Kuhdiebstahl oder von den Herden abgefressener Weizen: Immer wieder war es in Yirol zu Konflikten zwischen Viehhirten und Bauern gekommen. Waffen zählten dort, zwischen dem Dinkasee und dem Yirolfluss, zum normalen Stadtbild; oft endete ein Streit gewaltsam. Das änderte sich im Frühjahr 2013: Drei Schilder mit rot durchgestrichenen Pistolen, Messern und Speeren an den Straßen zur Stadt zeigten es an: Die Innenstadt von Yirol war jetzt eine waffenfreie Zone.
„Bei unserer Arbeit geht es viel ums Zusammenkommen und das Schaffen sicherer Räume“, sagt Anne Ritter. Die 29-Jährige war von 2013 bis 2014 für die internationale nichtstaatliche Organisation Nonviolent Peaceforce (NP) als Friedensfachkraft im Südsudan. Dort kämpfen seit Dezember 2013 rivalisierende Milizen in einem blutigen Bürgerkrieg um die Macht. Das Land war erst zwei Jahre zuvor nach jahrzehntelangen Kämpfen in die Unabhängigkeit entlassen worden. Die dauernde Erfahrung von Gewalt bleibt nicht ohne Folgen. „Die Konflikte ziehen sich bis in den Kern der Gesellschaft“, sagt Ritter. Genau da setzt die Arbeit der 2002 gegründeten NP an.
Die 20 Quadratkilometer große waffenfreie Zone in Yirol hatten die Friedensfachkräfte gemeinsam mit staatlichen Akteuren und Jugendlichen aus der Stadt errichtet. Das entspricht einem Grundsatz der NP: Die lokale Zivilbevölkerung bleibt für sich selbst verantwortlich und wird nur organisatorisch unterstützt. So sollen Menschen in Krisen- und Konfliktgebieten geschützt, Friedensprozesse begleitet und Gewalt verhindert werden.Im Südsudan ist die NP seit 2010 im Einsatz. Das ist nicht immer einfach. Im Krieg Gelerntes wird von Generation zu Generation weitergetragen. „Wir arbeiten in einem Kontext, in dem Zehnjährige aus Matsch perfekte Kalaschnikows nachbauen können“, sagt Ritter.
Ritter war unter anderem in Mingkaman im Zentrum des Landes im Einsatz. Dorthin wurden nach Angaben der Vereinten Nationen durch den Bürgerkrieg rund 100.000 Männer, Frauen und Kinder vertrieben. Das ehemalige Fischerdorf am Nil wurde zum größten Vertriebenenlager des Landes. „Es geht oft ganz grundsätzlich darum zu zeigen: Wir sind da. Und dann zusammen mit allen Parteien am Konflikt zu arbeiten“, sagt Ritter. Zum Alltag gehören Rundgänge über das Gelände und Gespräche: Wie geht es mit dem Bau der Unterkünfte voran? Wer ist noch nicht registriert? Wie läuft es mit der Nahrungsmittelverteilung? „Wir wollen eine Plattform schaffen, damit die Leute sagen können, was falsch läuft“, erklärt Ritter.
Männer in der Frauengruppe
Jeden Samstag gab es in Mingkaman Treffen mit anderen Hilfsorganisationen und Sprechern verschiedener Gruppen des Lagers. So wurden etwa Unterkünfte für schwangere Frauen geschaffen. Vorbehalte gegen die Teams der NP gebe es bei solchen Zusammentreffen nicht. Das liegt auch an der Arbeitsweise von NP, vermutet Ritter. Friedensfachkräfte werden nur eingesetzt, wenn lokale Gruppen sie einladen. Außerdem arbeiten Einheimische in den Teams mit. Das erleichtere die Kommunikation und helfe, Vorurteile abzubauen und Gerüchte zu unterbinden, sagt Ritter – zumindest bis zu einem gewissen Grad.
Der südsudanesische Präsident Salva Kiir und sein Rivale Riek Machar gehören unterschiedlichen Volkgruppen an; Kiir ist Dinka, Machar ist Nuer. Der Krieg hat die Spannungen zwischen beiden Volksgruppen zusätzlich angeheizt. Dinka-Mitarbeiter in einem Einsatzort der Nuer arbeiten zu lassen sei riskant, sagt Ritter. Es gehe nicht darum, sich blind zwischen die Fronten zu werfen. Sondern darum zu zeigen, dass Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. Oft beginne das Misstrauen schon innerhalb der Familien.
Der Südsudan sei eine sehr männerdominierte Gesellschaft, erklärt Ritter. Die Arbeit mit Frauengruppen ist deshalb ein Schwerpunkt der NP. In Wat im Norden von Jonglei State hatte sich ihr Team 2013 an eine lokale Frauenorganisation gewandt, um mit ihr Trainings im gewaltfreien Schutz der Zivilbevölkerung zu organisieren. Eigentlich waren 15 Teilnehmerinnen vorgesehen. Anders als geplant forderte die Leiterin der Gruppe jedoch, dass zusätzlich fünf Männer teilnehmen. Der Grund: Die Männer sollten nicht das Gefühl haben, etwas geschehe hinter ihrem Rücken. Das hätte zu noch größerer Unsicherheit für die Frauen führen können und das Ziel der Übung – Konflikte gewaltfrei lösen – ins Gegenteil verkehrt.
Obwohl Hilfsorganisationen vor einer humanitären Katastrophe im Südsudan warnen, geht die Arbeit dort für die elf Teams der NP weiter. Erst Ende Mai wurden laut der Website neue Mitarbeiter in der Hauptstadt Juba geschult, und im April lernten weitere 36 junge Dinka-Frauen, wie ziviles Peacekeeping funktioniert. Die Gruppenleiterin, heißt es weiter, sei eine Nuer. Das zeige, dass die Idee der gewaltfreien Konfliktbearbeitung aufgeht.
Autorin
Hanna Pütz
hat bei „welt-sichten“ volontiert und ist jetzt Online-Redakteurin bei „Aktion Deutschland Hilft“ in Bonn.Die Grenzen dieser Idee sieht Anne Ritter da, wo niemand mehr zum Kompromiss bereit ist, so wie an den Frontlinien des Krieges: „Gewalt mit Gewalt gegenübertreten, bringt nichts. Ich kann mit meinen Worten keine Kugel aufhalten, wenn jemand wirklich schießen will.“ Doch manchmal wiederum gelinge genau das, ergänzt sie. So wie im April 2014, bei einem Überfall auf ein UN-Flüchtlingslager in Bor. Fast 60 Menschen wurden in dem Ort südlich der riesigen Sumpfgebiete im Südsudan erschossen, überwiegend Nuer. Zwei Kollegen von Ritter stellten sich schützend vor mehr als ein Dutzend Frauen und Kinder und stoppten so die Angreifer – mit beruhigenden Worten und ganz ohne Waffen.
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