Ein Problem der Entwicklungspolitik ist, dass sie solche Sprecher wie den irischen Rockstar Bono hat: Ständig wollen sie uns weismachen, es müsse der Weltuntergang verhindert werden. Auch zum Start des Entwicklungsjahres 2015 hat der singende Entwicklungsguru wieder das größte Geschrei gemacht, dieses Mal unterstützt von einem Backup-Chor aus mehr oder weniger prominenten Leuten aus Politik, Gesellschaft und Showbusiness: 2015 sei „das wichtigste Jahr dieses Jahrtausends, um Entscheidungen mit globaler Wirkung zu treffen“, heißt es in einem offenen Brief der illustren Koalition an die „sehr geehrten Staats- und Regierungschefs“. Was dieses Jahr beschlossen werde, „wird die Weichen für das Schicksal der Welt in den nächsten Jahrzehnten stellen“. Zur Erinnerung: In der Klimapolitik wurde in der vergangenen Dekade jedes zweite Jahr zu einem solchen „Schicksalsjahr“ erklärt.
Worum geht es 2015 tatsächlich? Dieses Jahr stehen drei globale Konferenzen an, die nicht über das Schicksal der Welt entscheiden, wohl aber über die Glaubwürdigkeit internationaler Entwicklungs- und Umweltpolitik. Es geht los mit der Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im Juli in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Das wird die leichteste Übung sein, denn großzügige, aber unverbindliche Geldversprechen gehen den Regierungen noch am ehesten über die Lippen. Der härteste Brocken steht am Jahresende mit der Klimakonferenz in Paris, auf der ein neues Klimaschutzabkommen verabschiedet werden soll. Ein Erfolg ist nicht ausgeschlossen, derzeit sieht es aber mehr nach einem Scheitern aus.
Vieles hängt vom Ausgang der Klimakonferenz im Dezember ab
Das jedoch wäre fatal für das dritte Großereignis im Entwicklungsjahr 2015: die Verabschiedung der globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) in New York wenige Wochen vor der Klimakonferenz. Sollten die Klimaverhandler ohne Ergebnis aus Paris abreisen, würde das die SDGs sofort schwächen: Welchen Wert hat ein Katalog von Nachhaltigkeitszielen, der für eine saubere, friedliche und gerechte Welt sorgen soll, wenn sich die Regierungen gleich beim ersten und derzeit drängendsten globalen Umweltproblem nicht auf eine Lösung einigen können?
Es steht einiges auf dem Spiel, denn so wie das Klimaprotokoll sind auch die Nachhaltigkeitsziele selbst noch nicht in trockenen Tüchern. Die aufstrebenden Schwellenländer wie China oder Brasilien können nicht viel mit ihnen anfangen, England mit seinem einflussreichen staatlich-nichtstaatlichen Entwicklungshilfekomplex möchte lieber eine Fortsetzung der alten UN-Millenniumsziele, bei denen die Reichen den Armen helfend unter die Arme greifen. Und auch die Bundesregierung ist sich intern offenbar noch keineswegs einig über ihre Position.
Die entwicklungspolitische Zivilgesellschaft ist gespalten, wie stark sie sich für die SDGs engagieren soll. Wenn sie sich mit ihrem ganzen Gewicht in die Verhandlungen einbringt, riskiert sie, für einen faulen Kompromiss mit in Haftung genommen zu werden. Die nichtstaatliche Entwicklungsszene in Deutschland hat diese Erfahrung gerade gemacht: Bereitwillig hat sie sich im vergangenen Jahr vor den Karren der sogenannten Zukunftscharta spannen lassen, die das Entwicklungsministerium im Eiltempo aus dem Boden gestampft hat. Und jetzt werden die Gesichter immer länger, da sich herausstellt, dass das Ministerium wohl vor allem an der Hochglanzbroschüre interessiert war, auf die die Charta gedruckt wurde, weniger aber an der Frage, wie sie sich denn verwirklichen ließe.
Müller hat die Zivilgesellschaft mit Populismus bei Laune gehalten
Das entspricht dem Politikstil des amtierenden Entwicklungsministers in seinem ersten Amtsjahr: Mit viel Schwung stößt Gerd Müller eine Initiative nach der anderen an und dreht gern das ganze große Rad. Aber für die entwicklungspolitische Kärrnerarbeit, die danach getan werden muss, zeigt er wenig Interesse – und manchmal auch wenig Verständnis. Das unterscheidet ihn von seiner Vor-Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul: Auch die hatte stets die großen Zusammenhänge „globaler Strukturpolitik“ im Blick, wusste das aber meistens mit den Erfordernissen und Bedingungen der entwicklungspolitischen Praxis zu verbinden.
Der anfänglichen Euphorie in der Zivilgesellschaft über Gerd Müller nach den bleiernen Niebel-Jahren folgen zunehmend Zweifel und Ernüchterung. Das wird auch höchste Zeit. Denn die Art und Weise, wie der CSU-Politiker die entwicklungspolitische Szene bisher bei Laune gehalten hat, kann man auch einfach das nennen, was sie ist: Populismus. Im Entwicklungsjahr 2015 sollte sich die deutsche Zivilgesellschaft deshalb von ihrem Schmusekurs gegenüber dem Entwicklungsministerium verabschieden und häufiger wieder etwas kratzbürstiger werden.
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