Kein zweites Kopenhagen

Weltklimakonferenz
Erfolg in Paris: Da haben die Diplomaten im Dezember einen globalen Klimavertrag zustande gebracht. Vor allem einige Schwellenländer aber haben nur ­zähneknirschend ­zugestimmt.

Die Konfliktlinien machten zwei Auftritte in der zweiten Konferenzwoche deutlich. Dienstags traten Brasilien, Indien, Südafrika und China gemeinsam vor die Presse. Ihnen ging es ums Prinzip: die sogenannte Differenzierung in der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC von 1992. Danach müssen die Industrieländer als Verursacher der Erd­erwärmung ihre Emissionen senken;  Klimaschutz in Entwicklungsländern ist hingegen freiwillig und von den Industrieländern zu finanzieren. „Wir wollen eine Vereinbarung, die diese Konvention verbessert, nicht sie neu schreibt“, sagte Südafrikas Umweltministerin Bomo Edna Molewa.

Tags darauf gab US-Außenminister John Kerry die Antwort, verpackt in einer Rede voller Pathos: Weil heute Entwicklungsländer die meisten Treib­hausgase ausstoßen, nütze Klimaschutz allein in Industrieländern nichts mehr. Alle Länder müssten Verantwortung übernehmen – und alle freiwillig: Internationale Vorgaben für die Einsparung von Treibhausgasen werde der Kongress, das Parlament in den USA, nicht billigen. Jeder Staat solle seine Beiträge selbst festlegen, damit sei die Differenzierung gewahrt. Aber alle müssten verpflichtet sein, transparent zu berichten, ob sie ihre Ziele einhalten. Und alle müssten ihre Ziele nach und nach verschärfen.

Das Paris-Abkommen folgt diesem Ansatz (vgl. Kasten) – es hat die UNFCCC umgeschrieben. Warum konnte sich Kerry in Paris weitgehend durchsetzen, obwohl die USA bisher ein Bremser beim Klimaschutz waren und ihre Emissionen bis zur Wirtschaftskrise 2008 ständig gestiegen sind? Die Regierung Obama wollte ein Abkommen – aber eines, das der Kongress, in dem Gegner des Klimaschutzes eine solide Mehrheit haben, nicht zu Fall bringen könnte. Städte, Regionen und viele Unternehmen traten in Paris lautstark für Klimaschutz ein und setzten die Regierungen unter Druck. Vor allem aber hatte sich in den vergangenen zehn Jahren in der Klimadiplomatie weltweit bereits die Einsicht verbreitet, dass ein Neuansatz unumgänglich war: Man musste die USA einbinden und dem Aufstieg der Schwellenländer Rechnung tragen.

Der Klimavertrag von Paris

Der Klimagipfel in der französischen Hauptstadt hat ein Dokument verabschiedet, das aus einer „Entschließung“ und einem kürzeren, aber rechtsverbindlichen „Abkommen“ besteht. ...

Den Anstoß für das Umdenken gab das Scheitern des Kyoto-Protokolls von 1997. Es verpflichtete die Industrieländer, ihre Emissionen bis 2012 um zusammen gut fünf Prozent gegenüber 1990 zu vermindern. Doch der Kongress in den USA, dem damals größten Emittenten, lehnte das Protokoll ab, und Präsident George W. Bush zog 2001 die Unterschrift der USA zurück. Kyoto trat 2005 dennoch in Kraft, erfasste aber lediglich einen stetig schrumpfenden Teil der globalen Emissionen.

Denn der Treibhausgas-Ausstoß von Schwellenländern steigt – besonders seit der Jahrtausendwende in China. Dessen Anteil am globalen Ausstoß hat sich auf heute etwa 27 Prozent ungefähr verdoppelt; der Anteil Indiens ist von rund vier auf sieben Prozent gestiegen. Pro Kopf allerdings emittieren US-Amerikaner noch mehr als doppelt so viel Treibhausgase wie Chinesen und Deutsche und rund achtmal so viel wie Inder. Noch mehr ist es in reichen Ölstaaten am Persischen Golf – und die gehören formal zur Gruppe der Entwicklungsländer.

Diese Gruppe hat sich stark aufgefächert: Ölländer lehnen mehr Klimaschutz ab – in Paris taten sich damit Saudi-Arabien und Venezuela hervor. Schwellenländer wie China und Indien suchen im eigenen Interesse Entwicklungswege mit weniger Emissionen; aber sie pochen auf ihre Souveränität und wollen nicht für Folgen des Wohlstands in Industrieländern bluten. Viele der ärmsten Länder sind für Klimaänderungen besonders verwundbar und drängen seit langem, mehr dagegen zu tun. Das aber machten die USA und Japan davon abhängig, dass China sich beteiligte. China und Indien wollten das allenfalls freiwillig und wenn die reichen Länder bezahlten.

