Seit Anfang 2016 arbeitet Brot für die Welt mit Partnern in Tansania an einer Strategie für eine Stromversorgung für das Land, die zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien setzt. Joachim Fünfgelt, bei Brot für die Welt für Klima- und Energiepolitik zuständig, erklärt, warum das Projektziel vernünftig ist und was das Vorhaben von anderen Projekten des evangelischen Hilfswerks unterscheidet.
100 Prozent erneuerbare Energien: Ist das für ein Land wie Tansania derzeit überhaupt praktikabel?
Wir sehen das vor allem als Vision, wohin die Entwicklung Tansanias bis Mitte des Jahrhunderts gehen könnte. Das Ziel ist zum einen eine klimapolitische Notwendigkeit. Zum anderen verweist es in eine bessere Zukunft, in der neue Jobs entstehen und schädliche Folgen fossiler Energieerzeugung vermieden werden.
Die Regierung von Tansania will möglichst bald in die Kohlekraft einsteigen. Da sind 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2050 doch keine Vision, sondern eine Illusion.
Richtig ist, dass der Energiebedarf in Tansania in den kommenden Jahren stark wachsen wird. Ich fürchte aber, wenn die Regierung wirklich auf Kohle setzt, verbrennt sie unglaublich viel Geld und verpasst wichtige Chancen. Selbst wenn man die von der Kohlekraft verursachten Schäden für Mensch und Umwelt außer Acht lässt: Ein Kohlekraftwerk lohnt sich wirtschaftlich nur, wenn es sehr lange läuft, mehrere Jahrzehnte. Die Preisentwicklung bei den Erneuerbaren ist aber so dynamisch, dass es in wenigen Jahrzehnten billiger sein wird, Solarenergie hinzuzubauen, als Kohlekraftwerke weiterlaufen zu lassen. Das Ziel 100 Prozent erneuerbare Energien für Tansania macht schon rein wirtschaftlich Sinn.
Und warum kommt die Regierung dann nicht selbst auf die Idee?
Erstens ist der Energiebedarf im Land so groß, dass sie hinzubauen möchte, was irgendwie geht – und die langfristigen Folgen verdrängt. Zweitens begünstigen politische Faktoren und Machtstrukturen die Kohle: Es gibt wichtige Kräfte, die für Kohle sind, etwa große Energiefirmen oder exportierende Länder wie Australien, Indonesien oder China. Und auch für den staatlichen Stromversorger Tanesco sind zentrale Großkraftwerke im Zweifel attraktiver als kleine dezentrale Kraftwerke. Drittens benötigen erneuerbare Energien hohe Anfangsinvestitionen. Die Kapitalkosten zu senken, ist daher eine der wichtigsten politischen Aufgaben.
Welche Rückmeldung bekommen Sie aus Tansania?
Die wichtigste ist, dass wir uns auf die Bevölkerungsgruppen konzentrieren sollten, die noch gar keinen Zugang zu Elektrizität haben. Und es besteht bei unseren Partnern Konsens, dass man diese Leute mit dem Ausbau des zentralen Netzes nicht erreicht. Das Vertrauen auf staatliche Versorger ist sehr gering.
Zu Ihren Partnern gehört auch das Energieministerium. Was sagen die zu Ihrer Vision?
Das Ministerium hat noch eine andere Vision, die ihm wichtig ist: Bis 2025 soll Tansania ein Land mit mittlerem Einkommen werden. Es geht davon aus, dass man dafür Kohlekraft braucht. Ich glaube, dass das Ministerium das Potenzial der erneuerbaren Energien stark unterschätzt. Daran arbeiten wir mit unseren Partnern.
Arbeiten Sie in dem Projekt auch mit Unternehmen?
Ja, wir haben zum Beispiel Mobisol eingebunden, den Hersteller von Solar-Heimanlagen. Wir brauchen die Wirtschaft, weil die Innovationsdynamik im Energiebereich enorm groß ist. Da müssen wir auf dem neuesten Stand bleiben, um zu beurteilen, was wir für unsere Projektziele nutzen können. Umgekehrt können wir den Unternehmen vermitteln, was wir für die Armutsbekämpfung brauchen. Und für uns ist auch interessant zu erfahren, was innovative Unternehmen von der Politik erwarten, um das mit unseren Partnern zu diskutieren.
Sie setzen sich bei der Politik für die Wirtschaft ein? Eine ungewohnte Rolle für ein Hilfswerk.
Nun ja, in der Landwirtschaft kooperieren wir ja auch mit kleineren Betrieben aus dem Ökolandbau. Es gibt in der Energieversorgung sehr viele Akteure, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Unternehmen wie Mobisol haben eine ähnliche Vision wie wir: alle Menschen in Afrika mit sauberer Energie zu versorgen. An einem Unternehmen wie Mobisol ist für uns außerdem interessant, dass sie nicht nur ihre Solar-Heimanlagen verkaufen, sondern auch Techniker ausbilden. Das ist aus entwicklungspolitischer Sicht super. Aber natürlich haben wir mit anderen Energieanbietern unsere Probleme, wenn sie auf Netzausbau und Großkraftwerke setzen, die eher in Konflikt geraten mit Landnutzungsrechten und Menschenrechten.
Energieversorgung ist für Brot für die Welt ein neuer Arbeitsbereich. Was ist neu für Sie im Vergleich zu anderen Projekten?
Ein wichtiger Unterschied zu anderen Politikbereichen ist die Langfristigkeit. In der Energiepolitik geht es um Entscheidungen für Jahrzehnte. Und das ist besonders schwer, wenn die Not heute groß ist und man möglichst schnell Energiezugang für alle bräuchte. Es bringt aber nichts, für heute eine vermeintlich gute Lösung zu haben, die sich morgen als falsch herausstellt.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
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