Heiße Zeiten

Zwischen Worten und Taten im Klimaschutz herrscht eine deprimierende Kluft. Die Staaten sind sich einig, dass die Erderwärmung auf höchstens 2 Grad Celsius begrenzt werden muss – auf der jüngsten Weltklimakonferenz Ende 2010 in Cancún haben sie das so beschlossen. Dazu müssen die globalen Treibhausgas-Emissionen schnell und stark gesenkt werden. Ziele für die einzelnen Länder sollte die Klimakonferenz Ende diesen Jahres in Durban festlegen. Das wird sie aber nicht. Die Verhandlungen im Vorfeld – zuletzt im Juni in Bonn – kommen nur bei Fragen wie Technologie-Transfer und Finanzhilfe für arme Staaten voran. Umstritten ist schon, ob neue Minderungsziele unter dem Kioto-Protokoll oder in einem neuen Abkommen bestimmt werden sollen.

Im Kioto-Protokoll haben sich die Industrieländer außer den USA auf nationale Emissionseinsparungen bis 2012 verpflichtet. Da es den Großteil der Emissionen – die der USA und der Schwellenländer – nicht mehr erfasst, hält etwa die Europäische Union (EU) ein neues, umfassendes Abkommen für besser. Das aber ist in Kopenhagen Ende 2009 gescheitert und weiter außer Reichweite. Zwar hat in manchen Schwellenländern, die 2009 verbindliche Emissionsziele für Entwicklungsländer abgelehnt hatten, ein Umdenken eingesetzt – etwa in China.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".

Doch die USA, eins der Länder mit den höchsten Pro-Kopf-Emissionen, werden in absehbarer Zeit keine internationalen Minderungspflichten akzeptieren. Der von den Republikanern beherrschte Kongress und der Feldzug der Rechten gegen Präsident Obama machen jede vernünftige US-Klimapolitik vorerst unmöglich. Das einzige Instrument für international verbindliche Emissionsgrenzen entfällt also, wenn nicht wenigstens die Verpflichtungen unter dem Kioto-Protokoll erneuert werden. Doch das lehnen Japan, Kanada und Russland ab.

Bleibt der in Kopenhagen beschlossene Ansatz „von unten“: Staaten melden geplante Emissionsminderungen, die international überprüft werden. Das reicht aber nicht. Über 70 Staaten haben solche freiwilligen Zusagen gemacht. Da manche an Bedingungen geknüpft oder auf das Wirtschaftswachstum bezogen sind, ist das Ausmaß nicht ganz klar. Doch im günstigsten Fall ergeben sich globale Emissionen, die eine Erwärmung von mindestens 2,5 Grad Celsius erwarten lassen, im weniger günstigen bis 5 Grad.

Die Entwicklungsländer versprechen dabei – wie das Stockholm Environment Institute (SEI) anhand von vier verschiedenen Vergleichsmethoden gezeigt hat – erheblich mehr Emissionsminderungen gegenüber der Fortschreibung des Trends (Business as Usual) als die Industrieländer. Wird da mit zweierlei Maß gemessen, weil für Industrieländer der Trend bereits ein Ergebnis von mehr Effizienz und Klimaschutz ist, der Maßstab also strenger? Nein, sagt das SEI: Einige, etwa die USA und Russland, treiben kaum Klimaschutz. Und alle profitieren davon, dass im Zuge der Globalisierung schmutzige Industrien in Entwicklungsländer abgewandert sind, besonders nach China. Importe der Industrieländer verursachen heute viel mehr Emissionen in Entwicklungsländern als 1990. Rechnet man die den Industrieländern zu, dann sind deren gesamte Emissionen nicht leicht gesunken, sondern deutlich gestiegen.

Das gilt selbst für die EU. Will sie wirklich eine Vorreiterrolle spielen, dann wird es höchste Zeit für die Zusage, bis 2020 in jedem Fall 30 Prozent Emissionen einzusparen. Die wird sie so bald aber nicht geben. Denn mit Polen hat der schärfste Gegner dieses Schrittes und ein besonders von Kohle abhängiges Land nun die EU-Präsidentschaft inne. Zudem ist die EU von der Staatsschuldenkrise gelähmt. Ein wichtiger Fürsprecher des Klimaschutzes unter den Industrieländern dürfte in Durban ausfallen.

