Temperamentvolle Heldinnen

In ihrem Spielfilmdebüt erzählt die Regisseurin Deniz Gamze Ergüven von fünf türkischen Waisenschwestern, die im Haus ihres Onkels eingesperrt werden, um sie auf die Ehe vorzubereiten. Zwischen Resignation und Revolte pendelnd, ist die Geschichte ein Ruf nach Freiheit und weiblicher Selbstbestimmung. Filmstart ist der 25. Februar.

Lale und ihre vier Schwestern wachsen nach dem Tod der Eltern bei ihrem Onkel Erol und ihrer Großmutter in einem Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste auf. Als sie nach der Schule unbeschwert mit einigen Mitschülern am Meer herumtollen, lösen sie einen Skandal aus. Eine Nachbarin hat sie beobachtet und bezichtigt sie eines unzüchtigen Verhaltens. Der empörte Onkel bringt die Mädchen zum Krankenhaus, um ihre Jungfräulichkeit überprüfen zu lassen. Um die Heiratschancen der Halbwüchsigen zu wahren, lassen er und die Großmutter die Fenster vergittern und die Mauern ums Haus erhöhen. Zudem beschlagnahmt er Telefone, Computer und Make-up, die Mädchen müssen hässliche „kackbraune“ Kleider tragen.

Statt unbefangener Spiele stehen nun Lektionen in Kochen und Haushaltsführung auf dem Programm. Dennoch gelingen den Mädchen hin und wieder Ausbrüche aus der Festung, etwa zu einem Fußballspiel. Die Großmutter lässt derweil die Familien potenzieller Heiratskandidaten aufmarschieren. Ein Mädchen nach dem anderen wird zwangsverheiratet, bis sich der aufgestaute Frust schließlich in einer Tragödie Bahn bricht und Lale rebelliert.

Die Autorin und Regisseurin Deniz Gamze Ergüven wurde 1978 in Ankara geboren, ist aber vor allem in Frankreich aufgewachsen und hat an der Pariser Filmhochschule La Fémis studiert. Sie pendelt zwischen beiden Ländern hin und her, da ihre Familie großenteils in der Türkei lebt. Ihr erster Langfilm, in dem sie auch autobiographische Erfahrungen verarbeitet, spiegelt diese Bikulturalität wider: Obwohl auf Türkisch mit einheimischen Darstellern in der Türkei gedreht, ist die erstaunlich stilsichere Inszenierung eher französischen Autorenfilmern verpflichtet. Das lässt sich an der unbefangenen Darstellung der erwachenden Sinnlichkeit der Mädchen, die von unbekannten Laien- oder Nachwuchskräften überzeugend gespielt werden, ebenso ablesen wie am Soundtrack des Komponisten Warren Ellis mit seinem betörenden Mix aus psychedelischen und orientalischen Klängen.

Angesichts einer verstärkten konservativen Ausrichtung des öffentlichen Lebens in der Türkei unter Präsident Erdogan tritt Ergüven mit einem emanzipatorischen Gegenentwurf an. Schon der Filmtitel „Mustang“ signalisiert die Stoßrichtung. „Ein Wildpferd ist das perfekte Symbol für meine fünf Heldinnen und ihr zügelloses, ungestümes Temperament“, sagt die Filmemacherin.

Während sie einerseits die dramaturgischen Mittel des Gefängnisfilms nutzt, greift sie andererseits Motive des Märchens und der Mythologie wie Minotaurus und Labyrinth auf, um eine klassische Heldengeschichte zu erzählen. „Meine Heldinnen mussten am Ende gewinnen, und zwar so strahlend wie nur möglich.“ Bei aller Schärfe der Kritik an überkommenen patriarchalischen Strukturen argumentiert Ergüven durchaus differenziert, wie das ambivalente Verhalten der älteren Frauen zeigt, die zwischen Willfährigkeit und Solidarität pendeln. Am Ende ist es gerade der jugendliche Elan des hoffnungsvoll-naiven Finales, der zu Zivilcourage und Selbstbestimmung ermutigt.

Der Film gewann etliche Preise, darunter den Prix FIPRESCI als europäische Entdeckung beim Europäischen Filmpreis und den Art Cinema Award des Filmkunstverbands CICAE auf dem Filmfest Hamburg 2015. Nach einer Nominierung für die Golden Globes geht er bei der Oscar-Verleihung in das Rennen um den „besten fremdsprachigen Film“. Zudem erhielt er den Lux-Filmpreis des Europaparlaments, mit dem die Herstellung einer Fassung für Seh- und Hörbehinderte verbunden ist.        

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