(8.5.2013) Der Slum-Tourismus boomt: Jährlich besuchen insgesamt eine Million Urlauber die Armenviertel in den Metropolen des globalen Südens. Am beliebtesten ist das südafrikanische Kapstadt mit rund 40.000 Besuchern. Aber auch Windhoek im benachbarten Namibia, Rio de Janeiro und Mumbai sind attraktive Ziele. In den 1990er Jahren seien vor allem politisch Interessierte gekommen, berichtet Malte Steinbrink von der Universität Osnabrück. Inzwischen stünden Neugier auf andere Kulturen und die Lust auf Exotik im Vordergrund. Voyeurismus allerdings will der Forscher den Slum-Touristen nicht vorwerfen.
Zum Beispiel Windhoek: Namibias Hauptstadt hat wenig touristische Attraktionen zu bieten. Die meisten Besucher kommen auf dem Flughafen an und gehen sofort weiter auf Safari. Damit sie sich bei der Rückkehr in die Stadt nicht langweilen – sofern sie nicht sofort nach Europa oder in die USA zurückfliegen – haben die meisten Safari-Veranstalter inzwischen auch eine Tour durch die Township Katutura im Programm.
Und diese Touren sind sehr unterschiedlich, hat Sozialgeograph Steinbrink bei einem Forschungsaufenthalt im Frühjahr erfahren. „Ein deutsches Unternehmen benutzt für seine Touren offene Jeeps aus den 1960er Jahren. Eines der Fahrzeuge hat hinten ein Wasserbecken, damit die Touristen während der Tour ihre Beine kühlen und einen Drink nehmen können“, erzählt er „welt-sichten“.
Kinder zum Knipsen und Anfassen
Die Fahrt gehe gezielt in besonders arme Bereiche der Siedlung. „Man lockt dort Kinder mit Eiswürfeln auf den Jeep, damit die Touristen etwas zum Anfassen und Knipsen haben.“ Bei dieser Tour würden deutlich koloniale Bilder vermittelt. Andere Anbieter hingegen sähen es als ihre Aufgabe, mit bestehenden Stereotypen zu brechen, sie wollen Bilder jenseits von Elend, Dreck und Gewalt transportieren.
Steinbrink erforscht seit mehreren Jahren, warum Menschen in ihren Ferien Armutsviertel besuchen und was sich dadurch ändert – für die Slumbewohner und die Touristen. Es gehe darum, im Urlaub eine Distanz zum Alltag herzustellen, erklärt er. Der Slum gelte als besonders authentisch, jenseits der touristischen Inszenierung: „Die Pestbeule im Gesicht des indischen Bettlers ist echt.“
Den Armen bringt der Tourismus wenig
Den meisten Slumbewohnern ist nach seinen Erfahrungen die Anwesenheit der Fremden ziemlich egal. Manche entwickelten aber auch Stolz auf ihr Viertel, weil sich jemand von außen dafür interessiert. Wirtschaftlich haben die Armen allerdings wenig davon. Denn die meisten Tour-Anbieter, etwa in Rio de Janeiro, kommen nicht aus den Favelas. Nur wenige Favela-Bewohner sprechen Englisch, und sie haben kein Geld für die nötigen Investitionen, etwa in Fahrzeuge, um die Touristen aus ihren Unterkünften abzuholen.
„Teilweise werben die Tour-Anbieter damit, dass sie einen Teil ihrer Gewinne an Kindergärten oder Vorschulen in den Slums spenden“, sagt Steinbrink. Und die Touristen gäben Geld für Kunsthandwerk, Essen und Trinken aus. Das seien aber keine hohen Beträge.
Im Favela-Tourismus sieht Steinbrink die Gefahr, dass die Slums durch den touristischen Blick nicht mehr als Folge weltwirtschaftlicher Ungleichheit betrachtet werden, sondern als Ausdruck einer kulturellen Eigenart. „Die Armut wird regelrecht entpolitisiert, das finde ich bedenklich“, sagt er. Andererseits seien die Bilder von Slums in den meisten Köpfen von Elend und Armut geprägt. Da sei es angebracht zu zeigen, dass ihre Bewohner „sehr alltäglichen Aktivitäten nachgehen.“ (gka)
Das komplette Interview mit Malte Steinbrink ist in der Juni-Ausgabe von „welt-sichten“ erschienen.
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