Eine unbequeme Wahrheit

Die Kohlekraft ist noch immer ein Exportschlager der Industrieländer. Das belegt ein aktueller Bericht mehrere Umweltorganisationen. Doch ein striktes „Nein“ zur Kohle ignoriert die Energiearmut in vielen Ländern. Sie brauchen jede Hilfe, wie wir ihnen zukommen lassen können.

Das Football-Stadion der Dallas Cowboys in Texas verbraucht während eines Spiels mehr Strom als zur selben Zeit alle vier Millionen Einwohner von Liberia. Darauf hat die Präsidentin des kleinen Landes in Westafrika, Ellen Johnson-Sirleaf, vor einiger Zeit hingewiesen. Nur jeder fünfzigste Liberianer hat Zugang zu einer verlässlichen Stromquelle, auf dem Land praktisch niemand. Dort geht abends um halb sieben, wenn die Sonne untergeht, das Licht aus. Als Johnson-Sirleaf 2007 nach langen Jahren des Bürgerkriegs in Liberia antrat, ließ sie als eine ihre ersten Amtshandlungen einige Straßen in der Hauptstadt Monrovia beleuchten.

Acht Jahre später sind noch immer große Teile der Stadt ohne Elektrizität – so wie viele Regionen in armen Ländern, vor allem in Afrika und im südlichen Asien. Weltweit haben 1,2 Milliarden Menschen keinen Strom, fast ein Fünftel der Weltbevölkerung. Und mehr als 2,6 Milliarden Menschen haben keine saubere Energie zum Kochen; sie verbrennen dafür Holz, Dung oder Kerosin. Die Vereinten Nationen wollen das ändern: Bis 2030 sollen alle Menschen zuverlässig mit sauberem Strom versorgt sein, verkündete Generalsekretär Ban Ki-moon vor vier Jahren.

Seitdem streiten Fachleute darüber, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Vor allem in der Frage, inwieweit dafür fossile Energieträger wie Kohle oder Öl gebraucht werden, sind die Fronten mittlerweile ähnlich verhärtet wie in anderen entwicklungspolitischen Grabenkämpfen, etwa über den Nutzen von Gentechnik in der Landwirtschaft. Die UN-Energie­initiative kollidiert nämlich mit einem anderen Ziel, das der entwicklungspolitischen Szene mindestens ebenso wichtig ist: den Klimawandel zu bremsen und die globale Erwärmung möglichst unter zwei Grad Celsius zu halten.

Es wird noch viel Kohle, Öl und Gas verbrannt werden

Zwar haben Umweltorganisationen wie der US-amerikanische Sierra Club Studien vorgelegt, nach denen beides ohne Abstriche zu erreichen ist. Aber diese Papiere strotzen von fragwürdigen Berechnungen, Prognosen und Annahmen, die nur den einen Zweck haben: das gewünschte Ergebnis zu erhalten.

An einer unbequemen Wahrheit kommt in der Debatte über Energieversorgung und Klimaschutz niemand vorbei: Es wird noch viel Kohle, Öl und Gas verbrannt werden in den kommenden Jahrzehnten, ob uns das gefällt oder nicht. Gerade Schwellenländer wie China, Indien und Südafrika werden es sich nicht nehmen lassen, ihre Vorräte an fossilen Energieträgern zu verheizen, solange sie das für nötig halten.

Diese Wahrheit zu akzeptieren kann helfen, den Kampf gegen Energiearmut möglichst klimafreundlich zu führen. Denn ohne Kompromisse auf beiden Seiten geht es nicht. Derzeit etwa beraten die in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) versammelten Industrieländer darüber, inwieweit sie Investitionen in Kohlekraftwerke im Ausland weiter staatlich fördern sollen, zum Beispiel mit Kreditbürgschaften. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen sind strikt dagegen, auch einige Länder wie Frankreich und die USA wollen die Förderung einstellen. Andere wie Australien hingegen möchten davon nichts hören.

