Wer für die Beendigung des syrischen Bürgerkriegs auf den Präsidenten Bashar Al-Assad setzt, sollte wissen, wie er tickt. Der Islamwissenschaftler Daniel Gerlach liefert in seinem lesenswerten Buch den nötigen Hintergrund.
Warum ist der syrische Präsident Bashar Al-Assad nicht längst gestürzt? Wie kann sich ein Regime, das derart gnadenlos und brutal mit der eigenen Bevölkerung umgeht, so lange an der Macht halten? Syrien war bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs vor knapp fünf Jahren keinesfalls ein Entwicklungsland. Das Land hatte in Sachen Bildung Vorbildcharakter für die ganze Region. Radikalislamische Kräfte waren vor dem Bürgerkrieg nicht annähernd so stark in der Gesellschaft verwurzelt wie zum Beispiel in Ägypten.
Ausgerechnet in diesem Land aber hat die Demokratiebewegung des sogenannten arabischen Frühlings in die laut der Welthungerhilfe „größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“ geführt. Und noch erstaunlicher: Selbst nach 240.000 Toten und unzähligen Fassbomben gibt es immer noch viele Syrer, die in Assad den Schlüssel zum Frieden in ihrer Heimat sehen. Das alles ist kaum zu verstehen. Gerne ziehen sich westliche Außenpolitiker deshalb mit dem Verweis aus der Verantwortung, in Syrien sei alles so kompliziert, dass man sich lieber nicht einmische.
Daniel Gerlach ist das zu wenig. Er hat mit seinem Buch den Versuch gewagt, den Machtmechanismen des Regimes von Vater und Sohn Assad auf den Grund zu gehen. Dabei folgt er nicht der Chronik der Ereignisse, sondern analysiert die Deutungsmuster, mit denen das Regime den Syrern das eigene Handeln erklärt. Auf diese Weise entlarvt er viele Handlungen, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, als doppelgleisige Strategie des Regimes.
Dieses schüchtert die Bevölkerung durch brutale Repression ein. Erinnert sei an die vielen Oppositionellen, die in den Foltergefängnissen gequält und getötet wurden und werden. Oder an das Massaker von Hama 1982, bei dessen blindwütigem Granatenbeschuss auf die Großstadt zwischen Damaskus und Aleppo an die 30.000 Zivilisten ums Leben kamen. Offiziell sollten dadurch die Muslimbrüder niedergerungen werden. Die Regierungsspitze bedauert regelmäßig derartige „Kollateralschäden“ und schiebt die Verantwortung dafür gerne den Sicherheitskräften zu, die man durchaus zu kontrollieren versuche. Wenn aber die Bevölkerung provoziere, könne selbst der Präsident für nichts mehr garantieren. Inzwischen seien es die Terroristen, die bekämpft werden müssten. Wenn sie sich in Wohnvierteln verschanzten, komme man um eine Bombardierung leider nicht herum.
Dieser schizophrene Diskurs funktioniert in Syrien seit Jahrzehnten vortrefflich. Gerlach entlarvt das perfide Herrschaftsmuster der Familie Assad und legt damit ein Syrienbuch vor, das angesichts der jüngsten Bestrebungen russischer und auch westlicher Außenpolitik, Assad als Partner gegen den Islamischen Staat sehen, sehr notwendig ist. Wer auf den syrischen Präsidenten als Partner setzt, sollte wissen, wie dieser Partner tickt.
Daniel Gerlach gelingt aber auch noch etwas anderes. Der Autor gehört zu der Generation von Islamwissenschaftlern, die während ihres Studiums noch relativ unbefangen in die Länder des Nahen Ostens reisen konnten und eine persönliche Beziehung zu der Region aufgebaut haben. Er macht keinen Hehl daraus, dass er um das liebenswerte Syrien trauert, das zurzeit in Schutt und Asche gelegt wird. Immer wieder lässt er selbst erlebte Anekdoten und Gespräche mit syrischen Freunden einfließen, die dem Buch vielleicht seinen wissenschaftlichen Anstrich nehmen, es dafür aber umso lesenswerter machen.
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