Lobbyarbeit: Mitmischen für die gute Sache

Zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich für Gerechtigkeit, Umweltschutz und Frieden ein. Doch das Eintreten für die Anliegen anderer hat Grenzen. Und natürlich geht es in ihrer Lobbyarbeit auch um eigene Interessen.

Thilo Hoppe hat einen neuen Job. Der frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen ist seit Juni entwicklungspolitischer Beauftragter von Brot für die Welt. Elf Jahre saß der 56-Jährige im Bundestag, im vergangenen Jahr wurde er nicht wiedergewählt. Jetzt soll Hoppe den Dialog des evangelischen Hilfswerks mit dem politischen Berlin pflegen, ist also so etwas wie dessen neuer Cheflobbyist. Für beide Seiten ist das ein Gewinn: Hoppe kann sich nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag an prominenter Stelle weiter mit entwicklungspolitischen Fragen befassen, für die er bereits als Abgeordneter zuständig war. Und Brot für die Welt profitiert von den Kontakten des Ex-Politikers in Regierung und Parlament.

Die Personalie macht deutlich: In der deutschen Entwicklungspolitik gibt es die große Koalition schon lange, über Parteigrenzen hinweg und bis hinein in die Zivilgesellschaft. Man versteht sich als Teil einer Szene, die mit vereinten Kräften gemeinsame Anliegen verfolgt. Die Kluft verläuft nicht zwischen Zivilgesellschaft und Staat, sondern zwischen zivilgesellschaftlicher Entwicklungsszene und Entwicklungspolitikern auf der einen Seite und dem übrigen Politikbetrieb auf der anderen Seite.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".
Auch Thilo Hoppe empfindet seinen beruflichen Neuanfang bei Brot für die Welt nicht als Seitenwechsel: Ja, einerseits müsse er jetzt natürlich seine früheren Kollegen im Parlament „anbaggern“. Andererseits ziehe sich das Engagement für Entwicklungspolitik „wie ein roter Faden“ durch seine Biographie. Früher habe er sich als Journalist und Buchautor dafür eingesetzt, dann als Politiker und jetzt eben für ein Hilfswerk.

Die entwicklungspolitischen Organisationen, die in Berlin für ihre Anliegen werben und Lobbyarbeit betreiben, rennen bei den Fachpolitikern offene Türen ein. Es ist ein Geben und Nehmen – diesen Satz hört man häufig, wenn man mit Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft über ihr Verhältnis spricht. „Unsere Rolle hat sich verändert: Wir agieren heute eher als Ratgeber, denn als Druckmacher“, sagt Klaus Seitz, der bei Brot für die Welt die Abteilung Politik leitet.

Beispiel Waffenexporte: Ohne die beharrliche und sachkundige Lobbyarbeit der Fachgruppe Rüstungsexporte der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) in den vergangenen 17 Jahren wären die Geschäfte deutscher Waffenschmieden heute vermutlich noch weniger durchschaubar als sie es ohnehin sind. „In meiner ersten Bundestagsrede habe ich aus dem aktuellen Bericht der GKKE-Fachgruppe zitiert“, sagt Ute Finckh-Krämer, die seit vergangenem Herbst für die SPD im Parlament sitzt.

Finckh-Krämer, die selbst aus der Friedensbewegung stammt, ist überzeugt: Ohne die zivilgesellschaftlichen Kampagnen hätte sich die Bundesregierung nicht so stark für den vor einem Jahr verabschiedeten Vertrag der Vereinten Nationen zur Kontrolle des internationalen Waffenhandels engagiert. 2009 hat die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul von der SPD die Kirchen sogar aufgefordert, die deutschen Rüstungsexporte stärker in die Öffentlichkeit zu bringen, damit ihre Partei das Thema in ihrem Wahlprogramm angemessen zur Sprache bringt.