Förderung nur dort, wo es wirklich nötig ist

Ein pauschales Ja oder Nein hilft hier nicht weiter; es muss von Fall zu Fall entschieden werden. In der Mongolei etwa liefert ein einziges Kohlekraftwerk
70 Prozent der Energie für das nationale Stromnetz. Das muss sich ändern, die Regierung und die internationale Entwicklungshilfe sollten verstärkt in saubere Quellen und eine dezentrale Versorgung investieren, zumal ein großer Teil der Landbevölkerung vom Stromnetz ausgeschlossen ist. Aber solche Alternativen sind noch nicht in Sicht. Es war deshalb richtig, dass die KfW-Entwicklungsbank die Modernisierung des Kraftwerks mit einem Kredit in Höhe von 8,5 Milliarden Euro unterstützt hat, um die Stromproduktion effizienter und klimaschonender zu machen.

Das Center for Global Development in Washington hat eine neue Länderkategorie vorgeschlagen, um in solchen Fällen eine Entscheidungsgrundlage zu haben. Demnach soll die Förderung von Energie aus Kohle, Gas und Öl  mit Entwicklungshilfe weiter möglich sein, wo die Energiearmut besonders groß ist. Als Schwellenwerte definiert das Center einen Stromverbrauch pro Kopf von weniger als 1000 Kilowattstunden im Jahr und einen jährlichen Treibhausgasausstoß pro Kopf von weniger als einer Tonne. Zum Vergleich: Wir in Deutschland verbrauchen laut Weltbank im Durchschnitt sieben Mal so viel Strom und blasen neun Mal so viel Treibhausgase in die Atmosphäre.

So lange wir uns in der reichen Welt klimatisierte Sportstadien leisten, sollten wir den Einwohnern von Liberia und vergleichbaren Ländern alle Hilfe zukommen lassen, die sie brauchen, um wenigstens der größten Energiearmut zu entkommen.  

 

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Den Bau neuer oder die Modernisierung bestehender Kohlekraftwerke im Ausland auch weiterhin durch staatliche Akteure wie die bundeseigene KfW oder durch die Vergabe von Hermesbürgschaften zu fördern? Das halten wir für sehr problematisch. Der Artikel offenbart Ansichten und Argumente, die nicht einmal mehr die Weltbank vertritt und die in Zeiten des Klimawandels, fallender Preise für erneuerbare Energien und der Erfahrungen im Kampf gegen die Energiearmut in Entwicklungsländern aus unserer Sicht längst überwunden sein sollten.

Richtig ist: Die Menschen in den Entwicklungsländern haben ein Recht auf Zugang zu Energie bzw. Energiedienstleistungen. Das gilt übrigens unabhängig davon, ob sich die reichen Länder klimatisierte Sportstadien leisten oder nicht. Allerdings zeigen die Erfahrungen, dass der Bau zentraler Großkraftwerke (z.B. Kohlekraftwerke, Atomkraftwerke oder Großstaudämme) keine erfolgversprechende Strategie gegen Energiearmut in den Entwicklungsländern ist. Wie Tillmann Elliesen richtig aufführt, ist das Problem der Energiearmut im ländlichen Raum am größten. Der Grund: die fehlenden Verteilungsnetze. Ohne Netz kommt aber der Strom aus einem Kohlekraftwerk nicht zu den Menschen. Dafür müssten Regierungen oder Stromversorger neben den Investitionen in Kohlekraftwerke auch noch die teuren Leitungen legen. Ab etwa fünf Kilometer Entfernung vom Kraftwerk wird die Sache teurer als der Aufbau von dezentralen Versorgungssystemen auf Basis erneuerbarer Energien.

