Entwicklungsgeld fürs Militär?

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Pro und Kontra
Anfang des Jahres haben die Geberländer in der OECD die Regeln für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften gelockert. Und die EU-Kommission will mit Geld, das für die zivile Konfliktbearbeitung vorgesehen ist, künftig auch Militäreinsätze in Afrika finanzieren. Wird die Entwicklungspolitik der militärischen Logik geopfert? Oder wächst jetzt endlich zusammen, was zusammengehört?

Pro: Wolf Poulet

"Gut für die Menschenrechte"

Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für militärische Zwecke verwendet werden sollen, ist seit 60 Jahren beantwortet: Natürlich keine! Jedoch müsste die Isolierung der Entwicklungszusammenarbeit von den schwerwiegenden Mängeln bei der Bereitstellung von Sicherheit endlich überwunden werden, die es praktisch in allen Entwicklungsländern gibt und zugleich die Hauptursache von Migration darstellen. Die geradezu phobische Abneigung der Entwicklungspolitik, mit sicherheitsrelevanten Ressorts zusammenzuarbeiten, hat seit 1990 dazu geführt, dass das einzig wirksame Mittel zum Schutz der Menschenrechte, die Reform des Sicherheitssektors, weit unter seiner Bedeutung geblieben ist.

Immerhin: Seit gut 25 Jahren weisen verschiedene UN-Abteilungen, die Weltbank, die OECD, EU-Institutionen sowie internationale Entwicklungsorganisationen wie International Alert oder Oxfam die Gebergemeinschaft darauf hin, dass ohne innere Sicherheit in fragilen Staaten zentrale Entwicklungsziele und strukturelle Stabilität nicht erreicht werden können. Nachdem die britische Entwicklungsministerin Claire Short 1998 zu diesem Zweck das Konzept der Sicherheitssektor-Reform installierte, hat die Regierung dort die üblichen Spannungen zwischen den Ressorts überbrückt und Mittel und Programme von Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungsministerium gebündelt. Aus diesem „Conflict, Stability and Security Fund“, wie er seit 2015 genannt wird, finanziert London unter anderem Konfliktprävention durch Reformen im Sicherheitssektor, Unterstützung von Rechtsstaatlichkeit und weitere Programme zur Staatsbildung.

Im Vergleich dazu fällt Deutschland ab. Während mehrere EU-Staaten wie die Niederlande die Entwicklungspolitik erfolgreich in die Außenministerien integriert haben, träumt hierzulande der zuständige Minister Gerd Müller einsam von einer „Welt ohne Hunger bis 2030“. Man hat ihm offenbar nicht erläutert, dass in fragilen Staaten eine gerechte Verteilung von „öffentlichen Gütern“ nur über eine gesetzestreue Justiz und Polizei erfolgen kann. Heute wird sichtbar, welchen Schaden die FDP unter Guido Westerwelle angerichtet hat, als sie sich 2009 weigerte, die Entwicklungszusammenarbeit in das Auswärtige Amt einzugliedern. Hätte die mit der Außenpolitik integrierte Entwicklungspolitik ihre Kapazitäten auf die Reform des Sicherheitssektors in fragilen Staaten konzentriert, wäre das Flüchtlingsproblem, vor allem aus Afrika, heute wohl nicht ganz so groß.

Ein schon länger zurückliegendes Beispiel zeigt, welche Möglichkeiten die Entwicklungszusammenarbeit hätte, wenn sie sich auf die Herstellung menschlicher Sicherheit mittels Reformen im Sicherheitssektor und dessen parlamentarische  und zivilgesellschaftliche Kontrolle konzentrieren würde. Im September 2000, kurz vor Ende meiner Zeit als Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in der Dominikanischen Republik, erbat Verteidigungsminister Generalleutnant José Soto Jimenez von der Stiftung Unterstützung bei der Reform des Militärs. Er fragte unter anderem nach den Erfahrungen der deutschen Streitkräfte als Garant des Rechtsstaats und der Menschenrechte, nach den Erfahrungen Deutschlands im Grenzschutz unter Beachtung der Menschenrechte von illegalen Einwanderern und nach der Zusammenarbeit des Parlaments mit den Streitkräften bei der Formulierung von Sicherheitspolitik und Militärhaushalt. Obwohl es eindeutig um dringend erforderliche Schritte zur Demokratisierung ging, erhielt ich damals vom Bundesentwicklungsministerium keine Freigabe für das Vorhaben.

Manches hat sich seitdem zum Glück geändert. Anfang dieses Jahres verständigten sich die Mitglieder des Entwicklungsausschusses der OECD darauf, welche Art Kooperation mit Sicherheitskräften künftig als Entwicklungshilfe verbucht werden darf. Möglich sind nun auch die demokratische Kontrolle und zivile Aufsicht der Armee.  Aber Zeit wurde vergeudet: Schon damals erhielt die Stiftung aus acht Staaten Lateinamerikas Anfragen nach Reform von Struktur und Führungsstil ihrer Sicherheitsorganisationen. Das hätte ein wirksamer Einstieg in die Reform von archaisch gelenkten Militär- und Polizeieinheiten und ihrer Kontrolle durch fähige Parlamentsausschüsse werden können.

