Dämpfer für die Demokratie

Die Opposition in Burundi hat die jüngsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Sommer boykottiert. Sie wirft der Regierung Fälschungen in großem Umfang vor; ausländische Beobachter teilen diese Einschätzung jedoch nicht. Präsident Pierre Nkurunziza verfügt nun über die absolute Mehrheit und kann seine Macht ausbauen. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Aufbau demokratischer Strukturen hat einen schweren Schlag erlitten. Und es besteht das Risiko, dass frühere Rebellengruppen wieder zu den Waffen greifen.

Von Ilona Auer-Frege

Zehn Jahre nach dem Abkommen von Arusha steckt der Friedensprozess in Burundi in einer tiefen Krise. Eigentlich hatte sich nach dem langem Bürgerkrieg ein demokratisches System etabliert. Mit den jüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die von der Opposition boykottiert wurden, ist das wieder in Frage gestellt; es droht eine Rückkehr zu Gewalt. Die Verträge von Arusha, die im Jahr 2000 unterzeichnet wurden, sollten eine lange Periode der Instabilität in Burundi beenden. Hintergrund des jahrzehntelangen Konfliktes in dem ostafrikanischen Land ist die Spaltung der Bevölkerung entlang ethnischer Linien. Unter der belgischen Kolonialherrschaft hatten die Tutsi Privilegien erhalten, während die Hutu, die etwa 85 Prozent der Bevölkerung stellen, weitgehend von Bildung und politischer Teilhabe ausgeschlossen blieben. Seit der Unabhängigkeit 1961 spiegelte sich diese Spaltung in den Programmen aller Parteien wider, die sich bis 1996 fast ausschließlich über die ethnische Zuordnung ihrer Mitglieder definierten und die Feindseligkeiten verstärkten. Die Spannungen zwischen Tutsi und der Hutu eskalierten mehrfach in wechselseitigen Pogromen, die mehrere hunderttausend Tote forderten.

Das Friedensabkommen von Arusha legte nun fest, dass ab 2000 die Macht zwischen beiden Bevölkerungsgruppen geteilt werden sollte. Eine Übergangsregierung aus allen Bürgerkriegsparteien wurde gebildet. Zwei Rebellengruppen beteiligten sich zunächst nicht: der CNDD-FDD (Conseil national pour la défense de la démocratie – Forces de défense de la démocratie), der sich aber Ende 2003 dem Friedensprozess anschloss, und die Forces Nationales de Libération (FNL). Im März 2005 wurde eine neue Verfassung per Volksentscheid angenommen. Sie legt fest, dass in allen Parteien und politischen Institutionen die Ämter streng in einem Verhältnis von 60 Prozent Hutu zu 40 Prozent Tutsi besetzt werden müssen, um eine Vorherrschaft der Hutu auszuschließen und den Tutsi Schutz und Partizipation zu garantieren.

 

Parteien in Burundi

CNDD-FDD (Conseil national pour la défense de la démocratie–Forces de défense de la démocratie, Nationaler Rat für die Verteidigung der Demokratie ...

Dieses Prinzip hat unerwartet gut funktioniert, so dass die ethnische Ausrichtung der Parteien in den vergangenen zehn Jahren überwunden werden konnte. Dennoch trugen die Parteien weiter Konflikte mit Gewalt aus. Anstelle der ethnischen Zuordnung definieren sie sich heute oft entlang ehemaliger militärischer Bündnisse oder anhand der Zugehörigkeit zu regionalen Gruppen, Familien oder Clans. Sie stehen weniger für inhaltliche politische Programme als für die Interessen solcher einzelnen Gruppen.

Die ersten Parlamentswahlen Mitte 2005 gewann der CNDD-FDD mit großer Mehrheit, sein Führer Pierre Nkurunziza wurde Staatspräsident. Das Ziel war, ein tragfähiges demokratisches System einzurichten, um der Aussöhnung mit der letzten Rebellenbewegung FNL eine Basis zu geben. Agathon Rwasa und die FNL wollten noch bis 2009 mit Waffengewalt einen Umsturz in Bujumbura erzwingen und die eigene Rebellengruppe an die Macht bringen. Als Zeichen ihres Willens zur Integration in die zivile politische Landschaft stimmte die FNL im April 2009 dann zu, die Waffen niederzulegen und sich als politische Partei zu registrieren. Die Demobilisierung und die Integration der FNL in die staatlichen Institutionen sowie in Armee und Polizei sollten bis 2010 weitgehend beendet sein. Heute ist dieser Versuch der Demokratisierung wieder in Frage gestellt, weil Rwasa in den Wahlen die Übermacht der CNDD-FDD mit seinen begrenzten Mitteln nicht überwinden konnte.