Auch in Deutschland, wo die Emissionen bis 2040 um 40 Prozent senken sollen, klaffen hehre Ziele und praktische Politik zu oft auseinander. So ist kein Moratorium für den Bau neuer Kohlekraftwerke Sicht. Und die Bundesregierung hat gerade eine absurde Kennzeichnung eingeführt, wonach die Effizienz von PKW nach Verbrauch pro Gewicht ermittelt, also schwere Autos grün gerechnet werden. Für solche Schildbürgerstreiche ist die Lage zu ernst: Die globalen Emissionen aus dem Energiesektor haben laut der Internationalen Energie-Agentur nach der Weltwirtschaftskrise einen neuen Höchststand erreicht – und vier Fünftel kommen aus Kraftwerken, die auch 2020 noch laufen werden. Nach Jahrzehnten des Zögerns scheint das 2-Grad-Ziel kaum noch erreichbar.

 

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Weil uns das Thema schon lange und noch lange geschäftigt, muss man doch auch mal fragen, warum die Treibhausgase weltweit nur zu- und nie abnehmen. So löblich ich Ihren verbalen Kampf für die Reduktion finde, fehlen mir doch Ihre Vorschläge, wie die Industrieländer mit ihren riesigen Exportanteilen Emissionen reduzieren sollen, ohne in die Rezession zu rutschen. Ist nicht möglicherweise Wirtschaftswachstum untrennbar mit mehr Primärenergieverbrauch verknüpft? Ist nicht die Abschaffung von Energie verschwendenden Gütern mit der energieintensiven Produktion von neuen Gütern verbunden? Ist nicht die Herstellung eines Energiesparautos mit einem größeren Energieaufwand verbunden, als dieses Produkt in seiner Lebenszeit einsparen kann? Ist die Herstellung von (giftigen) Energiesparlampen in China nicht ein fauler Trick, um hier Elektrizität zu sparen? Ist nicht die Stilllegung und der Rückbau von funktionsfähigen AKWs eine Mogelpackung, wenn dafür energieintensiv Windräder nebst Zubehör gebaut und dann mehr Kohle und Erdgas verbrannt werden? Wie stellen Sie sich eine Welt mit weniger fossiler Energie vor? Radfahren statt Fernreisen, heimische Äpfel statt Bananen und Ananas? Leinentascherl statt Plastiktüten? Selbst wenn Sie und ich und noch ein paar andere unseren Energieverbrauch um 50 Prozent senken, was sicher geht, was schlagen Sie der Stahlindustrie, den Zementherstellern, dem Maschinenbau nebst Auto, der Exportindustrie vor? Zeigen nicht China und Indien gerade, welche Folgen wachsender Wohlstand hat? Wohlstand nach westlicher Lesart geht nur mit steigendem Energieeinsatz. Weniger Treibhausgas ist nicht möglich, solange die billigste Energie die fossile ist. Es wird also unaufhaltsam wärmer werden auf dem Planeten. Es macht also mehr Sinn, sich mit den Auswirkungen der Erwärmung zu beschäftigen, als sie mit teuren und nutzlosen Mitteln aufhalten zu wollen. 30 Prozent weniger Emissionen in der EU bis 2020? Das ginge nur mit einer fürchterlichen Rezession. Tatsächlich werden wir bis dahin ein bis zwei Prozent Zunahme jährlich haben. Man verliert an Glaubwürdigkeit, wenn man andauernd unrealistische Forderungen erhebt.

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Hallo Herr Lohmann,

danke für Ihren Kommentar zu meinem schon etwas älteren Leitartikel. Ich bin in vielen Punkten Ihrer Meinung. In dem Leitartikel begründe ich ja, aus welchen politischen Ursachen das 2-Grad-Ziel nicht eingehalten werden dürfte. Im Unterschied zu Ihnen bin ich nicht überzeugt, dass dies auch technisch unmöglich ist, obwohl Ihre Detailfragen etwa nach dem Sinn von Elektroautos berechtigt sind. Allerdings - da bin ich wieder Ihrer Ansicht - halte ich da eine Begrenzung des Wirtschaftswachstums für nötig. Diese Frage haben wir ausführlich erörtert mit H-C Binswander (Heft 9/2008) und Tim Jackson und Claudia Kemfert (Heft 6/2011). Fertige Rezepte, wie es gehen könnte, habe ich natürlich nicht. Möglicherweise wird es wirklich "unaufhaltsam wärmer". Anpassung an eine wärmere Welt ist deshalb nötig - das ist richtig und damit befasst sich unser nächstes Heft. Uneins sind wir aber anscheinend in zwei Kernpunkten: Erstens ist Anpassung nach meiner Überzeugung nur begrenzt möglich und die wahrscheinlichen (wenn auch nicht sicheren) Folgen einer sehr starken Erderwärmung könnten nicht mehr zu bewältigen sein. Und zweitens kann auch unabhängig vom Klimawandel das Wirtschaftswachstum nicht endlos anhalten. Ich halte es schon deshalb für sinnvoll, über eine Welt ohne Wachstum nachzudenken, auch wenn uns das so ungewohnt und unmöglich vorkommt wie vielen Ökonomen vor kurzem noch ein Zusammenbruch des Weltfinanzsystems.

