Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation den Covid-19-Ausbruch offiziell zur Pandemie. Wenige Wochen später bezeichnete die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, die von der Pandemie ausgelöste Rezession als „Krise wie keine andere“. Doch während reiche Länder die Folgen für die heimische Wirtschaft mit Maßnahmen in Billionenhöhe abfedern können, fehlt Entwicklungsländern dieser Spielraum.
Schon vor der Corona-Krise haben viele ärmere und kritisch verschuldete Staaten mehr für Tilgung und Verzinsung ihrer Schulden ausgegeben als für die öffentliche Gesundheitsvorsorge. Die durch die Pandemie ausgelöste Rezession hat das verschärft. Die Schuldensituation werde sich weiter zuspitzen, Staatspleiten in Entwicklungsländern könnten die Folge sein. Mehrfach warnten deshalb IWF-Wirtschaftsfachleute und dessen Direktorin vor der Gefahr eines verlorenen Entwicklungsjahrzehnts in armen Ländern.
Die G20 reagierten im April rasch: Sie boten 73 armen Ländern ein Schuldenmoratorium an, die sogenannte Debt Service Suspension Initiative (DSSI). Damit werden keine Schulden erlassen, sondern der Schuldendienst – also Zins- und Tilgungszahlungen – zeitweise ausgesetzt. Dadurch wären, wenn alle 73 Länder das in Anspruch nehmen würden, 2020 bis zu 12 Milliarden US-Dollar für die Bekämpfung der Pandemiefolgen in den begünstigten Ländern frei geworden.
Doch der Teufel steckt im Detail. Ein Problem ist, dass sich die privaten Gläubiger nicht an der Initiative beteiligen. Zwar riefen die Staatschefs sie dazu auf, sich dem Schuldenmoratorium anzuschließen. Das ist aber nicht passiert. Doch viele Länder im globalen Süden haben inzwischen mehr Schulden bei privaten Gebern als bei staatlichen und multilateralen wie der Weltbank oder dem IWF. Hinzu kommt, dass vor allem die privaten Gläubiger von den Schulden der armen Länder profitieren. Denn ihre Zinsen sind um ein Vielfaches höher als bei öffentlichen Gebern.
2021 rund 14 Milliarden an private Gläubiger
Insgesamt schulden Entwicklungs- und Schwellenländer zuletzt knapp 64 Prozent ihrer Gesamtverschuldung privaten Gläubigern. Vor allem der Anteil von Anlegern wie Investmentfonds an der öffentlichen Verschuldung von Entwicklungsländern ist seit der globalen Finanzkrise 2007-2008 dramatisch gewachsen, von 30 Prozent im Jahr 2009 auf 49 Prozent im Jahr 2019. Einige der an der DSSI beteiligten Länder leisten einen Großteil ihres Schuldendienstes an private Gläubiger. In Sambia etwa flossen 2020 schätzungsweise 69 Prozent aller Schuldendienstzahlungen nicht an die G20, sondern unter anderem an Investmentfonds in den USA, Großbritannien und Europa wie Alliance Bernstein und Aberdeen Asset Management. Die von der DSSI begünstigten Länder müssen 2021 rund 14 Milliarden US-Dollar Schuldendienst an private Gläubiger leisten, knapp 30 Prozent all ihrer Zahlungen für Zins und Tilgung.
Autorin
Kristina Rehbein
ist politische Referentin beim deutschen Entschuldungsbündnis „erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung“ und seit 2017 Mitglied des Vorstands des European Network on Debt and Development mit Sitz in Brüssel.Ratingagenturen haben zu Beginn der DSSI diese Haltung übernommen und Ländern wie Kamerun mit einer Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit gedroht. Nicht ohne Wirkung: Kenia etwa blieb der DSSI fern aus Angst, in Zukunft Schwierigkeiten beim Zugang zum internationalen Kapitalmarkt zu bekommen. Damit besteht die Gefahr, dass die Gelder, auf die die G20-Staaten verzichten, nicht in die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder gesteckt werden, sondern in die Taschen privater Gläubiger fließen.