Mit Pierre Nkurunziza hat zum ersten Mal ein burundischer Präsident eine volle Amtszeit regiert und ist zur Wiederwahl angetreten. Damit konnte er Stabilität und Machtstrukturen etablieren wie kein Vorgänger je zuvor. Der Zugang zu staatlichen Mitteln hat es der Regierungspartei CNDD-FDD erlaubt, in allen Provinzen eine Parteistruktur aufzubauen, die auch in entlegenen Gebieten Anhänger einbindet – ein strategischer Vorteil, den die viel schwächer finanzierten Oppositionsparteien nicht ausgleichen konnten. Zudem nutzte Präsident Nkurunziza die wirtschaftlichen und organisatorischen Vorteile seines Amtes, um Wahlkampf für sich und die CNDD-FDD zu machen. In zahlreichen Reisen durchs Land eröffnete er Entwicklungsprojekte, verteilte Nahrungsmittel und Vergünstigungen und zeigte Präsenz und Anteilnahme. Er setzte Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich durch, die zwar größtenteils von internationalen Gebern finanziert werden, ihm bei der Bevölkerung aber hohes Ansehen eintragen.

Nachdem die ersten Wahlen 2005 maßgeblich von den Vereinten Nationen organisiert worden waren, lag die Verantwortung in diesem Jahr erstmals in den Händen der nationalen Wahlkommission. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet, dass Dutzende Oppositionspolitiker, Regierungskritiker und Journalisten verhaftet, einige gefoltert und ermordet wurden. Die Vorwürfe richteten sich insbesondere gegen den nationalen Geheimdienst. Dies scheint auf internationalen Druck wieder abgestellt worden zu sein, doch wurden diese Verbrechen weder aufgeklärt noch Schuldige bestraft. Auch Mitglieder der Regierungspartei wurden überfallen oder getötet, offenbar meist von Angehörigen der FNL. Nichtstaatliche Organisationen (NGO) wurden bedroht, die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch musste im Mai das Land verlassen.

Am 24. Mai hielt Burundi die zweiten freien Kommunalwahlen des Landes ab, bei denen 24 Parteien und fünf unabhängige Kandidaten antraten. Die CNDD-FDD gewann 64,03 Prozent der Stimmen, die FNL kam auf 14,15 Prozent. Es folgten die Union pour le Progrès national (UPRONA) mit 6,25 Prozent, die Front pour la Démocratie au Burundi (FRODEBU) mit 5,43 und das Mouvement pour la Solidarité et la Démocratie (MSD) mit 3,75 Prozent. Dieses Ergebnis kam für die Vertreter der Opposition sehr überraschend. Aufgrund des großen Zulaufs, den sie bei ihren Wahlkampfveranstaltungen erfahren hatten, glaubten die Vorsitzenden der FNL und der UPRONA, dass sie die Wahlen gewinnen würden. In Burundi werden keine Wahlprognosen mit belastbaren statistischen Daten erhoben, deshalb nahmen die Oppositionspolitiker das Stimmungsbild aus dem Wahlkampf als Indikator für ihren sicheren Sieg.

Sofort nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse erhoben sie schwere Vorwürfe gegen die unabhängige Wahlkommission und die regierende Partei CNDD-FDD und erklärten, nur Wahlbetrug in großem Stil habe ihren Sieg verhindert. Dem widersprechen jedoch die Beobachtungen der EU-Wahlbeobachtungsmission, die mit 80 Vertretern im Land war, sowie die Aussagen der Vereinigung der burundischen NGOs, die mehr als 500 Beobachter in 2500 der 7000 Wahllokale im Einsatz hatte. Sie berichten übereinstimmend, dass es nur geringfügige Abweichungen vom vorgeschriebenen Wahlverlauf gegeben habe, so dass der organisatorische Ablauf von Wahlen und Auszählungen als frei und fair galt. Offenbar hatten die Oppositionsparteien vor allem in den ländlichen Regionen weniger Bekanntheit und Einfluss als angenommen, und die Bevölkerung schätzte die seit 2005 etablierte Regierungspartei als Garanten für Stabilität und Sicherheit.