Ohnehin ist fraglich, ob es entwicklungsfördernd ist, in einem Land wie dem im Artikel als Beispiel aufgeführten Liberia durch die (finanzielle) Förderung des Baus von Kohlekraftwerken für den Weg in die Abhängigkeit von Kohleimporten zusätzlich Anreize zu schaffen. Selbst für Südafrika oder Indien mit ihren erheblichen eigenen Kohlevorkommen führt der Bau von Kohlekraftwerken noch lange nicht zu einer Verbesserung des Zugangs zu Energie für die in Armut lebenden Menschen. In Indien ist in den Regionen mit den meisten Kohlekraftwerken die Elektrifizierung ländlicher Haushalte im Landesvergleich am niedrigsten. Und obwohl in Südafrika etwa 90 Prozent des Stroms aus Kohle erzeugt werden, sind nach wie vor viele Haushalte nicht angeschlossen oder können sich den Strom nicht leisten, da die Verbraucher die Strompreise für die Großindustrie subventionieren. Die Menschen in beiden Ländern erleben zudem die weiteren Schattenseiten, die die Kohle als Energieträger mit sich bringt, wie Verwüstung ganzer Landstriche, Luftverschmutzung und die Beeinträchtigung der Wasserversorgung. Kohle als billige Energiequelle, die Entwicklung mit sich bringen soll, ist vor allem eine eigennützige Erzählung der Kohleindustrie, die die externen Folgekosten außen vor lässt.

Leider lässt der Artikel völlig außer Acht, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke und auch die Modernisierung bestehender Anlagen, so sie dadurch länger am Netz bleiben können, wegen der langen Lebensdauer solcher Investitionen nicht mit dem Ziel vereinbar sind, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Das ergibt sich aus den Szenarien des fünften Sachstandsbericht des UN-Wissenschaftsrats zum Klimawandel (IPCC), nach denen weltweit die CO2-Emissionen aus dem Stromsektor bis zur Jahrhundertmitte mehr oder weniger auf null sinken müssen, um das Temperaturlimit nicht zu überschreiten. Da nicht zu erwarten ist, dass die Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2 in den kommenden Jahren ernsthaft einsatzfähig werden wird (dafür müsste diese Technologie neben den technischen Problemen und Risiken vor allem die mangelhafte Wirtschaftlichkeit überwinden), bleibt der Welt nur die Abkehr von der Kohle als Energieträger. Richtig ist natürlich, dass sich kein Land vorschreiben lässt, ob es sich der Kohle bedient oder nicht. Warum aber deshalb der Artikel implizit fordert, dass die KfW deswegen weiterhin die Finanzierung von Kohlekraftwerken im Ausland bereitstellen und so sozusagen bei vollem Bewusstsein die Einhaltung des Zwei-Grad-Limits untergraben sollte, erschließt sich uns nicht.

Den Kampf gegen Energiearmut zwar möglichst klimafreundlich, aber eben doch mit Kohlekraftwerken führen zu wollen, ist ein Widerspruch in sich. Wir hoffen sehr, dass Tillmann Elliesen nicht zwischen den Zeilen seines Artikels die Notwendigkeit der Begrenzung des Klimawandels gegen den berechtigen Entwicklungsbedarf in den armen Ländern ausspielen möchte, etwa durch eine implizite oder einfach nur hingenommene Aufweichung des Temperaturlimits im Namen der Entwicklungsförderung. Schon eine Erwärmung um diese zwei Grad (im globalen Durchschnitt) wird in vielen Ländern die mühselig erreichten Fortschritte im Kampf gegen die Armut zunichtemachen. Jenseits des Temperaturlimits dürfte sich infolge wiederkehrender schlimmer Dürren, massiver Zunahme von extremen Unwettern, schwindender Ökosysteme, erheblicher Beeinträchtigung der Nahrungsmittelproduktion und der Wasserversorgung weltweit das Rad der menschlichen Entwicklung zurückdrehen – da kommt dann auch der erhoffte Beitrag zur Entwicklung durch Strom aus Kohlekraftwerken nicht gegen an.

