Die Länder des globalen Nordens nehmen bei ihren Versuchen, die Klimakrise zu überwinden, die Auswirkungen ihrer Politik auf den Süden kaum wahr, kritisieren die 25 Autorinnen und Autoren dieses interessanten Sammelbandes zum „Grünen Kolonialismus“.
Die Autorinnen und Autoren des Buchs gehen davon aus, dass die Länder des globalen Nordens von jeher für sich beansprucht haben und beanspruchen, „dass bestimmte Regionen der Welt, bestimmte Körper und Bevölkerungen anderen Regionen zur Verfügung stünden, um Umweltbedingungen zu garantieren, die ein würdiges Leben erlauben“, wie es in der Einleitung heißt. Entsprechend erläutern sie Beispiele geplanter und existierender Energiegewinnung in Afrika und Lateinamerika, wie große Solarparks in Marokko oder Lithiumabbau im Länderdreieck Argentinien, Bolivien und Chile. Die Folgen für die lokale Bevölkerung wie Landvertreibung und Umweltschäden sind vielfach ähnlich katastrophal wie im klassischen kolonial geprägten Kohlebergbau oder der Plantagenwirtschaft. Allerdings weist das Buch nicht explizit darauf hin, dass diese langjährigen spätkolonialen Ausbeutungsstrukturen bis heute fortgesetzt werden. Analog dazu bleibt auch der Blick auf ältere soziale Bewegungen wie Gewerkschaften unterbelichtet.
Allerdings werden diverse neue Protestbewegungen gegen die genannten „grünen“ Energiegewinnungsprojekte sowie Alternativbewegungen wie ökofeministische Netzwerke in Afrika oder agrarökologische Initiativen in Bangladesch angesichts der Herausforderungen durch den grünen Kolonialismus vorgestellt. Daraus ergeben sich allerhand Forderungen und Perspektivdebatten, die sich an einem gemeinsamen Ziel orientieren: Die ökosoziale Transition müsse sich als ein breiterer Prozess der Transformation der Kultur, der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft in ihrer Beziehung zur Natur verstehen. Das schließe bewusst eine Abkehr sowohl vom dominanten kapitalistischen Wirtschaftsmodell als auch von traditionellen Entwicklungskonzepten linker Bewegungen des Südens ein, die bis heute überwiegend auf Naturausbeutung und die Nachahmung der Entwicklungsprozesse des Nordens setzen.
Lokale Initiativen von bemerkenswerter Weitsicht
Auf den ersten Blick mögen die vorgestellten lokalen Alternativen klein wirken im Vergleich zu den gigantischen Herausforderungen der diversen globalen Krisen. Auf der anderen Seite zeigen sie vielfach bemerkenswerte Weitsicht, wenn etwa kolumbianische Indigenas das Erdöl als das „Blut der Erde“, also als ein überlebensnotwendiges, begrenztes Element des Lebens, bezeichnen, woraus sich eine partizipative, die lokal Betroffenen einbeziehende Debatte um das Haushalten mit dieser Ressource und ihrer Kontrolle ergeben müsste. Verfasserin des Beitrages zu diesem Thema ist übrigens mit Tatiana Roa Avendaño eine langjährige kolumbianische Umweltaktivistin, die seit Januar dieses Jahres Vizeministerin für Umwelt und nachhaltige Entwicklung im Kabinett des ersten linken kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro ist.
Insgesamt bietet der Band ein umfassendes Szenario von Herausforderungen gegenüber dem neuen grünen Kolonialismus und Debatten über ökosoziale Transformationen in Zeiten der existenziellen Klimakrise mit zahlreichen Informationen und Anregungen. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftig die Perspektive globaler Gerechtigkeit stärker in die hiesige Klimadebatte einfließt und auch der zähe Prozess der Dekolonialisierung in der Entwicklungszusammenarbeit beschleunigt wird.
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