Weil vielen ärmeren Ländern eine Schuldenkrise droht, haben sich die G20-Finanzminister im November auf ein Rahmenwerk für Umschuldungen über die Stundung von Schuldendienstzahlungen hinaus geeinigt. Die Unzufriedenheit damit, dass private Kreditgeber sich nicht an der DSSI beteiligten, war ein zentraler Punkt bei den Verhandlungen. Anstatt nun aber verbindliche Regeln zu vereinbaren, welche die Beteiligung privater Gläubiger erzwingen würden, sollen Schuldnerländer sich um „Gleichbehandlung“ der verschiedenen Gläubiger bemühen. Wie genau ein einzelnes Schuldnerland erreichen soll, was die G20 als Ganze nicht schaffen – darüber schweigen die G20.
Kein System, das die Kosten fair auf alle verteilt
Noch am Tag der G20-Verhandlungen scheiterte das verabschiedete Rahmenwerk genau an diesem Punkt: Sambia musste als erstes Land im Kontext der Corona-Pandemie am 13. November 2020 seine Schuldendienstzahlungen einstellen. Zuvor hatte das Land – ein großer Kupferproduzent, dessen Wirtschaftsleistung infolge der Pandemie eingebrochen war – die Gläubiger seiner Eurobonds, darunter große Investmentfonds wie BlackRock und JP Morgan, um ein sechsmonatiges Zinsmoratorium gebeten und damit das versucht, was die G20 von ihren Schuldnerländern erwarten. Doch die Anleger lehnten die Bitte um Aufschub ab.
Die Corona-Pandemie offenbart damit eine seit langem bestehende Unzulänglichkeit der globalen Finanzarchitektur: Es fehlt ein rechtsstaatlicher und verlässlicher Rahmen zur Koordination aller Gläubiger. Schon in vergangenen Schuldenkrisen hat das Nebeneinander verschiedener Verfahren und das dadurch verschärfte Machtungleichgewicht zwischen Schuldnern und Gläubigern dazu geführt, dass Schuldenkrisen nicht gelöst, sondern teils über Jahrzehnte verschleppt wurden. Weil es kein System gibt, das die Kosten fair auf alle verteilt, ist es nicht verwunderlich, dass private Gläubiger nicht freiwillig verzichten. Denn ein Investmentfonds, der auf Forderungen verzichtet, während andere Gläubiger, insbesondere die eigene Konkurrenz, dies nicht tun, handelt gegen seine Kerninteressen.
Schon in der Frühphase der DSSI war den G20 daher klar, dass sich Private nicht freiwillig beteiligen würden. Trotzdem haben die Finanzminister sich darauf eingelassen, anstatt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und verbindliche Regeln zu schaffen. Damit Länder 2021 nicht gezwungen sind, zwischen der Rückzahlung ihrer Schulden und dem Leben ihrer Bürger zu entscheiden, braucht es ein Erlassjahr: Im Überschuldungsfall muss die Verschuldung rasch und umfassend auf ein tragfähiges Maß verringert werden – und zwar bei allen bedürftigen Entwicklungsländern. Dafür müssen die G20 sicherstellen, dass alle Gläubiger sich beteiligen. Sie müssen alle rechtlichen und politischen Spielräume nutzen, um das zu erzwingen. Sonst droht bald weiteren Ländern die kostspielige Pleite, zum Beispiel Angola.
Schließlich müssen neben kurzfristigen Schritten, die überschuldeten Staaten wieder mehr finanziellen Spielraum geben sollen, auch weitergehende Maßnahmen ergriffen werden. Insbesondere müssen die Verhandlungen über die Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens bei den Vereinten Nationen wieder aufgenommen werden. Das haben schon vor der Corona-Pandemie Entwicklungsländer gefordert, etwa für die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder der Botschafter Malawis in den Vereinten Nationen.
Erlassjahr
Damit Länder 2021 nicht gezwungen sind, zwischen der Rückzahlung ihrer Schulden und dem Leben ihrer Bürger zu entscheiden, braucht es ein Erlassjahr
Wer könnte und müßte darauf drängen?
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