Zum Glück ist das kein unabänderliches Schicksal. Der Welt stehen die Technologien und die nötige Wirtschaftskraft zur Verfügung, die Große Transformation zu schaffen und die Welt in zunehmendem Maße mit erneuerbaren Energien zu versorgen. 100% bis 2050 sind möglich. Leicht wird das nicht, denn es erfordert Widerstand gegen die mächtige Lobby der fossilen Energien, ausreichend politischen Willen allerorten, wesentlich mehr Unterstützung der reichen Länder für die armen Länder beim Aufbau zukunftsfähiger Energiesysteme und insbesondere ein Ende der öffentlichen Förderung von Kohlekraftwerken im Ausland durch Exportkredite oder Bürgschaften (bei denen es ohnehin nicht um Entwicklung, sondern um die Förderung der Exportwirtschaft geht). Es erfordert aber insbesondere auch die Abkehr von den gestrigen Mythen über die entwicklungsfördernde Rolle fossiler Energien und die dahinter vermutlich noch stehenden alten Ängste über mögliche Grenzen der erneuerbaren Energien. Mehr visionäres Denken bitte.

Regine Richter, Referentin Internationale Finanzinstitutionen, urgewald
Sabine Minninger, Referentin für Klimapolitik, Brot für die Welt
Susanne Breuer, Referentin Energie / Lateinamerika, MISEREOR
Jan Kowalzig, Referent für Klimawandel und Klimapolitik, Oxfam

Mehr dazu:
„Energiearmut überwinden“, Diskussionspapier von Misereor und Brot für die Welt, 2014 (http://bit.ly/1UWEfwx)
„Keine Zukunft für die Kohle – weltweit“, Klima-Allianz Deutschland, 2014 (http://bit.ly/1rkbq1w)
„Powering Up Against Poverty: Why Renewable Energy Is The Future”, Oxfam, 2015 (http://bit.ly/1hPuW3e)

Lieber Herr Kowalzig, liebe Frau Richter, liebe Frau Minninger, liebe Frau Breuer,

besten Dank für Ihren Kommentar zu meinem Leitartikel. Einige Anmerkungen dazu: Grundsätzlich bin ich so wie Sie froh über jeden Euro oder Dollar, der in erneuerbare Energien investiert wird und nicht in Kohle, Öl oder Gas. Da tut sich ja auch eine Menge, langfristig sind die Erneuerbaren nicht aufzuhalten - siehe hier: http://www.welt-sichten.org/artikel/29396/siegeszug-von-wind-und-sonne

Aber bis die Energieversorgung ohne fossile Energieträger funktioniert, werden noch Jahrzehnte vergehen - und das nicht nur, weil die böse Kohlelobby es so will, sondern weil die erneuerbaren Quellen noch nicht so weit sind. Vor diesem Hintergrund halte ich es durchaus für klug, arme, von der Kohle abhängige Länder zu unterstützen, die beste und am wenigsten klimaschädliche Kohlekraft-Technik zu verwenden - so wie die KfW das in der Mongolei gemacht hat. Das ist nicht nur Exportförderung, sondern sinnvolle Entwicklungshilfe. Was wäre denn die Alternative?

Ich halte auch den Neu- und Ausbau von Kohlekraftwerken für vertretbar, wenn dadurch Leute mit Strom versorgt werden, die bislang keinen Zugang zu Elektrizität haben - und wenn eine andere Quelle nicht zur Verfügung steht oder zu teuer ist. Ob das so ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Das mag nicht besonders visionär sein, könnte aber ganz praktisch helfen, den Lebensstandard dieser Leute zu heben. Und der Beitrag zum Klimawandel wäre gemessen an unserem Treibhausgasausstoß in den reichen Ländern nicht der Rede wert.

Mit besten Grüßen,

Tillmann Elliesen, welt-sichten

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erschienen in Ausgabe 6 / 2015: Indien: Großmacht im Wartestand
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