Die Fachgruppe Rüstungsexporte findet Gehör in der Politik

Die Fachgruppe Rüstungsexporte findet Gehör in der Politik, weil sie Sachverstand vereint und mit den Kirchen zwei gesellschaftlich einflussreiche Institutionen hinter ihr stehen. Für Ute Finckh-Krämer, die unter anderem im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sitzt, ist das erste Kriterium besonders wichtig: die Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit, mit der eine Organisation ihr Anliegen vorträgt. „Wenn eine Menschenrechtsorganisation mich mit Bildern von traurig dreinblickenden Kindern überzeugen will, werde ich skeptisch“, sagt die SPD-Politikerin. Einmal warb eine Organisation für die Rechte der Tibeter mit drastischen Fotos von Selbstverbrennungen für ihre Sache: „Auf meine Frage, ob die Tibeter denn auch weniger gewalttätig für ihre Rechte kämpfen, wussten die keine Antwort.“

Uwe Kekeritz ist entwicklungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Dieses Jahr hat ihn bereits ein gutes Dutzend nichtstaatliche Organisationen (NGO) besucht, meistens sei es um „konkrete Hilfeschreie“ gegangen. Etwa den der kleinen Initiative gegen den Abbau von Uran in Tansania: Sie hat es mit Hilfe von Kekeritz geschafft, dass ihr Anliegen im Berliner Politikbetrieb bearbeitet wird. Den nötigen Strom für die Uranminen soll ein Wasserkraftwerk liefern, an dem die Weltbank beteiligt ist.

Kekeritz hat seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen darauf angesetzt, mehr über das Engagement der Bank herauszufinden: Gibt es ordentliche Umweltgutachten? Wurde die örtliche Bevölkerung einbezogen? Kekeritz will den Fall als Beispiel für bedenklichen Rohstoffabbau in Entwicklungsländern in den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit bringen.###Seite2###

Und wenn nun ein beteiligtes Industrieunternehmen bei ihm anklopfen und sagen würde, der Fall liege ganz anders, als es die Kritiker behaupten? „Dann würde ich sie ebenso hereinlassen, mir anhören, was sie zu sagen haben, und es prüfen“, sagt Kekeritz. Allerdings komme es selten vor, dass Unternehmen bei ihm vorsprechen. Den ersten Besuch, nachdem er 2009 in den Bundestag gewählt worden sei, habe er vom Verband forschender Arzneimittelhersteller erhalten. „Die wollten mir darlegen, was sie alles für eine gute Medikamentenversorgung in Entwicklungsländern tun“, sagt Kekeritz. Seitdem sei das Verhältnis „etwas abgekühlt“.

Weder Entwicklungspolitiker noch die meisten Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen haben ein grundsätzliches Problem damit, dass sie enge Beziehungen pflegen und sich derselben Seite zugehörig fühlen. Man müsse die Balance halten zwischen einem Mindestmaß an Distanz und erforderlicher Nähe, man müsse aufpassen, dass man nicht zu sehr mit der Politik kuschele, heißt es aus Entwicklungsorganisationen lediglich.

Tsafrir Cohen von der Hilfsorganisation medico international in Frankfurt sieht das etwas kritischer: Zivilgesellschaftliche Organisationen dürften ihren Ursprung nicht vergessen, ihnen müsse es immer auch um „Gegenöffentlichkeit“ gehen, sie müssten Distanz wahren zum Staat und sich nicht darauf beschränken, der Politik mit Spezialwissen zu helfen.

Für viele aus der Zivilgesellschaft sind Advocacy – Anwaltschaft – und Lobbyarbeit zwei Seiten derselben Medaille: Advocacy heißt, für die Anliegen anderer eintreten, für die, die keine Stimme haben oder nicht gehört werden. Und Lobbyarbeit ist ein Mittel zu diesem Zweck. Cohen hingegen, der bei medico unter anderem für Nahostpolitik zuständig ist, betont die qualitativen Unterschiede zwischen beiden: „Beim Lobbying lasse ich mich auf das Spiel der Politik ein, mache meine Anliegen politikverträglich.“