In den folgenden Wochen zogen dann die sechs wichtigsten Oppositionsparteien ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 28. Juni zurück, um gegen den angeblichen Wahlbetrug zu protestieren, und bildeten eine „Koalition der Opposition“, die die Wiederholung der Kommunalwahlen forderte. Der Boykott ermöglichte es Präsident Pierre Nkurunziza, mit absoluter Mehrheit im Amt bestätigt zu werden.

Danach, in den Wochen vor den Parlamentswahlen, erschütterte eine Welle von über hundert Sprengstoffexplosionen Bujumbura und die ländlichen Provinzen. Nach den Anschlägen der somalischen Al-Shabab-Miliz am 11. Juli in der ugandischen Hauptstadt Kampala hatte die burundische Regierung, die neben Uganda als einzige Soldaten für die Friedenstruppe in Somalia stellt, die Präsenz von Militär und Polizei in der Öffentlichkeit stark erhöht. Das wurde von der Bevölkerung zugleich als Machtdemonstration interpretiert.

Auch an den Parlamentswahlen am 23. Juli nahmen die bedeutenden Oppositionsparteien außer der UPRONA nicht teil. Offenbar fürchteten sie, als Minderheit im Parlament keinerlei Einfluss zu haben. Die Folge war, dass die CNDD-FDD die absolute Mehrheit im Parlament gewann. Das politische Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition ist noch nicht genügend gefestigt, um auch die Vertreter der kleineren Parteien einzubinden. Die Regierungspartei dominiert die politischen Ämter und Entscheidungen so stark, dass die Rolle der Opposition unattraktiv geworden ist.

Das Ausscheren der Oppositionsparteien hat die junge Demokratie in Burundi nachhaltig beschädigt. Die Bevölkerung, die seit 2005 langsam Vertrauen zu ihren politischen Vertretern entwickelt hatte, wurde enttäuscht. Die Oppositionsparteien sind jetzt im nationalen Parlament und in der Regierung nicht mehr vertreten und müssen ihre Interessen außerhalb der staatlichen Institutionen verfolgen. Insbesondere die FNL, die erst Anfang 2010 ihre Waffen niedergelegt hatte, um sich zur Wahl zu stellen, scheint ihre 14,5 Prozent Stimmen in der Kommunalwahl als nicht ausreichend für nationale politische Durchsetzungsfähigkeit zu empfinden und sich wieder dem bewaffneten Weg zuzuwenden. Ihr Vorsitzender Agathon Rwasa flüchtete am 23. Juni in den Osten der Demokratischen Republik Kongo. Dort nutzt er offenbar seine Kontakte zu Rebellengruppen, um den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen. Auch der Chef der MSD, der Journalist Alexis Sinduhije, ist ins Ausland geflohen.

Präsident Nkurunziza hat nun im Parlament und in der Regierung die absolute Mehrheit und fast ausreichend Stimmen, um die Verfassung im Alleingang zu ändern. Das erhöht das Risiko, die Kräfte der Opposition noch stärker aus dem demokratischen Spiel zu drängen. Die politische Landschaft Burundis ist aber nach Jahrzehnten von Gewaltkonflikten zu gespalten, ein Einparteiensystem würde nicht akzeptiert. In seiner Antrittsrede hat Präsident Nkurunziza das anerkannt und den Oppositionsparteien freiwillig Sitze in der Regierung und im Senat angeboten. Noch ist nicht klar, wie ernst das Angebot gemeint ist und ob es akzeptiert wird. Es muss sich zeigen, ob einerseits die Gewinner der Wahl Teilhabe und Meinungsvielfalt ermöglichen und die Verlierer andererseits eine Rolle in der Opposition akzeptieren.