Dies blockierte die Anläufe für einen globalen Klimavertrag nach dem top-down-Ansatz des Kyoto-Protokolls. Der müsste global festlegen, wie viele Emissionen eingespart werden sollen und die Summe bindend auf zu Minderungen verpflichtete Länder verteilen. Das scheiterte endgültig in Kopenhagen Ende 2009. Doch der „Konsens“, den dort führende Industrie- und Schwellenländer hastig entwarfen, wies einen Ausweg: Alle Staaten sollten erst einmal auflisten, was sie freiwillig zum Klimaschutz beitragen wollen. Der Gipfel in Warschau 2013 machte daraus „unabhängige national festgelegte Beiträge“, sogenannte INDCs. Die hatten 185 Staaten bis Anfang Dezember eingereicht. Damit hatten sie im Grunde schon vor der Pariser Konferenz akzeptiert, dass bei den Minderungszielen künftig Differenzierung durch Selbsteinschätzung gilt.

Doch damit war der Konflikt über das Prinzip nicht gelöst. Viele Entwicklungsländer banden ihre Klimaschutz-Zusagen an finanzielle Unterstützung aus dem Norden und bestanden in Paris darauf, dass bei den Finanzen die besondere Verantwortung der Industrieländer weiter gilt. Außerdem wollten sie, dass ihre INDCs weniger Transparenz- und Prüfungspflichten unterworfen würden als die der Industrieländer. Diese erfassen seit 1992 in nationalen Kohlenstoff-Registern, wie viele Treibhausgase freigesetzt und von Senken wie Wäldern aufgenommen werden. Das ist sehr aufwendig. „Wenn wir ein solches Register aufbauen müssen, ist das für uns eine enorme Belastung“, erklärte Raju Chhetri, der als freier Berater zur Verhandlungsdelegation Nepals gehörte.

Kernprobleme des Paris-Abkommens

Ohne Transparenz wäre aber der Neuansatz des Paris-Abkommens wirkungslos. Denn ein Kernproblem beim Klimaschutz ist, dass alle mitmachen müssen: Kein Staat nimmt sich freiwillig ehrgeizige Treibhausgas-Minderungen vor, wenn er erwartet, dass der Nutzen von anderen zunichte gemacht wird. Damit die Regierungen erkennen, dass alle bedeutenden Emittenten ihre Beiträge leisten, müssen diese transparent und überprüfbar sein. Diese Forderung hat sich in Paris weitgehend durchgesetzt.

Ein weiteres Kernproblem des Paris-Abkommens ist, dass die Staaten zu geringe Minderungen versprechen. Die vorliegenden INDCs werden, wenn sie alle eingehalten werden, die Emissionen und damit die Erderwärmung bremsen. Sie dürfte aber bis 2100 immer noch 2,7 bis 3,7 Grad betragen – je nachdem, welches Wirtschaftswachstum und welche künftige Klimapolitik man unterstellt. Deshalb müssen die nationalen Ziele ständig verschärft werden.

Strittig war in Paris, wie schnell das beginnen sollte – und ob getreu dem Prinzip der Differenzierung die Entwicklungsländer schärfere Ziele von mehr Hilfszahlungen der Industrieländer abhängig machen sollten. Der Süden wollte Finanzhilfen, auch solche für Anpassung an die Folgen der Erd­erwärmung, zum Teil der regelmäßigen Prüfungen machen. Und mit der Verschärfung der Ziele sollten auch diese Zahlungen steigen. Zudem wandten sich Südländer gegen Bestrebungen im Norden, stark auf Kredite und Privatinvestitionen zu setzen und Beiträge aus Öl- und Schwellenländern einzufordern: Süd-Süd-Hilfe sei freiwillig, Nord-Süd-Hilfe aber eine Verpflichtung unter der UNFCCC. Intern wurde in der Gruppe der Entwicklungsländer durchaus diskutiert, dass etwa Südkorea oder Saudi-Arabien mehr tun und mehr zahlen sollten. Die harte Haltung der Industrieländer, unter anderem bei Finanzen, ließ den Süden aber oft die Reihen schließen.

Doch der Kompromiss in Paris ist auch neuen Koalitionen zu verdanken. Die Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) hatten bereits Mitte 2015 eine informelle Gruppe mit der Europäischen Union (EU) gebildet. Sie wollte das langfristige Ziel verankern, die Erderwärmung eher auf 1,5 als auf zwei Grad zu begrenzen; ein Abkommen rechtlich bindend machen; und die Umsetzung der INDCs einheitlich messen und alle fünf Jahre überprüfen.