Der Zivilgesellschaft dürfe es aber nicht nur darum gehen, die Folgen einer menschenrechtsverachtenden Politik abzumildern. Sie müsse dafür streiten, die Rahmenbedingungen zu ändern. „Und dafür müssen wir uns in der Öffentlichkeit als Anwälte einsetzen.“

Das Eintreten für die Anliegen anderer – mit diesem Anspruch legitimieren Entwicklungs-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen ihre Lobbyarbeit. Damit grenzen sie sich zugleich vom Industrielobbying ab, denn der Industrie gehe es vorrangig um Eigeninteressen. Allerdings sieht man auch bei Brot für die Welt oder Misereor, dass hinter den Interessen der Wirtschaft  wichtige gesellschaftliche Anliegen stehen können, etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Zudem verfolgen auch zivilgesellschaftliche Institutionen eigene Interessen. Viele von ihnen werden vom Staat gefördert und sind schon deshalb an guten Beziehungen zur Politik interessiert. Und es gehe immer auch darum, als sachkundige Einrichtung wahrgenommen zu werden, sagt der Mitarbeiter einer kirchlichen Organisation: „Dass nichtstaatliche Organisationen ausschließlich im Interesse anderer arbeiten, ist Quatsch. Es gibt keine Lobbyarbeit ohne Eigeninteresse.“

Uwe Kekeritz von den Grünen ist derselben Meinung. Aber das schmälere nicht den Wert der anwaltschaftlichen Arbeit: „Ich kann doch beurteilen, ob eine Organisation glaubwürdig ist und vernünftige Ziele vertritt.“ Ute Finckh-Krämer von der SPD sieht es ähnlich: Es gebe so viel zu tun in der Menschenrechts- und Entwicklungspolitik, dafür brauche es viele starke zivilgesellschaftliche Organisationen. Dass Eigeninteressen und Anwaltschaft für andere nicht klar zu trennen sind, ist für sie kein Problem. Kekeritz betont aber, nichtstaatliche Organisationen müssten ihre Geldquellen offenlegen und ihre Lobbyarbeit transparent gestalten.

In den Advocacy-Organisationen ist man sich der Grenzen anwaltschaftlicher Arbeit bewusst. Advocacy als rein stellvertretendes Engagement für die Zivilgesellschaft in den Partnerländern sei aus zwei Gründen „heikel“, sagt Ilona Auer-Frege, die das Berliner Büro von Misereor leitet: „Zum einen können wir ja gar nicht die Zivilgesellschaft etwa in Burundi als solche vertreten. Zum anderen haben unsere Partner zu bestimmten Fragen manchmal Positionen, die wir von Misereor nicht teilen können.“

Tsafrir Cohen von medico international sagt es so: „Wir sind nicht die Sprecher unserer Partner, sondern die Sprecher einer Sache.“ Und natürlich haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Advocacy-Organisationen ihre eigenen Vorstellungen davon, welche Aspekte dieser Sache wichtig sind und vorangetrieben werden sollen.###Seite3###

Jede Entwicklungsorganisation hat insofern auch eine eigene Agenda. Aber es wird großer Wert darauf gelegt, dass diese Agenda im Dialog mit den Partnern im Süden erstellt und abgestimmt wird. Bei Brot für die Welt soll zu diesem Zweck eine sogenannte Global Reference Group eingerichtet werden: ein Gremium, das mit profilierten Vertretern und Vertreterinnen der Partnerorganisationen besetzt werden und den Vorstand beraten soll, vor allem zu Fragen, die auf der internationalen politischen Bühne verhandelt werden.

Tendenziell wird die Anwaltschaft schwieriger, weil sich die Partner und die entwicklungspolitischen Aufgaben verändern. Vor allem in Schwellenländern wie Indien oder Brasilien herrschen mitunter ganz andere Vorstellungen davon, wie ein klima- und umweltverträglicher Entwicklungsweg heute aussehen muss, wie viel Wirtschaftswachstum nötig ist und welche Länder Verantwortung für den Klimaschutz übernehmen müssen. „Es gibt mehr und mehr mündige Partner, deren Agenda sich nicht mit unserer deckt“, sagt Ilona Auer-Frege von Misereor.

