Ein Drittel bis die Hälfte der Grabsteine für deutsche Friedhöfe soll nach Angaben des Naturwerkstein-Verbands aus Indien stammen. Zudem importiert Deutschland Natursteine für Garten und Bau in großen Mengen über Großhändler aus dem Süden des Schwellenlandes. Ob in den Steinbrüchen im großen Stil auch Kinder arbeiten, ist umstritten.
Ein Anfang März im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ erschienener Bericht über die Recherchen des Kinderrechtsexperten Benjamin Pütter legt diesen Verdacht zumindest nahe. In sieben von acht unangekündigt besuchten Steinbrüchen, habe er arbeitende Kinder getroffen: „Es gibt zwar heute weniger Kinderarbeit als vor zehn Jahren, das Problem besteht aber nach wie vor“, sagt Pütter.
Der Verband deutscher Naturstein-Verarbeiter weist den Artikel als unglaubwürdig zurück. Es gebe keine Importe aus Steinbrüchen, in denen Kinder beschäftigt würden. Der beschriebene Steinbruch exportiere nicht nach Deutschland und sei auch nicht von der Indo-German Export Promotion (IGEP) zertifiziert, die eines der Siegel für Natursteine vergibt.
Bundesländer überarbeiten Bestattungsgesetze
Kommunen wie Nürnberg, Stuttgart oder München haben in den vergangenen Jahren ihre Friedhofsordnungen geändert und den Steinmetzen auferlegt, in ihrer gesamten Wertschöpfungskette ausbeuterische Kinderarbeit auszuschließen. Die Steinmetze sollten ihre Steine entsprechend zertifizieren lassen. Diese Vorgabe hat sich bisher als juristisch nicht haltbar erwiesen: Überall dort, wo Steinmetze gegen die geänderten Vorschriften geklagt haben, gaben ihnen die Gerichte Recht. Sie sahen es als nicht zumutbar für die Steinmetze an, den Nachweis über die Herkunft zu führen. Die Bundesländer müssten erst die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Die Gemeinden mussten die Verordnungen zurücknehmen.
Derzeit überarbeiten mehrere Bundesländer ihre Bestattungsgesetze. Nordrhein-Westfalen hat 2014 ein Gesetz verabschiedet, das ausdrücklich verbietet, Grabsteine aus Kinderarbeit aufzustellen. Bisher ist es noch nicht in Kraft getreten, weil noch einige Fragen offen sind. Fraglich ist etwa, ob die Kinderarbeit in indischen Steinbrüchen die Regel ist oder ob es sich nur um Einzelfälle handelt. Die bayerische Staatsregierung hat für Ende April einen Gesetzesentwurf mit einer Kann-Bestimmung angekündigt: Kommunen können dann Grabsteine aus Kinderarbeit von ihren Friedhöfen verbannen. An einer ähnlichen Vorlage arbeitet auch Baden-Württemberg.
Ein Nachweis sauberer Importe ist schwierig
Unklar ist, wie die Steinmetze nachweisen sollen, dass ihre Importe sauber sind. In Deutschland gibt es drei verschiedene Zertifizierungen für Natursteine: Xertifix, Fairstone und die IGEP-Zertifizierung des Verbands Deutscher Naturstein-Verarbeiter. Kritiker werfen dem Verbands-Siegel vor, es sei nicht transparent. Es gebe keinen klaren und öffentlich zugänglichen Kriterienkatalog. Im Gegensatz zu Fairstone und Xertifix lege IGEP nicht offen, welche Steinbrüche wie oft genau kontrolliert werden.
Xertifix und Fairstone gelten zwar als zuverlässiger, sind aber deutlich teurer und spielen auf dem Markt kaum eine Rolle. Xertifix siegelt nach eigenen Angaben lediglich rund ein Prozent der Natursteine für Garten und Bau in Deutschland, Anfragen von Grabstein-Importeuren liegen nicht vor. Fairstone hat einen Marktanteil von rund fünf Prozent bei Natursteinen.
XertifiX und Fairstone
An Arne Klevenhusen,
ich habe mich sehr über den differenzierten Kommentar gefreut. Es ist genau so, wie sie sagen. Man kann das Problem nicht auf Kinderarbeit beschränken, und genau aus diesem Grund ist XertifiX in den letzten Jahren mit seinen Kontrollen auch weit darüber hinausgegangen und legt heute das Augenmerk auf die Arbeitsbedingungen der Erwachsenen - vergessen sollte aber nicht werden, dass ich gemeinsam mit einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung und einem Pressefotografen Ende 2015 bei 7 von 8 unangekündigten Inspektionen von Exportsteinbrüchen für Steine nach Deutschland verbotene Kinderarbeit angetroffen habe.
Natursteine aus Indien
Es ist gerade im Steinbruchsektor Indiens extrem schwierig, lückenlose Aufklärungsarbeit bezüglich der Arbeitsbedingungen zu leisten. Es gibt tausende von Steinbrüchen, vollkommen ungeregelte Arbeitsverhältnisse und nur selten vorhandene Dokumente. Die mühevollen und verdienstvollen Recherchen von Benjamin Pütter zeigen, bei aller Anfechtbarkeit im Detail, wie gefährlich hier offenbar die "Wahrheitsfindung" ist. Allein das ist schon ein ziemlich sicheres Indiz dafür, dass bei weitem nicht alles "in Ordnung" sein kann. Die Diskussion sollte daher nicht nur auf das Thema Kinderarbeit verengt werden. Auch die Arbeitsbedingungen der Erwachsenen sind in der Regeln so katastrophal, dass man sich eigentlich einen Grabstein, der auch ohne Kinderarbeit in Indien produziert wurde, nicht guten Gewissens hinstellen kann.
Die Arbeiter leiden unter schweren und chronischen Berufskrankheiten wie Asthma, TBC und Silikose, sodass viele von ihnen arbeitsunfähig werden und oft schon in jungen Jahren (meist vor dem 40. Lebensjahr) sterben. Ihre Arbeitslöhne sind in aller Regel so niedrig, dass sie kaum ihre Familien ernähren können. Sehr viele Frauen und Kinder sind genötigt, ihre Männer bzw. Väter bei der Arbeit zu unterstützen, wenn diese erkrankt, oder gar zu ersetzen, wenn sie verstorben sind, das wiederum ist eine häufige Ursache für die Kinderarbeit. Die indischen Arbeitsgesetze, die Menschenrechtskonventionen, die der Staat unterzeichnet hat, alles wird hier in unterschiedlichem Maße missachtet.
Jedes politische Signal, das den Verantwortlichen vor Ort klar macht, dass die Abnehmer von Natursteinen mit den bestehenden Verhältnissen nicht einverstanden sind, kann eine Hilfe darstellen, die Lage der SteinbrucharbeiterInnen langfristig zu verbessern.
Die importierenden Steinmetze hier zu Lande können sicher nicht alles überprüfen, aber ich bin sicher, dass sie in vielen Fällen genauer hinsehen und kritischer nachfragen können. Den lokalen Behörden in Indien muss bewusst werden, dass die Thematik hier stärker als früher in der Öffentlichkeit steht und dass sie ihrer Kontrollpflicht nachzukommen haben. Für die KonsumentInnen bleibt im Moment eigentlich nur die Wahl zwischen einem seriös zertifizierten Stein oder einem aus einheimischer Herkunft.
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