Das Drama der schwangeren Syrerin ereignete sich im Juli. Die Frau und ihre Familie gehörten zu einer Gruppe von 36 Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea und Äthiopien, die im Zug von Mailand nach Paris aufgegriffen wurde. Schweizer Grenzwächter nahmen die Flüchtlinge in Vallorbe an der Grenze zu Frankreich in Empfang und fuhren sie mit Kleinbussen nach Brig im Süden der Schweiz, wo die Gruppe in einen Zug zurück nach Italien gesetzt wurde.
Die syrische Familie wirft den Grenzwächtern vor, der Schwangeren während der Rückführung medizinische Hilfe verweigert zu haben. Erst bei der Ankunft in Domodossola wurde die Frau in ein Spital gebracht, wo ihr Kind tot zur Welt kam. Nun prüft die Militärjustiz, die für das Grenzwachtkorps zuständig ist, den Fall. Ein Urteil dürfte erst in einigen Monaten vorliegen.
UNHCR zeigt sich sehr beunruhigt
Menschenrechtsorganisationen kritisierten das technokratische Vorgehen bei der Rückführung heftig. Auch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zeigte sich „sehr beunruhigt“ und erinnerte daran, dass Flüchtlingen in einem kritischen medizinischen Gesundheitszustand unverzüglich Hilfe geleistet werden müsse. Zudem forderte das UNHCR mehr legale Einreisemöglichkeiten vor allem für Syrien-Flüchtlinge.
Die Schweiz hat im vergangenen Herbst rund 3000 Flüchtlingen aus Syrien die erleichterte Einreise gewährt. Zudem nimmt das Land bis Herbst 2016 weitere 500 Kontingentsflüchtlinge auf. Gemessen an den Forderungen des UNHCR, wonach Europa in den nächsten zwei Jahren mindestens 100.000 Syrerinnen und Syrer aufnehmen soll, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk räumt zwar ein, dass die Schweiz im Vergleich zur Bevölkerungszahl eine hohe Zahl von Asylsuchenden aufweise. Vergleiche man aber das Pro-Kopf-Einkommen mit der Anzahl Flüchtlinge, hinke das Land im Vergleich mit anderen Ländern „sehr hinterher“, erklärte Susin Park, die Leiterin der Schweizer Vertretung des UNCHR in einem Radiointerview.
Schweizerische Volkspartei will Schraube weiter anziehen
Bei der zuständigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga stoßen diese Forderungen auf offene Ohren. Nur sieht sich die sozialdemokratische Justizministerin einer bürgerlichen Mehrheit in Regierung und Parlament gegenüber, die stark unter rechtspopulistischem Druck steht. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will mit einer Initiative die Schraube weiter anziehen. So sollen Flüchtlinge konsequent nur noch im ersten Ankunftsland ein Asylgesuch stellen können. Bei Syrien-Flüchtlingen würde dies bedeuten, dass sie nur bei einer Einreise mit dem Flugzeug eine Chance auf Aufnahme in der Schweiz hätten.
Bei der Schweizer Flüchtlingshilfe hofft man, dass eine solche Volksinitiative gar nicht erst zur Abstimmung kommt: Sie sollte vom Parlament als verfassungswidrig und ungültig erklärt werden. Bundesrätin Sommaruga ihrerseits bezeichnet die Forderung, das Asylrecht in der Schweiz faktisch abzuschaffen, als „beschämend“. Vor allem verstoße sie gegen die humanitäre Tradition, die genauso wie die vielbeschworene Neutralität zur Schweiz gehöre, betonte die Sozialdemokratin in einer Rede zum Nationalfeiertag vom 1. August.
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