Das nahm den Kern der Einigung vorweg. Auf der Konferenz trat die Gruppe als „High Ambition Coalition“ hervor – und wuchs ständig. Die USA schlossen sich an und gestanden die Verschärfung des Zwei-Grad-Ziels zu. Brasilien schloss sich zwei Tage später der Koalition an und ließ dabei die Forderung nach Differenzierung bei der Berichtspflicht fallen. Einen Tag später konnte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius die Annahme des Abkommens verkünden.

Gefährliches Schlupfloch

Ein Instrument der Klimafinanzierung im Süden hat eine unklare Zukunft: der Clean Development Mechanism (CDM). Er wurde mit dem Kyoto-Protokoll geschaffen, damit Industrieländer ihre Pflichten zur ...

Im Ergebnis sollen nun auch arme Länder Emissionen einsparen, während reiche weiter übermäßig Platz in der Atmosphäre beanspruchen. Das ist ein Abschied von Klimagerechtigkeit, wie sie in der UNFCCC theoretisch angelegt ist. Trotzdem sind die neuen Regeln ein Fortschritt, falls sie wirksamer sind als die alten. Denn alle Länder gewinnen und am meisten die ärmsten, wenn die Erderwärmung möglichst klein gehalten werden kann.

Kann das gelingen? Nun sollen freiwillige Ziele plus Transparenz und Überprüfungspflicht plus Hilfe die Staaten dazu bringen, immer mehr zu tun – begünstigt vom technischen Fortschritt. Am ehesten dürfte das dort zu Emissionsminderung beitragen, wo es technische Lösungen gibt, die wirtschaftlich lohnend erscheinen. Das gilt vor allem für die Stromerzeugung: Das Abkommen dürfte den Übergang zu erneuerbaren Energien globalisieren und beschleunigen. Vor allem in Afrika können Gebiete, die noch keine Elektrizität haben, die Kohlekraft überspringen und sofort Wind- oder Solarstrom erhalten.

Es wird auch mehr Geld in den Waldschutz und in klimafreundliche Agrarmodelle im Süden fließen; Deutschland und Norwegen haben ihre Hilfe für Waldschutz bereits aufgestockt. Doch die Emissionen der Landwirtschaft im Norden wurden in Paris nur am Rande behandelt. Nachhaltige Konsummuster tauchen nur in einem Satz in der Präambel auf. Im Verkehr werden technische Lösungen wie die Elektrifizierung nicht genügen, um fossile Energien schnell zu ersetzen. Und Flugverkehr und Schifffahrt, deren Emissionen nicht von Staaten erfasst werden und stark steigen, bleiben unreguliert. Die EU versuchte in Paris vergebens, das zu ändern.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".
Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird sicher nicht gelingen. Was dazu nötig ist, haben die Staaten in Paris gerade nicht beschlossen: Die globalen Emissionen müssten laut führenden Klimaforschern um 2020 ihren Höhepunkt erreichen. Danach müssten reiche Länder bis 2030 jede Kohlendioxid-Emission beenden, arme müssten ein bis zwei Jahrzehnte später folgen.

Eine Dekarbonisierung wollten die führenden Industrieländer (G7) im Paris-Abkommen vorsehen – jedoch erst für die zweite Hälfte des Jahrhunderts. Vor allem Ölstaaten sorgten dafür, dass stattdessen vereinbart wurde, die Wirtschaft solle „treibhausgas-neutral“ werden. Dann darf weiter emittiert werden, wenn zum Ausgleich CO2 abgetrennt und in die Erde gepresst oder mehr Kohlenstoff in Senken gebunden wird, etwa durch Aufforstung. Dies sind zum guten Teil Luftbuchungen, kommentierten führende Klimaforscher in Paris. „Die globalen Emissionen müssen Null werden, wenn die Erdtemperatur irgendwo stabilisiert werden soll – ob bei 1,5 Grad, zwei Grad oder sonst wo“, sagte der Norweger Joeri Rogelj.

Zudem soll das Paris-Abkommen erst 2020 in Kraft treten. Wenn man den Temperaturanstieg unter zwei Grad halten will, muss man vorher zusätzlich Emissionen senken. Hier sollen Unternehmen, Städte und Regionen in die Bresche springen. Dass ihre Klimaschutz-Initiativen die Versäumnisse der Regierungen vor 2020 ausgleichen können, ist aber sehr zweifelhaft. Das Abkommen von Paris wird alleine die Erd­erwärmung nicht bremsen. Es kann allenfalls den Regierungen Klimaschutz-Initiativen erleichtern und dafür neue Anreize setzen. Mehr kann man von einem internationalen Vertrag nicht erwarten.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2016: Seuchen: Unsichtbare Killer
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