Das Schnittmuster lag bereit. Wenn auch nur grob. Müller wollte die deutsche Textilindustrie dazu bringen, eine Vorreiterrolle zu spielen und die Arbeitsbedingungen in ihrer Fertigung zu verbessern. Soziale und ökologische Standards entlang „der ganzen Lieferkette von der Baumwolle bis zum Bügel“ sollten überprüfbar werden. Dazu schwebte dem Minister ein Gütesiegel vor – freiwillig vereinbart.
Ein so genannter runder Tisch mit Vertretern aus Unternehmen, Gewerkschaft und Hilfsorganisationen, zu dem der Minister am 30. April geladen hatte, brachte indes Ernüchterung. „Realistisch“ war das Wort, das am Ende sowohl Müller als auch für die Unternehmerseite Rainer Göhner, Mitglied im Vorstand der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), benutzten, um hochfliegende Ziele zurückzuholen. Im Ergebnis herrscht wohl Einigkeit über die Ziele, nicht aber über den Weg dahin.
So hat man erst einmal ein „Bündnis für soziale und ökologische Nachhaltigkeit in der Textilbranche“ gegründet. Damit ist der Gesprächsfaden nicht abgerissen. Ein nächstes Treffen ist im Mai auf Arbeitsebene geplant. Zunächst will das Bündnis überlegen, wie Dutzende unterschiedlicher Zertifizierungen, Siegel und Initiativen in der Bekleidungswirtschaft und den Nähereien besser koordiniert werden können. Bis zur politischen Sommerpause soll ein Aktionsplan stehen.
Keine Produkte, sondern Unternehmen zertifizieren
Das ist der gemeinsame Nenner. Ein einheitliches Siegel für nachhaltige Kleidung – möglichst auf europäischer oder internationaler Ebene – stieß jedoch auf Kritik bei allen Seiten. Die „Kampagne für Saubere Kleidung“ etwa fordert, besser Unternehmen zu zertifizieren als Produkte. Die Gewerkschaft Verdi macht geltend, ein Siegel, das sich auf freiwillige Zusagen der Unternehmen stütze, könne nur ein Feigenblatt sein. Nur gesetzliche Vorschriften seien auch wirklich durchsetzbar. Der Einzelhandel wiederum befürchtet, verpflichtende Öko- und Sozialstandards würden Textilien unerschwinglich machen.
Die Textilwirtschaft hatte über den Hauptgeschäftsführer der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE), Jan Eggert, schon vor dem Treffen wissen lassen, dass eine Garantie zur Einhaltung sozialer Standards über die vielschichtige Kette von Produktion und Lieferung „schlicht nicht durchführbar ist“. Eggert: „Mit einem solchen Siegel würden die Unternehmen ihren Kunden ein Versprechen geben, das sie nicht sicher halten können.“
Ein Qualitätshemd ist eben nicht mit fair gehandeltem Kaffee zu vergleichen. Müller will sich bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zunächst einen Überblick verschaffen, welche Normen derzeit weltweit überwacht und kontrolliert werden. So begann in Bangladesch nach dem verheerenden Fabrikeinsturz von Rana Plaza vor kurzem ein von mehr als 100 Textilunternehmen gestütztes Bündnis für Gebäudesicherheit und Brandschutz mit der Inspektion von Fabriken. Arbeitsbedingungen lassen westliche Unternehmen gerne über die „Business Social Compliance Initiative“ (BSCI) zertifizieren, auch ein von NGOs unterstütztes Label.
Müller hält dennoch am Ziel wirksamer und verbindlicher Standards fest. In der Lebensmittelindustrie hätten sich Gütesiegel auch über die Jahre durchgesetzt. BDA-Vertreter Göhner gab die Marschrichtung so vor: Die einzige realistische Möglichkeit für eine Umsetzung der gewünschten Mindeststandards sei, „beteiligte Unternehmen zu zertifizieren“. Eine Vielfalt unterschiedlicher Inspektionen überfordere alle Beteiligte – und schließlich könne die Wirtschaft nicht das Versagen des Staates – wie in Bangladesch – ersetzen.
Minister Müller resümierte: „Es wird darauf ankommen, dass wir auf realistische Weise Kern- und Arbeitsnormen etwa in Anlehnung an die ILO durchsetzen.“ Die Wirtschaft habe den Impuls aufgegriffen und sei selbst daran interessiert, dass soziale Mindeststandards in der internationalen Lieferkette gewährleistet werden.
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