Leuchtendes Beispiel im Wüstensand

Solarenergie
In Marokko entsteht das größte Solarkraftwerk der Welt. Die Leute vor Ort finden das gut.

Noor ist das arabische Wort für Licht. Ein guter Name für ein solarthermisches Kraftwerk hier im Südosten Marokkos, nahe der algerischen Grenze. Die Provinzhauptstadt Ouarzazate liegt auf knapp 1200 Metern Höhe zwischen den Gebirgsketten des Hohen Atlas und des Antiatlas. In der Nähe von Ouarzazate liegt der Stausee El Mansour Eddahbi. Er ist mit einer Ost-West-Ausdehnung von 20 Kilometern landesweit einer der größten und entlässt seine Wasser nach Südosten in das landschaftlich eindrucksvolle Draa-Tal. Der Fluss, der durch das Tal fließt, bewässert auf einer Strecke von knapp hundert Kilometern eine dichte Kette von Dattelpalmenoasen und kleinen Obstplantagen vor trutzig aufragenden Kasbah-Komplexen. Ouarzazate ist eine Drehscheibe für den Verkehr im Süden Marokkos und ein Touristenzentrum. Die Stadt ist außerdem ein beliebter Drehort von Filmen, die in der Wüste spielen, vor allem von Monumentalschinken wie „Lawrence von Arabien“, „Gladiator“ oder „Der Medicus“.

Auch für ein Solarkraftwerk ist die Gegend ideal: Die Sonne scheint mit wenigen Ausnahmen das ganze Jahr, und sie scheint besonders intensiv. Die Sonneneinstrahlung liegt bei über 2500 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr – einem der höchsten Werte weltweit. Im Februar 2016 eröffnete Marokkos Staatsoberhaupt, König Mohammed VI., etwa zehn Kilometer nordöstlich von Ouarzazate den ersten Block des solarthermischen Kraftwerks Noor, der eine Leistung von 160 Megawatt hat.

Bei der Solarthermie wird Sonnenenergie über Spiegelsysteme zunächst in Wärme umgewandelt, mit der über eine Turbine und einen Generator Strom produziert wird. Im Unterschied dazu wird bei der Photovoltaik das Sonnenlicht mittels Solarzellen direkt in elektrische Energie umgewandelt. Der Block hat zudem einen Speicher aus flüssigem Salz, in dem die Wärme drei Stunden lang zwischengelagert und zur Stromproduktion in den Abendstunden verwendet werden kann. Gekühlt wird das Kraftwerk mit Wasser aus dem nahe gelegenen Stausee.

Noor 1 erzeugt jährlich rund 370 Gigawattstunden Strom; damit können etwa 350.000 Menschen versorgt werden. Der Block ist das erste von insgesamt vier geplanten Solarkraftwerken in Ouarzazate. Bis 2020 soll der Solarpark eine Leistung von 580 Megawatt haben. Damit entsteht auf einer Fläche von rund 4200 Fußballfeldern am Rande der Sahara der weltweit größte Solarpark.

Beim Ausbau erneuerbarer Energien hat sich die Regierung Marokkos ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2020 sollen die Kapazitäten von Sonnenenergie, Windkraft und Wasserkraft auf jeweils 2000 Megawatt ausgebaut werden. Ab dem Jahr 2020 will Marokko 42 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien decken. Gemessen an diesen Zielen ist das Land damit auch über Nordafrika hinaus ein Vorreiter beim Einsatz von erneuerbaren Energien. Derzeit ist das Königreich mit seinen 35 Millionen Einwohnern laut Internationaler Energieagentur noch zu 91 Prozent abhängig von importierter Energie: von Erdöl, Mineralölprodukten, Kohle von internationalen Märkten, Gas aus Algerien und Strom aus Spanien. Fachleute erwarten, dass sich der Stromverbrauch bis zum Jahr 2030 vervierfacht.

