Eine-Welt-Dokumentationen: Erzählen statt belehren

Eine-Welt-Dokumentationen haben sich einen festen Platz in deutschen Kinos erobert. Aber die Macher tun sich zunehmend schwer, für ihre Filme Geld aufzutreiben.

Deutsche Kinos zeigen wieder mehr Dokumentarfilme. Davon profitieren auch Eine-Welt-Produktionen: 2005 erreichte „We Feed the World“ über die Massenproduktion von Nahrungsmitteln allein in Deutschland 380.000 Kinobesucher. „Süßes Gift“, eine Doku über Entwicklungshilfe in Afrika als Geschäft, ist bereits seit 13 Monaten auf der Leinwand zu sehen und auf DVD im Handel. Auf dem Webportal Kino.de2 wird sie als 5-Sterne-Film gehandelt – vor allem in der Kategorie „Anspruch“, punktet aber auch bei „Spannung“ und „Action“.

Ist die entwicklungspolitische Bildungsarbeit über Eine-Welt-Dokumentationen beim breiten Publikum angekommen? Die Perspektive habe sich verändert – weg von der „Dritten Welt“ und hin zu globalisierungskritischen Ansätzen, erläutert Bernd Wolpert. Er ist Geschäftsführer des Evangelischen Zentrums für Entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF), das seit mehr als 30 Jahren Filme fördert – etwa durch Produktionszuschüsse und Verleih. Dokumentationen schafften es lange Zeit nicht auf die große Kinoleinwand. Filme der 1970er und 1980er Jahre, die in der Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung verankert waren, liefen meist in Volkshochschulen und Gemeindesälen.

Autorin

Bärbel Röben

ist freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin.

Einen Wendepunkt markierte „Septemberweizen“ von Peter Krieg, der collageartig den Weg des Weizens vom Anbau in den USA bis zum Verbraucher nachzeichnet und zeigt, wie das Getreide in den Ländern des Südens als Nahrungsmittelhilfe politisch instrumentalisiert wird. Der Film lief 1979 zu später Stunde im ZDF und war 1980 auch im Kino erfolgreich, erinnert sich Wolpert an die erste EZEF-Förderung. „,Septemberweizen‘ war filmästhetisch absolut modern und wegweisend für Dokus.“ Originalton statt Off-Kommentar, erzählen statt belehren, Bilder, die ihre eigene Sprache sprechen. „Abschied vom linken Paukersyndrom“ nennt der Macher von „Süßes Gift“, Peter Heller, diesen Wandel hin zum „authentischen Chronisten und subjektiven Dokumentaristen“. Vor etwa zehn Jahren erlebten Dokumentarfilme eine Renaissance in deutschen Kinos. Als Michael Moore 2002 in „Bowling for Columbine“ die Zuschauer mitnahm auf seine akribischen Recherchen zur amerikanischen Waffenindustrie, erreichte er ein Millionenpublikum. Auch der vielfach preisgekrönte „Darwins Albtraum“ von Hubert Sauper beeindruckte die Kinobesucher. Die Produktion aus dem Jahre 2004 dokumentiert die ökologische und wirtschaftliche Katastrophe am ostafrikanischen Victoriasee, die der dort ausgesetzte Nilbarsch angerichtet hat.

2010/11 waren bereits 17 Prozent aller Filme, die in deutschen Kinosälen gezeigt wurden, Dokumentationen. Sie machten aber nur zwei Prozent der Ticketverkäufe aus – das entspricht einer Besucherzahl von knapp vier Millionen Menschen. Immerhin 140.000 von ihnen sahen 2011 „Taste the Waste“ von Valentin Thurn über die globale Lebensmittelverschwendung.

„Wir haben 2010 eine Vorgängerproduktion mit dem Titel ,Essen im Eimer‘ gefördert“, berichtet Wolpert. Sie sei zunächst sehr erfolgreich im Westdeutschen Rundfunk (WDR) gelaufen, der dann eine Langfassung fürs Kino finanzierte. Dort wurde der Film 2011 nach seiner Berlinale-Premiere gezeigt. Zum Start gab es in mehreren Städten Aktionstage, bei denen  Köche auf öffentlichen Plätzen Essen verteilten, das aus weggeworfenen Lebensmitteln bestand. Im Spätherbst 2011 erschien bei EZEF dann die Kurzfassung „Essen im Eimer“ als DVD. In der Verleihstatistik 2012 rangierte der Film ganz oben auf der Liste der „Top 10“. 

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Zunächst verlieh EZEF die Eine-Welt-Filme nur für die nicht gewerbliche Bildungsarbeit. Inzwischen kann man sie dort auch kaufen. Das Zentrum unterstütze außerdem Filmschaffende, dass ihre Filme in die Kinos kommen, sagt Wolpert. So sei die Doku „Raising Resistance“ über den Gen-Soja-Anbau in Paraguay, der Existenz und Gesundheit der dortigen Kleinbauern gefährdet, zusammen mit dem Pandora-Filmverleih im April 2012 in die Kinos gebracht worden. Die Dokumentation wurde mehrfach ausgezeichnet – im September 2013 mit dem Eine-Welt-Filmpreis NRW, der seit 2001 von der nordrhein-westfälischen Landesregierung gestiftet wird.

