Offener Brief fordert radikaleren Weltkirchenrat

Epd-Bild/Thomas Lohnes

Die Basis macht Druck: Werbefahrt für die Ökumenische Pilgerreise, die im Oktober 2020 stattfinden soll.

Globale Umweltkrisen
In einem offenen Brief kritisieren namhafte Personen und Initiativen, große Institutionen der Ökumene seien zu lasch in ihrem Kampf gegen den Klimawandel und für Nachhaltigkeit. Während der Ökumenische Rat der Kirchen sich nicht angesprochen fühlt, reagieren Vertreterinnen der EKD und von Missionswerken irritiert.

Aufhänger der Kritik ist die sogenannte Wuppertaler Erklärung, die im Sommer vor einem Jahr nach einer Konferenz zur Frage einer „Öko-Theologie“ und einer „Ethik der Nachhaltigkeit“ von 52 Teilnehmenden aus aller Welt veröffentlicht worden war. Organisiert hatten die Konferenz Mitarbeitende des Evangelischen Missionswerks (EMW), der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), Brot für die Welt und dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). Die Erklärung spricht eine durchaus deutliche Sprache: „Fehlinterpretationen des Evangeliums“ sowie „toxische Narrative und Theologien“ hätten eine „totalitäre Logik des Todes und der Zerstörung“ befördert und legitimiert. Die Verfasser des offenen Briefes kritisieren aber den anschließenden Aufruf an die globale ökumenische Bewegung zu „innerer Umkehr, einer Änderung von Gewohnheiten, Gepflogenheiten, Überzeugungen und Praktiken“ als viel zu zahm. 

Zu den Unterzeichnenden des kritischen Briefes mit dem Titel „Die Zeichen der Zeit nicht verkennen“ gehören international bekannte Theologinnen und Theologen wie zum Beispiel Nancy Cardoso-Pereira (Brasilien), Susan E. Davies (USA) und Yong-Bock Kim (Südkorea), basisorientierte Ökumene-Initiativen, amtierende und emeritierte Bischöfe, ehemalige führende ÖRK-Mitarbeitende, der ehemalige Generalsekretär der Evangelischen Mission in Solidarität, Bernhard Dinkelaker, der frühere Geschäftsführer von Brot für alle, Beat Dietschy, sowie der Generalsekretär der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, Chris Ferguson. Insgesamt hatten sich bis Mitte April 250 Personen und Initiativen hinter die Forderungen des Briefes nach radikaleren Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel gestellt; nach Auskunft von Kairos Europa, einem europäischen Netzwerk von ökumenischen Basisinitiativen und Mitinitiator des Briefes, würden es täglich mehr.

Die „imperiale Lebensweise“ überwinden

Globale Krisen könnten nicht nur durch „ein schrittweises Heraustransformieren aus der fossil basierten Produktionsweise“ gelöst werden, heißt es in dem Schreiben. Vielmehr müsse die „imperiale Lebensweise“ überwunden und ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem angestrebt werden. Dies erfordere eine radikale Abkehr von den kapitalistischen Triebfedern Wachstum und Profit. Die Wuppertaler Erklärung dagegen lasse den „systemischen Charakter der Krise weitgehend außer Acht“. Ökologische Gerechtigkeit lasse sich nicht von wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit trennen.

Den großen Institutionen wie dem ÖRK, aber auch der Katholischen Kirche werfen die Verfasser des offenen Briefes vor, im Kampf gegen die globalen Krisen immer wieder hinter ihre eigenen Verlautbarungen zurückzufallen. Um Konflikte mit Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft zu vermeiden, hielten sie sich zurück und forderten lediglich „kosmetische Reformen des strukturell zerstörerischen globalen ökonomischen Systems“.

Hinter dem offenen Brief steht darüber hinaus der Anspruch, eine Neuausrichtung des ÖRK zu bewirken. Man wolle vor der Wahl des neuen Generalsekretärs im August politischen Druck aufbauen, sagt Martin Gück von Kairos Europa. „Es wäre schon gut, an die Spitze des ÖRK würde jemand gewählt, der prophetischen Drive hat und nicht zu lau mit dem Thema umgeht.“ Auch die ÖRK-Vollversammlung im September 2021 in Karlsruhe könne eine echte Chance für die Ökumene werden, wenn sich der Rat künftig entschiedener mit den Überlebenskrisen der Menschheit und der Schöpfung sowie ihren Ursachen befasse, sagt Gück.

Warnung davor, Wirtschaft und Ökologie gegeneinander auszuspielen

Der ÖRK fühlt sich indes von der Kritik des Briefes gar nicht angesprochen. Die Wuppertaler Erklärung sei kein offizielles ÖRK-Dokument, sondern nur das Abschlusspapier einer Konferenz, sagte der kommissarische Generalsekretär Ioan Sauca auf Anfrage von „welt-sichten“. Die Unterzeichner dürften deswegen nicht mit einem Antwortbrief aus Genf rechnen. Der ÖRK sehe sich in der Rolle, Debatten in der ökumenischen Bewegung zu ermöglichen. Sowohl die Wuppertaler Erklärung als auch der offene Brief seien wertvolle Beiträge für eine Auseinandersetzung mit ökologischer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit. „Wir freuen uns, wenn solche Themen auf der Vollversammlung in Karlsruhe analysiert und diskutiert werden“, sagte Sauca.

Die eigentlichen Verfasser der Wuppertaler Erklärung hingegen zeigen sich irritiert über den Brief und lassen die Kritik nicht gelten. Es sei weder bei der Konferenz noch in der Deklaration darum gegangen, Wirtschaft und Ökologie gegeneinander auszuspielen. „Wir sind alle davon überzeugt, dass ökonomische und ökologische Gerechtigkeit zusammengehören“, heißt es in der Stellungnahme, die Ruth Gütter von der EKD und Andar Parlindungan von der VEM für die Vorbereitungsgruppe unterzeichnet haben. Gleichzeitig werfen sie den Verfassern des Briefes Selbstüberschätzung vor: Sie seien nicht die einzige authentische Stimme in der Ökumene zu Fragen der Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsethik. „Wir wollen nicht zurückfallen in einen nicht-ökumenischen Geist der Polarisierung zwischen Gerechtigkeit und Ökologie, Kirchenvertretern und Basisvertretern, Norden und Süden.“

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Wir müssen von der Philosophie Calvins abkommen: „Wenn es dir gut Geht ist Gott mit dir. Wenn es dir schlecht geht will er dich prüfen.“ Diese Auffassung kann nur in den Turbokapitalismus führen. E.Pahmeier

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Ihr Artikel zitiert den offenen Brief mit den Worten:
Um Konflikte mit Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft zu vermeiden, hielten sie sich zurück und forderten lediglich „kosmetische Reformen des strukturell zerstörerischen globalen ökumenischen Systems“, was keinen Sinn macht, würde es so im offenen Brief stehen. Das korrekte Zitat ist vielmehr: „kosmetische Reformen des strukturell zerstörerischen globalen ökonomischen Systems“.

Antwort auf von Martin Schuler (nicht überprüft)

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Hallo Herr Schuler, vielen Dank für den Hinweis. Da haben Sie recht, so macht das keinen Sinn. Wir haben das korrigiert.

Beste Grüße, Sebastian Drescher, welt-sichten

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erschienen in Ausgabe 6 / 2020: Kino im Süden
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