1,3 Millionen Menschen mit Strom versorgen

Mit der Umstellung auf erneuerbare Energien will Marokko einen Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten. Das Land verspricht sich davon aber auch, dass es unabhängiger von Energieimporten wird. Die Branche soll zudem neue Arbeitsplätze und Entwicklungsimpulse für ländliche Regionen bringen. Und sie soll die Entstehung neuer Industrien begünstigen, die Komponenten herstellt, die für die Gewinnung erneuerbarer Energien gebraucht werden.

Die Stromerzeugung in Noor erfolgt in den Blöcken 1 und 2 über Parabolrinnen-Technologie: Die Sonnenenergie wird über gewölbte Spiegel gebündelt, um eine Wärmeleitflüssigkeit auf fast 400 Grad Celsius zu erhitzen. Damit wird Dampf erzeugt, der die Turbine antreibt. Im dritten Block wird ein Solarturmkraftwerk gebaut, das effizienter, dafür aber teurer als die Parabolrinnenvariante ist. In diesem Block kann der Wärmeträger über sich automatisch positionierende Spiegel auf bis zu 1000 Grad Celsius erhitzt und somit auch heißerer Dampf erzeugt werden. Geplant ist schließlich auch ein Photovoltaik-Kraftwerk. Ist der Solarpark in Ouarzazate komplett, können laut der deutschen Entwicklungsbank KfW, die sich an der Finanzierung beteiligt, 1,3 Millionen Menschen mit Strom versorgt und jährlich mindestens 800.000 Tonnen Kohlendioxid gespart werden.

Das Kapital von etwa 700 Millionen Euro für Noor 1 kam von der Europäischen Kommission, der Europäischen Investitionsbank, der Französischen Entwicklungsbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank und der Weltbank. Auch Deutschland hat sich beteiligt: Das Umweltministerium leistete im Rahmen der Internationalen Klimaschutzinitiative einen Zuschuss in Höhe von 15 Millionen Euro, und das Entwicklungsministerium stellte über die KfW zinsverbilligte Darlehen in Höhe von 100 Millionen Euro zur Verfügung. Die Gesamtkosten für den Solarpark Ouarzazate liegen bei rund 2,2 Milliarden Euro.

Noor 1 wird als öffentlich-private Partnerschaft nach dem Modell „build, own, operate, transfer“ betrieben. Die Regierung hat ein privates Konsortium, angeführt vom saudischen Energie- und Wasserunternehmen ACWA Power, mit Konzeption, Bau, Betrieb und Instandhaltung des Kraftwerks beauftragt. Die Regierung sichert dem Betreiber für 25 Jahre vertraglich zu, den Strom zu einem vereinbarten Preis abzunehmen – dies ist eine Subvention per  Einspeisevergütung. Zudem bürgt sie für die Geberbeiträge und finanziert die Anbindung an das Stromnetz und an das Straßennetz.

Noor 1 hat einigen Nutzen für die Region gebracht

Das Wuppertal Institut und Germanwatch haben untersucht, ob Noor 1 der Region wirtschaftliche und soziale Vorteile bringt. Die Studie liefert zudem Hinweise darauf, wie große Infrastrukturprojekte mit  den Entwicklungsbedürfnissen der lokalen Bevölkerung in Einklang gebracht werden können. Insgesamt ist die Provinz um Ouarzazate landwirtschaftlich geprägt und bekommt die Auswirkungen des Klimawandels in Form von Dürreperioden zu spüren. Es regnet weniger und der Pegel des Stausees sinkt. Junge Menschen zieht es auf der Suche nach Arbeit in die großen Städte wie Casablanca.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die lokale Bevölkerung die Planung und den Bau des Kraftwerks begrüßt hat. Noor 1 hat einigen Nutzen für die Region gebracht, zum Beispiel Arbeitsplätze: Bis zu 2000 Arbeiter waren am Bau beteiligt, die Betreibergesellschaft beschäftigt für die Wartung und den Betrieb des Kraftwerks etwa 70 Mitarbeiter. Davon sollen wenigstens 30 Prozent aus der Region kommen, verlangt die marokkanische Solarenergieagentur; die Betreibergesellschaft hat diese Vorgabe auch erfüllt.

