Der Zorn auf die „Abzocker“ wächst in der Schweiz. Erst stimmen die Eidgenossen im März mit Zweidrittelmehrheit einer Volksinitiative zu, die Gehälter und Zusatzzahlungen für Manager eindämmen soll. Nun soll ein weiterer Volksentscheid das Verhältnis des höchsten Gehalts zum niedrigsten in jeder Firma auf eins zu zwölf begrenzen. Erfreulich klar wird hier eine Frage gestellt, die entscheidend ist für die Zukunft reicher wie armer Länder: Wie viel Ungleichheit ist gesellschaftlich akzeptabel?
Die soziale Schere ist in den meisten Industrieländern in den vergangenen zwanzig Jahren aufgegangen. So sind die Löhne des am schlechtesten verdienenden Zehntels im Verhältnis zum am besten verdienenden zurückgefallen. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen schrumpft zugunsten von Unternehmens- und Vermögenseinkommen, die weniger Menschen zugutekommen, weil Vermögen stärker konzentriert sind als Einkommen.
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Das globale Bild freilich ist komplizierter. Ein hohes Wirtschaftswachstum, gerade in bevölkerungsreichen Ländern Asiens, hat dort die Durchschnittseinkommen schneller steigen lassen als in den Industrieländern. Schlechter sieht das vor allem in schwachen Staaten sowie in Ländern aus, in denen Krieg geführt wird. Doch insgesamt ist der Abstand zwischen „Nord“ und „Süd“ geschrumpft. Gleichzeitig ist aber innerhalb vieler Entwicklungsländer, etwa in China und Indien, die Ungleichheit zwischen Regionen und sozialen Gruppen gewachsen. Trotzdem ist die Ungleichheit unter der Weltbevölkerung insgesamt, also wenn man sie ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen nach Einkommensgruppen betrachtet, seit dem Jahr 2000 wahrscheinlich leicht gesunken. Denn der erste Trend ist stärker: Mit dem Aufstieg des Südens holen auch untere Einkommensschichten zum Beispiel in China im Vergleich zu denen in Deutschland auf.
Viel spricht jedoch dafür, dass nicht diese globale Ungleichheit, sondern die innerhalb der Staaten das größere Problem ist. Sie ist in Entwicklungsländern, wo der Staat weniger mit Steuern und Sozialtransfers eingreift, in der Regel höher als in Industrieländern. Seit langem ist klar, dass dies die Armutsbekämpfung erschwert. Weniger Ungleichheit geht einher mit besseren Institutionen. Es begünstigt auf die Dauer das Wirtschaftswachstum und bedeutet vor allem, dass es stärker den Armen zugutekommt.
Daraus hat der Präsident der Weltbank nun eine Konsequenz gezogen: Jim Yong Kim plädierte im April dafür, die absolute Armut bis 2030 praktisch zu beseitigen. Hierfür sei nicht nur hohes Wirtschaftswachstum – speziell in Südasien und Afrika –, sondern auch eine Verringerung der Ungleichheit nötig. Doch wie soll die erreicht werden?
Die Anpassung unserer Wirtschaftsweise an die Grenzen des Planeten ist ohne Verringerung der Ungleichheit kaum vorstellbar
90 Ökonomen und Entwicklungsexperten haben im März gefordert, man sollte ein Ziel „Verringerung der Ungleichheit“ in neue globale Entwicklungsziele aufnehmen. Andere halten das für überflüssig, weil es sich von selbst verstehe: Ohne mehr Gleichheit könne die Armut gar nicht überwunden werden. Dass erfolgreiche Armutsbekämpfung notwendig die Ungleichheit verringert und besonders den Ärmsten hilft, stimmt aber leider nicht. So hat ein Team in der Weltbank herausgefunden, dass manche Gesundheitsindikatoren in vielen Entwicklungsländern zwar erreicht wurden – aber mit schnelleren Fortschritten beim reicheren Teil der Bevölkerung als beim ärmeren. Die Annahme, die Politik werde die Ungleichheit verringern, weil sie anders ihre erklärten Ziele der Armutsbekämpfung nicht erreichen kann, ist naiv. Ein solches Ziel von Anfang an klar zu benennen, kann helfen.
Allerdings sind Auseinandersetzungen über die Einkommensverteilung, Steuern und Sozialleistungen Kernfragen der Innenpolitik. Man kann kaum einen Zielwert für Ungleichheit international festschreiben. Realistischer scheint es, bei jedem Entwicklungsziel zu vereinbaren, wie speziell die ärmsten zwei Fünftel vorankommen sollen, und das auch gesondert zu messen. Dies scheint Jim Yong Kim anzustreben.
Das wäre ein Fortschritt – aber ein sehr begrenzter. Er betrifft nur arme Länder, und die Weltbank betrachtet Ungleichheit nur als Problem, insoweit sie das Wirtschaftswachstum und die Armutsminderung hemmt. Doch Ungleichheit beeinträchtigt unabhängig davon das Wohlbefinden ganzer Gesellschaften, wie Richard Wilkinson im ersten Heft von „welt-sichten“ 2008 gezeigt hat – und zwar auch in reichen Ländern. Nicht zuletzt ist die Anpassung unserer Wirtschaftsweise an die Grenzen des Planeten ohne Verringerung der Ungleichheit kaum vorstellbar. Die Schweizer zeigen, wie man den Kampf dafür aufnehmen kann.
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