Auch der zweite Preisträger „Tödliche Hilfe“ von Raoul Peck kam im November in die Kinos. Dem Film gelinge es, so die Jury, „Schlüsselmomente in der Chronologie der Ernüchterung, der Überforderung und des Selbstbetrugs der Entwicklungshilfeindustrie“ in Haiti nach dem Erdbeben 2010 zu dokumentieren und zu vermitteln. Nachdem sie im Kino gelaufen sind, sind die Filme bei EZEF als DVD erhältlich –  seit zwei Jahren auch als Download. Und das wird immer beliebter. Der Film „Profit, nichts als Profit“ über die Verschuldung Haitis wurde 2012 sieben Mal häufiger online ausgeliehen als auf DVD. Jüngere Nutzer ziehen den Download vor. 

Haben technische Neuerungen und die Doku-Renaissance im Kino der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit neue, jüngere Zielgruppen beschert? Peter Heller, der mehr als 30 Dokumentationen über Afrika gedreht hat, meint, Eine-Welt-Filme befänden sich „nach wie vor in der Nische“. Die Daten zur Kinopräsenz täuschen. Denn für die Filmförderung ist nicht die Zahl der Zuschauer relevant, sondern die der Vorführungen. „Aber da sitzen dann um 17 Uhr nur fünf Leute im Saal.“ Dennoch sieht Heller Lichtblicke: „Ich habe den Eindruck, dass sich bei vielen Leuten etwas geöffnet hat“, sagt der Filmemacher. Die Filmästhetik spiele eine große Rolle. „Früher standen Strukturen im Zentrum, jetzt sind es Menschen.“

 „Nur so viel verdient wie eine Putzhilfe“

Die Produktion ist damit aufwendiger geworden. Hellers auch weltweit erfolgreicher Film „Dschungelburger – die internationale Hackfleischordnung“ von 1985, „sehr pädagogisch, stromlinienförmig und agitatorisch“, wie er selbst sagt, wurde in dreieinhalb Wochen geschnitten. Ein halbes Jahr hat dagegen 2012 der Schnitt von „Süßes Gift“ gedauert,  da die Filmsequenzen aus O-Tönen, Bildern, Archivmaterial ohne Kommentar kunstvoll miteinander verflochten wurden. Das sei nur möglich gewesen, weil der WDR und ARTE dieses Experiment finanziell getragen hätten, sagt Heller. Er habe in den zweieinhalb Jahren Produktionszeit trotzdem „nur so viel verdient wie eine Putzhilfe“. 

Die Rundfunkanstalten als Hauptgeldgeber der Filme hätten ihre Mittel in den vergangenen Jahrzehnten halbiert und zahlten keinen Cent mehr für Recherche, erklärt Heller. So können sich engagierte Filmemacher nur noch mit Hilfe anderer Verdienstquellen – wie Workshops beim Goethe-Institut – über Wasser halten. Von den Einnahmen aus der Verwertung der Filme im Kino und auf DVD erhalten sie lediglich zehn Prozent. Zugleich steigen die Ausgaben für die technische Ausrüstung. Das Internet biete keine zusätzlichen Einnahmequellen, meint Heller, die Filmplattform Youtube sei lediglich ein Marketinginstrument.

„Hochspezialisierte Mini-Institutionen“ wie EZEF können weiterhin unterstützend tätig sein, Aufmerksamkeit schaffen mit Filmtourneen, dem Fernsehworkshop Entwicklungspolitik oder dem damit verbundenen Eine-Welt-Filmpreis NRW. Doch angesichts der benötigten Finanzen bleibt ihre Förderung ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Themen Konsum und Nachhaltigkeit seien ein „großer Renner beim Publikum“, bestätigt Heller die Kinohitliste. Aber auch Filme mit anderen Perspektiven stoßen auf großes Interesse – gerade in der jüngeren Generation. Beim Filmfestival in Brüssel sahen kürzlich 400 Leute „Süßes Gift“ – mehr als 90 Prozent von ihnen waren unter 30 Jahre alt. Und die Universität Brüssel hat Heller eingeladen, den Film dort noch einmal zu zeigen. Eine-Welt-Produktionen profitieren also vom Dokumentarfilm-Boom in deutschen Kinos – aber ihre Macher nicht. Und das muss sich ändern, wenn man jungen Leuten weiter ein tiefer gehendes Verständnis der globalen Welt nahe bringen will. 

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erschienen in Ausgabe 12 / 2013: Unser täglich Fleisch
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