Die burundische Regierung steht vor sehr schwierigen Problemen. Seit 2007 sind hunderttausende Flüchtlinge zurückgekehrt, die Burundi teils schon vor Jahrzehnten verlassen hatten. Damit verschärft sich die Landknappheit, und wegen des Bevölkerungswachstums ist die landwirtschaftlich nutzbare Fläche bereits jetzt ausgeschöpft. Nach den Kriegen und Bürgerkriegen funktionieren die staatliche Verwaltung, die Justiz und die Infrastruktur für Gesundheit und Bildung kaum noch. Straflosigkeit, Korruption und Klientelismus bestimmen das öffentliche Leben, der Lebensstandard ist einer der niedrigsten der Welt. Internationale Geber verlangen aber für ihre Entwicklungsprogramme ein stabiles und möglichst korruptionsfreies Umfeld.

Um langfristig das Gewaltpotenzial im Land zu senken, sind die Lösung der Landfrage und die Demobilisierung und Integration ehemaliger Kämpfer aus der staatlichen Armee und aus anderen bewaffneten Gruppen eine Kernaufgabe für die Regierung. Wenn es langfristig gelingt, die FNL-Kämpfer in der burundischen Armee zu halten und zu kontrollieren, wäre dies ein wichtiger Schritt zur demokratischen Transformation und zur Teilung der Macht. Insgesamt benötigen hunderttausende Kombattanten neue Arbeitsplätze oder Zugang zur Landwirtschaft. Sie und ihre Angehörigen brauchen Angebote zur Traumabewältigung und für gewaltfreie Konfliktbearbeitung, um den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt in der Gesellschaft zu beenden.

Bei der Lösung dieser Aufgaben spielen die UN-Mission BINUB und die internationalen Geber eine wichtige Rolle. Die UN-Mission hat die Aufgabe, die burundische Regierung und Zivilgesellschaft in ihrem Reformprozess zu stärken, um in Politik und Verwaltung die Ursachen des vergangenen Bürgerkrieges zu überwinden und interne Konflikte beizulegen. Das Ziel der BINUB ist, mehr Transparenz in den öffentlichen Institutionen zu erreichen, Korruption abzubauen und Pressefreiheit zu fördern. Daneben hat sie eine wichtige Aufgabe bei der Wiedereingliederung der rückkehrenden Flüchtlinge sowie bei der Demobilisierung und Entwaffnung früherer Rebellen.

Westliche Geber haben in den vergangenen Jahren die Mehrheitspartei CNDD-FDD als Garanten für Stabilität unterstützt und die anderen politischen Gruppierungen ignoriert. Angesichts der innenpolitischen Spaltung des Landes wäre es fatal, das fortzusetzen. Vertreter der Zivilgesellschaft in Burundi fordern zudem die Überwindung der Straflosigkeit. Die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission könnte dazu beitragen, die Verantwortung für die politische Gewalt der vergangenen Jahrzehnte anzunehmen. Ebenso wichtig ist es, die jüngste Eskalation im Wahlkampf und im Alltag zu untersuchen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen, um zu verhindern, dass Übergriffe, Morde und Einschüchterung weiterhin als „normales“ Mittel im Wahlkampf angesehen werden.

Dass der FNL-Führer Agathon Rwasa versucht, im Osten des Kongo neue Milizen zu rekrutieren, und die Oppositionsparteien nicht in die Regierung und das nationale Parlament integriert sind, belastet die nächste Amtszeit des Präsidenten. Wenn es ihm nicht gelingt, die FNL und auch andere Oppositionelle fester in die demokratischen Strukturen einzubinden, droht die Gefahr erneuter bewaffneter Auseinandersetzungen und ein Rückfall in die Machtkämpfe der Zeit vor 2009. Die internationale Gemeinschaft sollte mit allen diplomatischen Mitteln dazu beitragen, den hoffnungsvollen Friedensprozess, wie er sich bis 2009 angebahnt hat, zu festigen und alle Gruppierungen zur Partizipation anhalten.

Ilona Auer-Frege ist Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika (ÖNZ), einem Zusammenschluss kirchlicher Hilfswerke. Das ÖNZ setzt sich für Frieden und Menschenrechte in Burundi, Ruanda und der DR Kongo ein.

 

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erschienen in Ausgabe 11 / 2010: Arabische Welt: Umworben und umkämpft
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