Die gesamte Karibik wird regelmäßig von Tropenstürmen heimgesucht. In Haiti aber kosten sie am häufigsten Menschenleben – auch verhältnismäßig schwache Stürme wie „Isaac“ Mitte 2012: Er löste Erdrutsche aus, sieben Menschen kamen um. Schuld ist sind nicht nur die Armut und die schlechte Infrastruktur, sondern auch die fortgeschrittene Bodenerosion.
Fast alle Wälder Haitis sind seit der Kolonialzeit gefällt worden. Der Waldboden wurde weitgehend fortgewaschen, die dünne restliche Schicht kann starke Regenfälle nicht speichern. Wenn sie zu Tal strömen, nehmen sie weiteren Boden mit. Ein Drittel des Landes ist nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar. Bodenverlust ist hier eine Folge, aber auch eine Ursache von Armut und Hunger.
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Der Boden steckt voller Leben
Böden sind nicht nur Lehm, der lästig an den Stiefeln klebt. Sie sind faszinierende Bio-Reaktoren, in denen Stoffe ausgetauscht und umgewandelt werden. In ihren Poren halten sie Wasser fest und leiten Luft und Wasser durch Gänge, die Wurzeln, Würmer oder Termiten hinterlassen. Ein Teil der Bodenmasse – bei einer deutschen Wiese ungefähr sieben Prozent – besteht aus organischem Material. Das meiste davon sind Pflanzenreste, ein Zehntel Wurzeln und rund fünf Prozent Bodenlebewesen wie Würmer, Insekten sowie mikroskopisch kleine Pilzfäden und Bakterien. Dieser winzige Anteil hat es in sich: „In einer Handvoll von unserem fruchtbaren Boden stecken mehr einzelne Lebewesen, als es Menschen auf der Erde gibt, und rund 20.000 verschiedene Arten“, erklärt der Umweltwissenschaftler Nikola Patzel.
Wie Böden sich bilden und altern
Bodenbildung beginnt damit, dass Gestein verwittert und fein zerkleinert wird. Wie fein, hat großen Einfluss darauf, wie gut ein Boden Wasser und Nährstoffe speichern kann. Bei Körnern, die ...
Insekten und Bodenorganismen zerkleinern und verdauen zudem Pflanzenreste, Exkremente und tote Tiere und füllen so den Vorrat an Mineralien im Boden wieder auf. Dabei reichert sich in der oberen Bodenschicht mehr oder weniger umgewandeltes organisches Material an, der sogenannte Humus. Er bildet mit Bodenorganismen und winzigen Gesteinsteilchen, den Tonmineralen, Krümel und Knötchen. Das hält Nährstoffe fest, schützt den Boden vor Erosion und hilft ihm Wasser zu speichern. Fruchtbar machen einen Boden der Humus und das Bodenleben, betont Patzel.
Das heißt allerdings nicht, dass der Untergrund unwichtig wäre. Nicht überall kann sich guter Boden bilden. Auf Sandböden in Brandenburg lassen sich nicht so hohe Erträge erzielen wie im Kölner Becken. Noch größer sind die Unterschiede zwischen den Klimazonen und Kontinenten. Landwirtschaftlich günstige Böden liegen häufiger auf der Nordhalbkugel; zu den reichsten gehören die Schwarzerden von der Ukraine bis Süd-Sibirien und in Teilen der USA. Nahe am Äquator sind dagegen viele Böden arm an Nährstoffen und reich an Säure und Eisen, sodass Pflanzen dort schlecht Phosphor aufnehmen können.
