Wer begleicht die ökologische Schuld der Reichen?

Schuldenreport
Jedes Jahr legen das deutsche Entschuldungsbündnis erlassjahr.de und Misereor einen Schuldenreport vor. In der neuesten Auflage fordern sie einen besonderen Schutz für Länder, denen aus dem Wiederaufbau nach Extremwetterereignissen weitere Schulden drohen. Doch selbst das Entwicklungsministerium zeigt sich reserviert gegenüber diesem Vorschlag.

Der Report fordert, dass internationale Gläubiger sich darauf verständigen, verschuldeten Ländern einen sofortigen Zahlungsstopp anzubieten, wenn die Weltbank feststellt, dass eine Katastrophe besonders schwer ist. Anschließend soll eine unabhängige Instanz in einem geordneten Verfahren aushandeln, wie die Schulden auf ein tragfähiges Maß zurückgeführt werden könnten. „Es braucht eine gemeinsame Regelung“, sagte Jürgen Kaiser von erlassjahr.de bei der Vorstellung des Reports im Januar in Berlin. Man müsse über Verfahren reden, wer entscheide und welche Gläubiger worauf verzichten müssten.

Adressiert ist der Vorschlag zunächst an die Bundesregierung. Sie soll sich bei den Vereinten Nationen im Financing-for-Development-Prozess und im Internationalen Währungsfonds (IWF) dafür einsetzen, dass zunehmend vom Klimawandel verursachte oder verstärkte Naturkatastrophen nicht in die nächste Schuldenspirale führen. Auch die 20 größten Industrie- und Schwellenländer (G20) könnten mit der Gruppe der V20, den am stärksten von Klimaschäden bedrohten Ländern, in den UN eine Initiative anstoßen. „Vorausgesetzt, der politische Wille ist da“, ergänzte Kaiser.

Die G20, darunter neben den größten Industrieländern auch Schwellenländer wie China und Indien, sind nicht nur die größten Verursacher des Klimawandels, sondern auch die größten Gläubiger, die Darlehen vergeben und Staaatsanleihen kaufen. Im Vergleich stehen die im Pariser Club vereinten westlichen Staaten inzwischen nur noch für Außenstände im einstelligen Prozentbereich. Der Anteil deutscher Forderungen an der globalen Verschuldung beträgt lediglich 0,4 Prozent. China, das als wenig verantwortlich in seiner Kreditvergabe gilt, verleiht nach Schätzungen von Ökonomen heute das meiste Geld.
Doppelt so hohe Schulden wie während der Finanzkrise 2009

Dass sich seit einiger Zeit die schnellste und umfassendste Schuldenwelle in Entwicklungs- und Schwellenländern aufgebaut hat, konstatierte jüngst auch die Weltbank. Die Auslandsschulden dieser Länder seien mit insgesamt 7,8 Billionen US-Dollar fast doppelt so hoch wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009. Besonders gegenüber privaten ausländischen Anleihegläubigern seien sie deutlich gestiegen.

Internationale Mittel, die gefährdeten Ländern bei der Anpassung an Klimarisiken helfen, sind nach den Worten von Anika Schroe­der von Misereor bereits jetzt zu knapp bemessen, um damit auch noch Katastrophenschäden aufzufangen. Allein die voraussichtlich notwendigen Umsiedlungen aus Städten wie Jakarta (Indonesien) oder Mumbai (Indien) seien gewaltige Aufgaben. Wenn sich eine „doppelte Verwundbarkeit“ auftue, also zu kritischer Verschuldung noch Wetterextreme wie Wirbelstürme, Starkregen und Dürren hinzukämen, müsse damit anders umgegangen werden. Es gehe auch darum, eine „ökologische Schuld“ der reichen Länder mit den Schulden des Südens zu verrechnen.

Von den zehn Ländern, die im Jahr 2017 laut dem Klimarisikoindex am stärksten von Extremwetter betroffen waren, sind laut IWF unter anderem Sierra Leone und Dominica gefährdet, sich zu überschulden; Sri Lanka steuere auf einen gefährlichen Schuldenstand zu. Viele Länder in Afrika sind bereits überschuldet oder sehen sich einem „mittleren bis hohen Überschuldungsrisiko“ gegenüber, so der IWF, darunter Äthiopien, Ghana und Kenia sowie Simbabwe und Sambia.

Bei der Bundesregierung rennen die Herausgeber des Schuldenreports aber nicht gerade offene Türen ein. Ein Vertreter des Entwicklungsministeriums reagierte bei der Vorstellung eher reserviert: Der Fokus auf Klimaschäden sei zu eng; grundsätzlich müssten verschuldete Länder ihr eigenes Haus in Ordnung halten. Dass einmalige Lösungen nicht nachhaltig seien, habe etwa die letzte Entschuldungsinitiative HIPC vor rund 20 Jahren gezeigt. Viele der Zielländer seien heute wieder hoch verschuldet.
Zur Bearbeitung der Schuldenprobleme sieht Berlin den IWF als geeignet an. Dessen neue Chefin Kristalina Georgiewa habe sich in ihrer vorherigen Position bei der Weltbank für Klimaschutz eingesetzt. Im Übrigen setzt Berlin auf ein „umfassendes Risikomanagement“, das mit Vorsorge Schäden so gering wie möglich halte und etwa über Klimaversicherungen abfedere. Aus deutscher Sicht sei auch der Grüne Klimafonds, in den man großzügig einzahle, für klimabedingte Verluste und Schäden das zentrale Instrument.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2020: Schuften für den Weltmarkt
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