenden Elektrizität kostengünstiger als neue Kohlekraftwerke, nicht aber als bereits bestehende: „Für eine Stilllegung alter Meiler gibt es betriebswirtschaftlich oft noch keinen Anreiz, weil Umweltkosten nicht eingepreist werden.“ Kohle, sagt Peter, hat neben dem niedrigen Preis einen weiteren Vorteil: Die großen Verbraucherländer – am meisten verfeuert China mit weitem Abstand vor den USA und Indien – müssen sie nicht importieren, sie fördern sie zu Hause.

Die weltweite Nachfrage nach Kohle ist allerdings laut der Internationalen Energie-Agentur (IEA) 2015 erstmals gesunken. Der Hauptgrund ist, dass in China die Wirtschaft langsamer wächst und einen Strukturwandel weg von der Schwerindustrie durchläuft. Auch werden die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut, als die IEA lange für möglich gehalten hat. Allerdings ersetzen sie laut IEA nur in Europa, Amerika und Japan fossile Quellen; in Asien und Afrika ergänzen sie sie, es werden auch Kohle- und Gaskraftwerke gebaut.

Und bei Gebäudewärme, Industrieprozessen sowie im Verkehr, der zu mehr als 90 Prozent von Erdöl angetrieben wird, wächst der Anteil erneuerbarer Energie nur langsam. Lechtenböhmer hält einen Durchbruch bei Elektroautos für möglich, wo ein Wettlauf um die technologische Führerschaft im Gang sei. „Aber Laster, Flugzeuge und Schiffe werden noch lange vom Öl abhängen – es sei denn die Politik greift viel stärker ein“, sagt er. Peter sieht hier die technischen Alternativen zum Öl noch im Forschungsstadium; generell sei „Verkehr eher teuer zu dekarbonisieren“. Beide weisen zudem auf das grüne Paradox hin: Wenn die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen sinkt, fällt auch der Preis; Anbieter dürften versuchen, noch möglichst viel zu verschleudern.

Unabsehbare geopolitische Folgen

Dennoch: Selbst der Welt-Energierat (World Energy Council, WEC), ein internationales Netzwerk von Unternehmen, Regierungen und Fachleuten im Energiesektor, sagt der Öl- und Kohlewirtschaft schwere Zeiten voraus. Der WEC hat jüngst drei Szenarien vorgelegt, die sich in den Annahmen über die internationale Zusammenarbeit und das Wirtschaftswachstum unterscheiden. Danach wächst der globale Energieverbrauch in jedem Fall bis 2060, sinkt aber pro Kopf spätestens ab 2030. Und der Anteil von Erdöl und Kohle am Gesamtverbrauch nimmt zugunsten der Erneuerbaren mehr oder weniger dramatisch ab: In zwei Szenarien beginnt die Nachfrage nach Kohle vor 2020 zu sinken, die nach Öl um 2030. Nur im wirtschaftlich wie ökologisch ungünstigsten Szenario steigt der Verbrauch beider Brennstoffe weiter und sinkt erst später leicht. Laut WEC droht das nicht nur private Energiefirmen und ihre Förderanlagen und Kraftwerke zu entwerten, sondern auch die Öl- und Kohlelager von Staaten. Das könne unabsehbare geopolitische Folgen haben.

Gibt es schon Anzeichen für solche Wertverluste? Da ist Brett Fleishman von 350.org nicht sicher. Zwar musste Shell vor einem Jahr die Bohrungen in Alaska einstellen und seine Investitionen dort abschreiben, sagt er. Und die US-amerikanische Ölfirma Texaco hat im Oktober 4,6 Milliarden Fass nordamerikanische Erdöl-Reserven, überwiegend aus Teersand, aus der Vermögensbilanz streichen müssen. Doch beides „liegt nicht am Klimaschutz, sondern am niedrigen Ölpreis“, sagt Fleishman: Er mache die Förderung unrentabel. Verantwortlich für das Preistief sind das schwache Wachstum der Weltwirtschaft, und dass die Förderländer sich nicht einigen können, das Angebot zu drosseln.

Manche Investoren aber denken um. „Weitsichtige Aktionäre sehen Fossile zunehmend als riskant“, beobachtet Markus Dufner, der Geschäftsführer der deutschen kritischen Aktionäre. Die meisten, die dem Ruf nach Abzug ihrer Anlagen folgen, sind zwar Stiftungen, öffentliche Anleger wie Kommunen sowie amerikanische Universitäten; für sie sticht das moralische Argument. Aber auch langfristig orientierte Pensionsfonds und Versicherungen sehen Anlagen vor allem in Kohle oder Teersand als Finanzrisiko. So begründet zum Beispiel die deutsche Allianz-Versicherung, dass sie ihre Anteile an Kohleunternehmen nach und nach abstößt.

Die Konzerne setzen auf Geo-Engineering

Und wie reagieren betroffene Unternehmen? Manche suchen neue Geschäftsmodelle. So hat die RWE die Tochter Innogy gegründet, die mit erneuerbaren Energien Geld verdienen soll. Der Mutterkonzern wolle sich mit deren Gewinn sanieren, vermutet Dufner.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".
Einen „Rettungsanker“ sehen viele Energiefirmen in Carbon Capture and Storage (CCS), sagt Peter. Damit wird Kohlendioxid aus dem Abgas gefiltert und in der Erdkruste gespeichert; so könnte man Fossile nutzen und doch im CO2-Budget bleiben. Peter hält diese Erwartungen für überzogen: „Die Anlagen zu bauen und Speicherstätten im nötigen Ausmaß zu finden, dauert zu lange, wenn wir bis 2050 die Wirtschaft dekarbonisieren wollen. CCS kann höchstens ein Teil der Lösung sein.“

Brauchen wird man die Technik laut Lechtenböhmer wohl in Verbindung mit Biomasse; so kann man, wenn die Dekarbonisierung zu langsam geht, der Atmosphäre später wieder Kohlenstoff entziehen. Diese und andere Techniken, mit denen das Klima bei hohen Emissionen künstlich stabilisiert werden soll, werden als Geo-Engineering zusammengefasst. Und daran, so Experten des US-amerikanischen Carnegie Council, forschen große Energiekonzerne.

Bei ihnen erkennt Fleishman bisher kaum Umdenken: „Sie leugnen das Klimaproblem.“ Stattdessen finanzierten sie Lobbygruppen, um Klimaschutz-Maßnahmen zu verzögern und zu verwässern. Beim künftigen Präsidenten Donald Trump fänden sie ein offenes Ohr. „Er hat gesagt, dass er Ölbohrungen in der Arktis freigeben will. Als neuen Leiter der Umweltbehörde hat er einen Leugner des Klimawandels benannt“, sagt Fleishman. Nicht zufällig sind unmittelbar nach Trumps Wahlsieg die Aktien von Energiekonzernen gegen den Trend gestiegen. Auf welche Politik sich die Energiewirtschaft einstellen muss, scheint plötzlich wieder offen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2016: Energie für alle
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