Das ist ein Ergebnis von vielen Jahrtausenden der Bodenbildung und -alterung. Sie wird erstens vom Gestein beeinflusst – zum Beispiel vom Kalk- oder Tongehalt. Der zweite Faktor ist das Alter. „Die fruchtbarsten Böden liegen in den gemäßigten Klimazonen, weil sich dort seit der letzten Eiszeit neue Böden gebildet haben“, erklärt der Leipziger Geograph Burghard Meyer. Damals, bis vor rund 12.000 Jahren, haben in großen Teilen Nordamerikas, Europas und Sibiriens Eismassen Gestein zermahlen. Der Wind hat dann feines Gesteinsmehl, den Löss, in breiten Landstrichen abgelagert – von Frankreich bis China sowie in den USA. „Löss ist ein junges Sediment mit günstiger Zusammensetzung; es enthält ausreichend Kalk und etwas Ton“, sagt Meyer.
Für junges, mineralreiches Gestein sorgen auch Vulkane wie in Teilen Japans, Indonesiens, der Anden und an den Großen Seen im Ostkongo.Diese Böden sind fruchtbar, aber selten. Die Landmasse Afrikas (außer am ostafrikanischen Grabenbruch) und das Amazonasbecken in Südamerika sind jedoch seit Millionen Jahren geologisch stabil – ohne Vulkane, Gebirgsbildung oder Vereisung. Die Böden dort sind daher sehr alt. „Deshalb sind sie viel stärker verwittert und die Tonminerale degradiert“, sagt Johan Six, Professor für Agrar-Ökosysteme an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Eisenverbindungen und Säure haben sich angereichert. Üppige Regenwälder gedeihen hier nur, weil sie das Recycling auf die Spitze treiben: Alles organische Material wird sofort von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen wiederverwendet – ohne Umweg durch den Boden. Humus entsteht kaum.
Ein dritter Faktor der Bodenbildung ist das Klima. In der feuchten und kühlen Nadelwaldzone Europas, Russlands und Nordamerikas entsteht wenig und saurer Rohhumus, Regen wäscht die obere Bodenschicht stark aus. In der anschließenden, wärmeren Laubwaldzone ist brauner, landwirtschaftlich gut nutzbarer Boden entstanden. Wo es noch trockener wird und heiße Sommer mit kalten Wintern wechseln, ist die Zone der Steppen mit hohen Gräsern, der Prärien. Sie haben zusammen mit den Weidetieren reiche Schwarzerden aufgebaut – in vielen Fällen begünstigt von Löss. Die argentinische Pampa ist das einzige große Vorkommen der Südhalbkugel. Mit weiter zunehmender Trockenheit geht dann die Vegetation in kurze Gräser über, der Boden wird magerer bis hin zu dünnen Böden auf sandigem Untergrund, die in den Trockenzonen verbreitet sind.###Seite2###
Viertens hängt die Bodenbildung von der Landschaftsform ab – dadurch entstehen auch auf kleinem Raum verschiedene Böden. An Berghängen bleiben sie oft flach, weil Wasser oder Wind sie ständig abtragen. Das Sediment lagert sich in Flusstälern ab und schafft fruchtbare Auenböden, die bei Fluten mit Mineralstoffen versorgt werden. Nicht zufällig sind die ersten Hochkulturen auf solchem Schwemmland entstanden: am Nil, am Gelben Fluss, an Euphrat und Tigris. Senken, in denen sich Wasser staut, können zu besonderen Böden führen wie in Mooren.
Fünftens hat der Mensch enormen Einfluss auf den Boden. Seit es Landwirtschaft gibt, wurden Wälder gerodet, Kulturland gestaltet und Böden verändert. Manches Land wurde dem Meer abgerungen wie in den Niederlanden. In einzelnen Regionen wie Griechenland sind schon in der Antike Böden als Folge von Abholzung degradiert.
Heute droht in großen Teilen der Welt ein Verlust an Bodenfruchtbarkeit. Böden sind neuartigen Belastungen ausgesetzt: Chemikalien aus der Industrie gelangen in die Umwelt und zum Beispiel in China mit der Bewässerung auf die Äcker – das macht dort Grundnahrungsmittel inzwischen zur
Gesundheitsgefahr. Und die Urbanisierung führt dazu, dass mehr Land bebaut oder für Verkehrsflächen versiegelt wird (vgl. den Beitrag auf Seite 33). Wachsende Städte „liegen oft in den fruchtbarsten Gebieten wie bei Paris und Schanghai. Sind dort die Böden einmal versiegelt, dann sind sie für die Landwirtschaft verloren“, sagt Burghard Meyer.