Die Advocacy- und Lobbyarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen hat in den vergangenen Jahren zugenommen und ist professioneller geworden. „In der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit ist es heute selbstverständlich, ein politisches Profil zu haben und politische Rahmenbedingungen mitgestalten zu wollen“, sagt Klaus Seitz von Brot für die Welt. In den 1990er Jahren habe es gerade mal eine Stelle für Lobbying gegeben, heute habe seine Abteilung rund 40 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die seien zwar nicht nur für den Dialog mit der Politik, sondern auch für andere Aufgaben zuständig. Dennoch sei von seinen Leuten jeden Tag jemand im Bundestag oder in Ministerien unterwegs.

Das Engagement zeigt Ergebnisse: In den vergangenen Jahren gab es einige Politikwechsel, für die die Zivilgesellschaft lange getrommelt hatte. Dazu zählen etwa die Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer und die Einführung einer Finanzmarktsteuer in einigen Ländern der Europäischen Union. Ende der 1990er Jahren begann Attac mit seiner Kampagne für eine solche Steuer – das  zeigt, was zivilgesellschaftliche Organisationen, die Politik beeinflussen wollen, vor allem brauchen: einen langen Atem.

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Und daran hapert es häufig, sagt Franziska Krisch vom entwicklungspolitischen Evaluierungsinstitut Deval in Bonn. „Häufig ist die Advocacy-Arbeit zu aktionistisch“, sagt Krisch, die seit vielen Jahren als entwicklungspolitische Gutachterin arbeitet und mehrere Advocacy- und Lobbykampagnen deutscher NGOs auf ihre Wirkung hin untersucht hat. Eine ihrer Empfehlungen lautet:  Hilfswerke sollten sich für mehrere Jahre ein Oberthema suchen, etwa das Menschenrecht auf Nahrung, und während dieser Laufzeit gut geplante, am nationalen und internationalen Politikgeschehen orientierte Advocacy- und Lobby-Projekte durchführen.

Wichtig sei außerdem, dass sich die zivilgesellschaftlichen Organisationen die Arbeit teilen. Kleine und vom Staat finanziell weniger abhängige Organisationen könnten provokanter auftreten und schwierigere Themen in die Öffentlichkeit bringen. Ein großes Werk wie Brot für die Welt kann solche Kampagnen dann aufgreifen und in die Breite tragen.

Und schließlich empfiehlt Krisch einen Punkt, den auch Thilo Hoppe anmahnt: Die Zivilgesellschaft muss stärker die Politiker bearbeiten, die „noch nicht bekehrt sind“ und mit Entwicklungspolitik nichts am Hut haben. „Es ist nicht genug, mit Gleichgesinnten eine schöne Kampagne nach der anderen zu machen“, sagt Hoppe. Der neue Mann bei Brot für die Welt hat sich deshalb vorgenommen, nicht nur mit seinen ehemaligen Kollegen aus der Grünen-Fraktion zu sprechen, sondern auch verstärkt mit denen von der Union.

Wie wichtig das ist, hat Hoppe bereits als Abgeordneter erfahren: Vor einigen Jahren initiierte er im Bundestag eine Kampagne für eine Erhöhung der Entwicklungshilfe. Eine Mehrheit der Abgeordneten unterschrieb den Aufruf, aber irgendwann wurde ihm klar: Viele aus der Union und der FDP standen nicht wirklich dahinter, setzten sich in ihren Fraktionen nicht dafür ein. „Von denen haben viele nur zugestimmt, um dem Druck auszuweichen“, sagt Hoppe. „Aber das reicht nicht: Wir müssen überzeugen und uns auf die Argumente der Kritiker einlassen. Denn vielleicht haben die in dem einen oder anderen Punkt ja auch mal recht.“

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erschienen in Ausgabe 7 / 2014: Lobbyarbeit: Für den Nächsten und sich selbst
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