(6.1.2014) In der Zentralafrikanischen Republik lebten Christen und Muslime überwiegend friedlich miteinander. Doch ein Militärputsch machte sie zu Feinden. Frankreich und die Afrikanische Union intervenieren – mit fragwürdigen Absichten, sagt Experte Stephen W. Smith in „welt-sichten“.
Die Zahlen sind alarmierend: Rund einen Monat nach Beginn der französischen Militärintervention in der Zentralafrikanischen Republik seien allein in der Hauptstadt Bangui mehr als 500.000 Menschen auf der Flucht, berichtet das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR. Die Zustellung dringend benötigter Hilfsgüter für fast eine Million Binnenflüchtlinge sei „extrem schwierig“; am Sonntag startete UNHCR eine Luftbrücke. Mehr als 100.000 Schutzsuchende hätten sich in improvisierten Lagern am oder sogar auf dem internationalen Flughafen niedergelassen – die humanitäre Lage sei katastrophal. Seit dem Militärputsch der muslimischen Seleka – einem uneinheitlichen Bündnis bewaffneter Gruppen – im März 2013 eskalierte die Gewalt sowohl in Bangui als auch in den dichter besiedelten Gebieten im Nordwesten des Landes. Der bisherige Präsident François Bozizé floh, Rebellenchef Michel Djotodia ernannte sich selbst zum neuen Staatschef. Als Reaktion auf die Seleka bildeten sich lokale Selbstverteidigungsgruppen, viele von ihnen kooperieren mit den Anhängern des gestürzten Präsidenten Bozizé. Und das Morden geht weiter – trotz des verstärkten Truppenaufgebots Frankreichs und der Afrikanischen Union (AU).
Hohes Risiko des Scheiterns
Deren Intervention ist umstritten. Befürworter erachten sie als notwendige Hilfe für die Zivilbevölkerung, die „seit der Machtergreifung der Seleka-Koalition als Geisel genommen wird“, schreibt Afrika-Experte Stephen W. Smith in „welt-sichten“; Smith ist Professor für Afrikastudien an der US-amerikanischen Duke Universität sowie Autor des Berichts der International Crisis Group „Anatomie d’un État fanôme“ über die Zentralafrikanische Republik. Er bewertet den Militäreingriff als politisch zweifelhaft, „insoweit das gegenwärtige Drama die Folge früherer Interventionen ist“. Es sei fraglich, dass die „Abwärtsspirale“ gestoppt werden könne, zumal die Notlage in diesem Land eine Frage von Jahrzehnten sei.
Das Risiko eines Scheiterns sei umso größer, als in der Zentralafrikanischen Republik – ebenso wie in Somalia zu Beginn der 1990er Jahre – „eine Vielzahl von Kriegsherren das Staatsgebiet in einträgliche Pfründe zerstückelt haben“, schreibt Smith. Zudem würden beide Fronten von „äußeren Verbündeten“ unterstützt: „Für die Seleka sind ihre Unterstützungsnetze in Darfur und im Tschad von wesentlich größerer Bedeutung als die Wähler der Zentralafrikanischen Republik. Und ihre Gegner, die Widerstandsfront gegen ,die‘ regierenden Muslime, glauben das Vaterland zu verteidigen, wenn sie einen tschadischen Händler in einem muslimischen Vorort von Bangui lynchen.“ Smith bezweifelt, dass „die Welt“ der Zentralafrikanischen Republik „wirklich einen Dienst erweist, wenn sie sie daran hindert, aus ihren Fehlern zu lernen“. (osk)
Lesen Sie nachfolgend Smiths Beitrag „Die Höllenfahrt stoppen“:
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