Zum anderen degradiert die Landwirtschaft viele Böden; sie verlieren Humus. Dies ist bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar, erklärt Johan Six. In natürlichen Ökosystemen finden Pflanzen, Tiere und Bodenorganismen auf Dauer ein Gleichgewicht zwischen Humusaufbau und -abbau. „Wann immer man Wald oder Grünland in Äcker verwandelt, verschlechtert sich der Boden, wird Humus abgebaut.“ Das muss laut Six aber nicht schlimm sein: Auf niedrigerem Niveau kann sich bei angepasster Bewirtschaftung wieder ein Gleichgewicht einstellen.
Doch die meisten Praktiken der heutigen Landwirtschaft bauen ständig Humus ab, sagt Patzel. Große Maschinen verdichten den Boden mit ihrem Gewicht, so dass weniger Wasser und Luft zirkuliert. Das Pflügen beseitigt die Pflanzendecke und erhöht so die Gefahr der Erosion. „Starke Bodenbearbeitung zerstückelt die Pilzfäden und bringt viel Luft in den Boden; beides fördert Bakterien, die organisches Material zersetzen“, sagt Patzel. Das gleiche bewirke Stickstoffdünger, zumindest in größeren Mengen. Die ökologische oder die pfluglose Landwirtschaft mit Fruchtwechsel vermeiden zumindest einen Teil dieser Schäden.
Humus ist laut Patzel auf alten, mageren Böden der Tropen noch wichtiger für die Bodenfruchtbarkeit als in Europa, weil der Untergrund kaum mehr Nährstoffe enthält. Manche Experten fordern, dort auf chemischen Stickstoffdünger zu verzichten, weil er den Humus schädigt. Johan Six teilt diese Ansicht nicht: In kleinen, für Pflanzen sofort nutzbaren Mengen nütze Strickstoffdünger und erhöhe die Erträge – allerdings nur, wo genug Humus aufgebaut ist, zum Beispiel mit Hilfe von Mist und Kompost. Für extrem verwitterte Böden der Regenwaldzone ist am ehesten Agro-Forstwirtschaft geeignet, bei der Bäume, Sträucher und Hackfrüchte zusammen kultiviert werden.
Dass solche bodenschonenden Anbauweisen in Nord wie Süd zu wenig angewandt werden, hat vielfältige soziale und politische Gründe. Bauern müssen mit verfügbaren Mitteln Einkommen erzielen. Das kann auf kurze Sicht in Konflikt mit Bodenpflege stehen – zum Beispiel wenn es nicht für alle Produkte einer ökologisch wünschenswerten Fruchtfolge einen Markt gibt. Zudem leben in armen Ländern meist die ärmsten Bauern von den schlechtesten Böden und sind gezwungen, sie auszubeuten. Nachhaltige Anbauweisen würden ihnen vielleicht Kosten sparen oder den Ertrag erhöhen. Aber sie erfordern Beratung, Zugang zu Märkten, ausreichend verfügbare Arbeitskraft und Preise, die den Aufwand rechtfertigen. Auch unsichere Landrechte können ein Problem sein. Und die Regierungen tun in den meisten Ländern wenig, um bodenschonende Anbauweisen voranzubringen.
Der Preis ist der Verlust fruchtbarer Böden. Eine Form ist die Erosion: Wind oder Wasser tragen fruchtbaren Oberboden ab. Das passiert vor allem an steilen Hängen und da, wo der Boden nicht ständig von Pflanzen bedeckt ist. Äcker sind viel stärker betroffen als Weiden, und deutlich mehr Bodenmaterial wird vom Regen mitgenommen als vom Wind. Der ist vor allem in Trockengebieten ein Problem, etwa wenn zu viel Vieh die Vegetation schädigt.