 

Kontra: Martina Fischer

"Friedenspolitisch das falsche Signal"

Vor einigen Wochen sorgte ein Vorschlag der EU-Kommission für Schlagzeilen: Aus dem „Instrument für Stabilität und Frieden“ (IcSP), dem EU-Geldtopf für zivile Konfliktbearbeitung, sollen zukünftig auch Ausrüstung und Ausbildung für Streitkräfte in Drittstaaten finanziert werden. Die Bundesregierung unterstützt das offenbar. Damit der Vorschlag rechtskräftig werden kann, muss er vom Europäischen Rat und vom EU-Parlament angenommen werden. Es ist zu hoffen, dass Berlin noch umdenkt und sich genügend Mitstreiter finden, die dem Vorhaben eine Absage erteilen, da es friedenspolitisch ein völlig falsches Signal sendet.

Das IcSP wurde geschaffen, um die EU-Politik in den Bereichen Krisenreaktion, Konfliktverhütung, und Friedenskonsolidierung wirksamer zu machen. Dazu sollen zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützt werden. Auch demokratische Staatsorgane, die zivile Aufsicht über das Sicherheitssystem, Vollzugs- und Justizbehörden sowie Abrüstung und die Wiedereingliederung von ehemaligen Kämpfern werden gefördert. Die Aufgaben sind so vielfältig, dass sie schon jetzt mit den vorhandenen Haushaltsmitteln kaum bewältigt werden können. Die zusätzliche Finanzierung militärischer Funktionen würde auf Kosten der Mittel für zivile Ansätze gehen.

Die Kommission schlägt vor, den Haushalt des IcSP (2,338 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis 2020) um 100 Millionen Euro zu erhöhen, sagt aber nicht, woher die Mittel dafür kommen sollen. Es gibt Überlegungen, dafür Gelder aus dem Instrument für Entwicklungszusammenarbeit umzuwidmen. Das ist skandalös, wenn man bedenkt, dass die Mittel für Entwicklung ohnehin knapp bemessen sind und weder Deutschland noch die meisten anderen OECD-Staaten der Verpflichtung nachkommen, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung dafür bereitzustellen.

Der Vorschlag der EU-Kommission, das IcSP zu erweitern, geht einher mit sehr einseitigen Prioritäten in ihren außenpolitischen Strategiepapieren: „Unsicherheit“ und „Instabilität“ sind darin dominante Kategorien; es fehlt die Analyse der strukturellen Ursachen. Man gewinnt den Eindruck, dass Entwicklung den Sicherheitsinteressen der EU-Länder untergeordnet wird. Die Konzepte sagen nichts dazu, wie Frieden gefördert werden soll. Hinzu kommt, dass für 2017 schon  60 Millionen Euro und damit fast ein Drittel des Finanztopfes, den das IcSP für flexible und schnelle Maßnahmen der Krisenreaktion vorsieht,  für das „Management“ von Migration und Grenzschutz in der Türkei  verplant sind. Wenn nun auch noch das Militär aus dem Budget  „ertüchtigt“ werden soll, bleiben für die zivile Friedensförderung allenfalls symbolische Häppchen.

Einige EU-Länder, darunter Deutschland, drängen seit geraumer Zeit darauf, dass neben der Polizei auch Armeen in Partnerländern systematischer ausgebildet und ausgerüstet werden und fordern die „Verschmelzung militärischer und ziviler Komponenten“. Dazu müsste zunächst geklärt werden, welche Streitkräfte sie meinen, welchen Mehrwert Armeen gegenüber der Polizei haben und wie die technische Hilfe genau aussehen soll. Nur so lassen sich unerwünschte Nebenwirkungen vermeiden, etwa dass Ausrüstung in falsche Hände gerät oder von Regimen gegen die eigene Bevölkerung verwandt wird. Wenn einige Staaten  Militärhilfe für erforderlich halten, könnten sie dafür ein neues Instrument auf der zwischenstaatlichen Ebene schaffen, vergleichbar der Friedensfazilität für Afrika oder dem Athena-Mechanismus, über die  EU-Staaten ihre Militärhilfe (jenseits des EU-Gemeinschaftshaushalts) derzeit abwickeln. Dafür müssten sie aber zusätzliche Mittel bereitstellen.

Als Begründung für die Erweiterung der IcSP verweist die Kommission auf die Notwendigkeit eines „umfassenden“ Ansatzes bei der Bewältigung von Krisen und Konflikten. Aber ein schlüssiger Politikansatz ergibt sich nicht dadurch, dass man Haushaltstöpfe vermischt. Gefordert sind stattdessen ressortübergreifende Konzepte und abgestimmtes Handeln, das sich an der Vorbeugung von  Gewalteskalation und der Beseitigung von Konfliktursachen orientiert und ziviler Konfliktbearbeitung Vorrang vor dem Ausbau militärischer Kapazitäten einräumt. Indem ein Ressort dem anderen finanziell das Wasser abgräbt, erreicht man erfahrungsgemäß das Gegenteil: weniger Bereitschaft zur Kooperation, die so dringend erforderlich wäre im Umgang mit Krisenregionen.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2016: Welthandel: Vom Segen zur Gefahr?
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