Das Kraftwerk hat außerdem neue Ausbildungsmöglichkeiten in der Region geschaffen. So bietet die marokkanische Agentur für Solarenergie MASEN Aus- und Weiterbildungen für Jobs in solarthermischen Kraftwerken an, und die Universität von Ouarzazate hat einen Masterstudiengang zu erneuerbaren Energien eingerichtet. Darüber hinaus gibt es zahlreiche indirekte günstige Wirkungen: Einwohner sagen, das Kraftwerk stärke das Selbstwertgefühl in der Region. Neue Jobs und höhere Einkommen fördern den Zusammenhalt in den Familien,  das öffentliche Interesse an erneuerbaren Energien wächst. Im Vergleich zu fossiler Energieerzeugung schädigt Noor 1 kaum Luft und Wasser in der Region.

Beeinträchtigung für die Landwirtschaft?

Es gab aber auch Bedenken. Die Einwohner der umliegenden Ortschaften befürchten, das Kraftwerk könnte zu viel Wasser verbrauchen und damit die Landwirtschaft im Draa-Tal beeinträchtigen. Die marokkanische Solarenergieagentur versichert jedoch, zur Kühlung von Noor 1 werde kein Grundwasser, sondern ausschließlich Wasser aus dem Stausee El Mansour Eddahbi genutzt wird. Darüber hinaus sollen die nächsten Blöcke luftgekühlt werden.

Kleinunternehmer in der Region befürchten außerdem, sie könnten von der vom Kraftwerk angestoßenen wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen werden. Zwar investiert die Betreibergesellschaft in die Weiterbildung von Arbeitern, doch das allein löst nicht das Problem, dass das Bildungs- und Ausbildungsniveau in der Region sehr gering ist.

Autorin

Sylvia Borbonus

ist Ökonomin und Politikwissen­schaftlerin am Institute for Advanced Sustainability Studies IASS in Potsdam. Ihr Schwerpunkt ist die Transformation von Energiesystemen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Für das Wuppertal Institut war sie an der Studie zu Noor 1 beteiligt.
Die Studie zeigt, die Bevölkerung hätte an der Planung von Noor 1 besser beteiligt werden können. Es gab Proteste in den umliegenden Gemeinden, weil in den Beteiligungsverfahren lokale Vertreter nicht ausreichend die Interessen der betroffenen Kommunen repräsentierten. Daraufhin haben das Wuppertal Institut und Germanwatch zusammen mit lokalen Gemeinschaften Empfehlungen ausgearbeitet, wie der marokkanische Solarplan weiterentwickelt sowie weitere solarthermische Kraftwerke gebaut und betrieben werden sollten, sodass die Bevölkerung Vorteile davon hat. So sollte nicht allein der sozio-ökonomische Nutzen berücksichtigt, sondern auch die Beteiligung der lokalen Bevölkerung verbessert werden.

Marokko hat in den vergangenen zehn Jahren eine Energiewende eingeleitet. Für die Entwicklung der Solarenergie in Afrika ist die Inbetriebnahme von Noor 1 ein Meilenstein. Das Kraftwerk produziert Strom für den heimischen Markt. Die Lieferung von Strom aus der Sahara nach Europa, wie das noch vor einigen Jahren die Industrieinitiative Desertec geplant hat, steht inzwischen nicht mehr im Vordergrund.

Die Erfahrungen aus Marokko zeigen, dass scheinbar konkurrierende Ziele wie Klimaschutz, Energiesicherheit und nachhaltige Entwicklung gleichzeitig verfolgt werden können. Zur Linderung des Energiemangels in Afrika leisten solarthermische Kraftwerke wie Noor 1 jedoch nur einen begrenzten Beitrag. In Marokko haben mittlerweile 98 Prozent der Bevölkerung Zugang zu Strom. Für die 600 Millionen Menschen in Afrika ohne Zugang zu sauberer und bezahlbarer Energie sind dezentrale Lösungen unabhängig vom Stromnetz wie Mininetze und kleine Photovoltaik-Anlagen die kostengünstigere Option.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2016: Energie für alle
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