Die stärkste Wassererosion haben nach Forschungen von Johan Six und zwei Kollegen Äcker im Bergland der feuchten Tropen – besonders in Südostasien. Stark betroffen sind auch manche Bergregionen in den Anden und in Afrika. Das Problem ist aber nicht auf Entwicklungsländer beschränkt. In Europa und den USA führt großflächiger Maisanbau dazu, dass Teile des Bodens offen liegen und schon bei geringem Gefälle erodieren, erklärt Nikcola Patzel.
Auf Äckern in Trockengebieten droht eine andere Gefahr: Bodenversalzung. Wegen der hohen Verdunstungsrate reichert sich Salz im Boden an, wenn überschüssiges Wasser nicht über eine Drainage ablaufen kann. Laut einer neuen Studie ist ein Fünftel der bewässerten Flächen weltweit betroffen, besonders in Zentralasien und an großen Flüssen in Indien, Nordchina, Australien und im Irak. Und diese Flächen haben wesentlich zur Steigerung der globalen Nahrungsproduktion beigetragen: Die gesamte Ackerfläche hat seit 1960 um rund zwölf Prozent zugenommen, die bewässerte hat sich mehr als verdoppelt.
Es droht ein Teufelskreis von Erosion und Übernutzung
Das globale Ausmaß der Bodenverluste beziffern Forscher auf der Grundlage von Fernmessungen per Satellit auf etwa 24 Milliarden Tonnen pro Jahr. Laut dem UN-Umweltprogramm ist schätzungsweise ein Viertel der Landfläche mindestens leicht degradiert. Solche Angaben sind mit Vorsicht zu genießen. Erosion hängt stark von lokalen Besonderheiten ab wie der Hangneigung einzelner Äcker, daher sind globale Zahlen oft Hochrechnungen. Johan Six und seine Kollegen sind 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wassererosion zuvor um das Fünffache überschätzt worden war. Aber auch nach ihren Schätzungen werden jedes Jahr 13 Milliarden Tonnen Boden allein vom Wasser mitgenommen, mehr als zwei Fünftel davon in Asien.
Doch welche Zahl auch immer stimmt: Der Prozess ist gefährlich. Fruchtbarer Boden entsteht nur sehr langsam – ein Zentimeter zum Beispiel im gemäßigten Klima in grob einem Jahrhundert. Auf Vulkanasche in den Tropen kann es fünfmal schneller gehen, im kühlen Klima hingegen Tausende Jahre dauern. Degradierte Böden lassen sich wieder verbessern, aber nur solange sie nicht tiefgreifend zerstört sind. Dann sind sie stark verarmt oder ganz verloren.
Die ersten Leidtragenden sind Bauern und Hirten sowie Gesellschaften, in denen die Mehrheit von Landwirtschaft lebt wie in großen Teilen Afrikas. Doch Bodenverluste gefährden langfristig auch den Klimaschutz, den Flutschutz und die Welternährung. Angesichts der steigenden globalen Nachfrage nach Agrargütern droht ein Teufelskreis: Geht Boden verloren, dann werden vorhandene Äcker noch intensiver genutzt und neue auf Kosten von Wald und Weide erschlossen. Beides erhöht die Gefahr weiterer Erosion und die Treibhausgasemissionen aus der Landnutzung.
Klaus Töpfer hat Recht: Es wird Zeit, dem Bodenschutz mehr politisches Gewicht zu geben. Das meiste Agrarland ist in vielen Ländern Privatbesitz, aber fruchtbarer Boden ist auch ein öffentliches Gut. Ihn zu erhalten ist eine öffentliche Aufgabe und ebenso wichtig wie der Schutz von Wasser und Wald.
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