Bernd Ludermann

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Man kann schon neugierig sein, wie die neuesten Vorschläge zur Reduzierung von Klimagas aussehen. Aber für mich steht schon fest, in Doha wird viel Klimagas produziert, eine Abnahme der kritisierten Mengen findet auch danach nicht statt. Grundübel ist die heutige Vorstellung von Wirtschaftswachstum und die gesetzmässige Verknüpfung aller BIPs dieser Welt mit dem Verbrauch von fossiler Energie. Uneins sind wir uns eigentlich nicht. Wie Sie bin ich der Ansicht, dass schon wegen der Begrenztheit der Ressourcen endloses Wachstum nicht möglich ist. Aber es gibt wirtschaftlich sinnvolle und sofort umsetzbare Weichenstellungen, die Beschäftigung sichern bei abnehmendem Einsatz von Ressourcen und fossiler Energie. Eine Anpassung an einer wärmere Welt scheitert dann mit schlimmen Folgen, wenn wir nicht rechtzeitig reagieren. Viele sind überzeugt, dass eine Anpassung nur begrenzt möglich ist. Das mag Unsicherheit oder Furcht sein, beides ist unbegründet. Denn schon jetzt leben wohl eine Milliarde Menschen in einem Klima, das wir auch bekommen werden. Wenn sich Klimazonen verschieben, passiert global nichts Neues. Wochenlang Regen? In den Tropen normal. Jedes Jahr verheerende Zyklone? In den USA kein Grund, die Stromleitungen unter die Erde zu verlegen. Weggeblasene Häuser aus Spanplatten, ohne Keller? In den USA kein Grund, anders zu bauen. Drei "Jahrhunderthochwasser" in zehn Jahren? Ganze Wälder hundertjähriger Bäume umgelegt wie im Schwarzwald? Man braucht doch nur fortschreiben, was schon geschehen ist. Der Meeresspiegel wird steigen? Aber sicher! Darauf kann man sich einstellen und die Holländer tun das seit Generationen. Hungersnöte, Seuchen, Völkerwanderung? Das kommt noch dicker und gerade die Europäer sollten vorbeugend handeln. Auf diesen Feldern ist intelligentes Wachstum möglich ohne größeren Rohstoffverbrauch. New Orleans wäre nicht abgesoffen, wenn die Dämme einen Meter höher gewesen wären. Um Dämme einen Meter höher zu bauen, braucht es nicht viel Ressourcen. Und hätte dieser Meter nicht einen Bruchteil dessen gekostet, was ohne ihn vernichtet wurde? Abschließend eine Bemerkung zum 2-Grad-Ziel. Selbst wenn morgen kein Gramm CO2 dazukäme, wärmer würde es trotzdem. Denn durch die Erwärmung der Ozeane, in denen viel mehr CO2 lagert als in der Luft, kommt ohne menschliches Zutun CO2 in die Lufthülle, tauende Permafrostböden setzen Methan frei, kein Mensch kann das aufhalten.

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Während in Doha nur heiße Luft produziert wird, macht Regierungsberater Kai Konrad den nicht ganz neuen Vorschlag, Deiche höher zu bauen (SPIEGEL 49/2012) Es könnte auch für Themenauswahl Ihres Mediums von Vorteil sein, den Unterschied zwischen Nahzielen (Schadensbegrenzung) und Fernzielen (weniger Klimagas) hervorzuheben.

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erschienen in Ausgabe 8 / 2011: Die Jagd nach dem dicksten Fisch
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