Die Debatte über die Flüchtlingsproblematik hat viele Facetten: Es geht um Ressentiments und Rassismus, um Geld und die Verteilung von Flüchtlingen, um nüchterne Zahlen – und manchmal auch um die Menschen dahinter. Hier und da geht es auch um die Frage, wie Flüchtlinge dazu gebracht werden können, ihre Heimat erst gar nicht zu verlassen.
Die Diskussion kreist dabei aber vor allem um die Migration aus afrikanischen Ländern: Um der jungen Generation dort Perspektiven zu bieten, brauche es wirtschaftliche Entwicklung und Investitionen in Bildung und Arbeitsplätze, heißt es. Dazu könnten eine gerechtere Handelspolitik und mehr Entwicklungshilfe beitragen. Das alles ist wichtig und richtig. Aber auf die Migrationsbewegungen nach Europa wird es auf absehbare Zeit keine Auswirkungen haben.
Der Exodus aus Afrikas bleibt ein Mythos
Denn die Formel „Mehr Wohlstand bedeutet weniger Migration“ ist falsch. Bekanntlich wandern vor allem aus jenen Regionen junge Menschen aus, in denen es wirtschaftlich bergauf geht. Außerdem: Der Anteil jener, die aus wirtschaftlicher Not ihr Land in Richtung Europa verlassen, ist relativ gering. In Deutschland wurden im ersten Halbjahr 2015 weniger als ein Fünftel aller Asylanträge von afrikanischen Staatsbürgern gestellt. Knapp die Hälfte davon kam aus Eritrea, Somalia und Nigeria. Dort treiben vor allem politisches Chaos und Unterdrückung die Menschen in die Flucht. Der Exodus der armen Afrikaner nach Europa ist ein Mythos.
Solange die Europäische Union (EU) im Rahmen des „Migrationsmanagement“ und der Abschottungspolitik mit afrikanischen Despoten etwa in Eritrea oder Sudan kooperiert statt politisch Druck auf sie auszuüben, bleibt die Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika eine leere Phrase und ein Symbol für eine verlogene Außenpolitik.
Ähnliches gilt für den Nahen Osten. Wer ernsthaft über die Ursachen der Flucht sprechen will, kommt an den Bürgerkriegen in Syrien, Irak und Afghanistan nicht vorbei. Von dort stammt inzwischen mehr als jeder zweite neue Asylbewerber in Deutschland. Paradoxerweise aber schwindet in der Öffentlichkeit das Interesse an diesen Konflikten, je mehr Kriegsflüchtlinge nach Deutschland kommen. Zwischen Budapest und Heidenau ist kein Platz für Aleppo oder Kundus.
Holt mehr Kontingentflüchtlinge nach Europa
Und das hat einen einfachen Grund. Im Angesicht der Flüchtlinge müssen wir uns unsere Hilfslosigkeit eingestehen. Deutschland wird die verfahrenen Konflikte im Nahen Osten nicht lösen können. Ein erneutes militärisches Eingreifen in Afghanistan oder eine Intervention in Syrien gar bergen unkalkulierbare Risiken.
Deutschland sollte sich deshalb auf diplomatische Bemühungen beschränken. Das bedeutet aber auch, dass die Menschen in Syrien weiter den Fassbomben Assads und dem Terror des Islamischen Staats ausgeliefert sind – und noch viele mehr in Europa Zuflucht suchen werden. Ihnen muss man den Weg hierher erleichtern. Zum Beispiel indem die EU die Zahl der syrischen Kontingentflüchtlinge deutlich aufstockt und die Flüchtlinge aus dem Libanon oder der Türkei direkt einfliegt, statt sie unterwegs in Lastwagen oder auf dem Mittelmeer sterben zu lassen. Dazu sollten Europa und gerade Deutschland in der Lage sein.
Betretenes Schweigen
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Gedanken in dem Artikel sind wichtig und richtig.
Beim Lesen habe ich gedacht: wir werden noch hilfloser sein (und dann vielleicht nicht mehr betreten schweigen), wenn wir angesichts der voraussichtlich weiter stark anschwellenden Flüchtlingsströme feststellen werden, dass wir den vielen Hilfe Suchenden und Hilfebedürftigen nicht (oder: nicht mehr) den Schutz bieten können, den sie brauchen. Es wird wie bei den Sturzregen sein, denen unsere Infrastruktur, wie bereits mehrfach erlebt, auch nicht standhalten kann.
Der Handlungsdruck ist riesig und wird sich noch erhöhen. Einzelne Maßnahmen reichen bestimmt nicht. Dennoch: die wichtigste scheint mir zu sein, die Kriege zu stoppen und neue zu verhindern - in Europa z.B. schicken wir gerade unsere Soldaten in die osteuropäischen Staaten - zu einem neuen Kampf mit den Russen ... ? Man mag es gar nicht zu Ende denken.
Mit freundlichen Grüßen
Cay Gabbe
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