Diese Dusche hat keine Wände und eine Brause schon gar nicht. Wenn sich Nurunnahar Begum waschen will, kauert sie neben einem kleinen, quadratischen Betonteich und schöpft mit einem roten Plastikbehälter das trübe, abgestandene Wasser. Es riecht modrig. Sie leert es über ihren Körper. Freie Stellen – davon gibt es allerdings wegen der Ganzkörperbekleidung nicht allzu viele – reibt die 40-Jährige mit Seife ein. Dann nimmt sie nochmals von dem unappetitlichen Wasser und wäscht die Seife von Gesicht, Händen und Füßen. Später wird sie in ihrer Wellblechhütte die nassen Kleider gegen trockene tauschen.
Autorin
Anja Burri
ist Redakteurin bei der Schweizerischen Depeschenagentur sda und ständige Korrespondentin von "welt-sichten".Nurunnahar Begums Familie teilt dieses „Duschbassin“ in Korail Bosti, dem größten Slum in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, mit rund 50 weiteren Familien. Die Frauen waschen auch die Kleider darin. Im Frühling und im Sommer, wenn die Temperaturen auf über 40 Grad steigen, wird das Duschwasser unangenehm warm. Das Duschen ist jedoch Nurunnahar Begums kleinstes Problem. Am schlimmsten ist das schmutzige Trinkwasser. Es fließt über illegale Leitungen in zwei Zentimeter dünnen Gummischläuchen in den Slum, in dem 150.000 Menschen leben. Die blauen Schläuche schlängeln sich oberirdisch durch die engen Wege. Etwa alle hundert Meter ist ein Schlauch auseinandergeschnitten und mit Klebeband zusammengeflickt. An diesen Stellen können die Slumbewohner Wasser beziehen. Das sind die schmutzigsten Orte in Korail Bosti: Das tropfende Wasser verwandelt den Staub in Schlamm, und oft bleibt dort Abfall liegen. Bakterien haben aber nicht nur deshalb ein leichtes Spiel, ins Trinkwasser zu gelangen. Das Wasser in den Schläuchen kann sich während des Tages auf 30 bis 40 Grad erhitzen. Es macht viele Slumbewohner krank.
Im Slum kostet das Wasser doppelt so viel wie anderswo
„Durchfall, Cholera und Gelbfieber sind bei uns weit verbreitet“, sagt Abdul Mannan, der Generalsekretär der Slumgemeinschaft von Korail Bosti. In Bangladesch sterben nach Angaben der britischen nichtstaatlichen Organisation (NGO) Water Aid jedes Jahr 34.000 Kinder unter fünf Jahren an Durchfall. Und ein Viertel aller Todesfälle in dem südostasiatischen Land sind auf schmutziges Trinkwasser zurückzuführen.
Das in Flaschen abgefüllte Wasser im Supermarkt ist aus finanziellen Gründen keine Alternative für die Slumbewohner: Eine einzelne 1,5-Liter-Flasche kostet rund 30 Cent. Selbst die 20-Liter-Trinkwasserbehälter, die sich die vermögenderen Einwohner anderer Stadtviertel über einen Lieferservice bringen lassen, sind mit Preisen von 60 Cent bis zu einem Euro zu teuer. Zum Vergleich: Eine Näherin oder ein Rikschafahrer verdienen pro Tag rund einen Euro. Für die oft viel zu heiße, illegale Dreckbrühe aus den Schläuchen bezahlen die Slumbewohner in Korail Bosti rund zwei Euro pro Familie und Monat.
Doch der Wasserpreis ist im Slum doppelt so hoch wie in legalen Siedlungen. Schuld an dieser Ungerechtigkeit ist das korrupte System: Weil es keine offiziellen Wasseranschlüsse in der bis heute illegalen Siedlung Korail Bosti gibt, haben sogenannte „Water Lords“ die Schläuche installiert, die Wasser von den benachbarten Quartieren abzwacken. Sie leben meist selbst im Slum, gehören aber zu den Wohlhabendsten hier und haben das nötige Geld, um die illegalen Leitungen zu installieren, wie Abdul Mannan erklärt.
Um die Mitarbeiter der städtischen Wasserversorgung davon zu „überzeugen“, die illegalen Leitungen nicht abzustellen, sind monatliche Zahlungen fällig. Diese wie auch den Profit der „Water Lords“ finanzieren die Slumbewohner. Und sie leiden darunter, wenn sich die Geschäftsmänner einmal nicht einig sind. Dann fließe für einige Tage nämlich gar kein Wasser mehr, erzählt Nurunnahar Begum. Vor drei Jahren, als sie gerade ihr sechstes Kind auf die Welt gebracht hatte, sei monatelang nur ganz selten Wasser aus den Schläuchen gekommen. „Kein Wasser ist viel schlimmer als schmutziges“, sagt sie.
Die Bewohner wollten lieber sauberes Wasser als Medizin
Nur wenige Kilometer entfernt von Korail Bosti liegt der kleinere Slum Gallabani Bosti. Dort herrscht ausgelassene Stimmung rund um eine Wasserpumpe, die so etwas wie ein Dorfplatz ist. Ein junger Mann wird von einer Frau von Kopf bis Fuß eingeseift. Die anderen Frauen, die nebenan Kleider waschen, schauen vergnügt zu. Und Dutzende Kinder versuchen unter Kreischen, das Schauspiel der Erwachsenen zu imitieren. Gallabani Bosti verfügt seit Januar über eine legale Wasserleitung und insgesamt 14 Pumpen für die 318 Familien. Rund um die Pumpen ist der Boden betoniert und auffällig sauber.
„Wir haben eine Gruppe gebildet, die für die Sauberkeit sorgt“, sagt die 27-jährige Rosina Akhtar, Generalsekretärin der Slumgemeinschaft. Seit die legale Wasserleitung in Betrieb ist, sei die Wasserversorgung kein einziges Mal unterbrochen worden, sagt sie und strahlt. Die Kinder hätten nur noch selten Durchfall. Die Wasserversorgung verdanken die Slumbewohner der NGO Dushtha Shasthya Kendra (DSK). „Als wir vor zwanzig Jahren mit Ärzten in die Slums gekommen sind, um den kranken Kindern zu helfen, wollten die Vertreter der Slumgemeinschaften keine Medizin, sondern sauberes Wasser“, sagt Projektmanager Akhil Chandra Das.
Um dieses Ziel zu erreichen, sei nicht nur technisches Knowhow, sondern vor allem Verhandlungsgeschick gegenüber den Behörden nötig gewesen. Weil sämtliche Slums in Dhaka illegal sind, fehlt die gesetzliche Grundlage für deren Wasserversorgung. Nach jahrelangen Verhandlungen gelang es den DSK-Mitarbeitern, die städtische Behörde, die für die Wasserversorgung zuständig ist (DWASA), davon zu überzeugen, ein Pilotprojekt zu wagen. DSK übernahm die Garantie, dass die Slumbewohner die Wasserrechnungen bezahlen würden. Unter Anleitung der NGO wurden Slumkomitees gegründet, die sich darum und um den Unterhalt der Pumpen kümmern sollten. Doch zuerst lief alles schief. „Wir hatten vergessen, Frauen in die Komitees zu wählen“, sagt Akhil Chandra Das. Die reinen Männergruppen hätten versucht, die Frauen über das Wasser zu erpressen, so verlangten sie etwa zusätzliches Geld oder andere Gegenleistungen. Erst seit die Komitees überwiegend weiblich besetzt sind, funktioniert das System.
DSK vermittelt den Kontakt zwischen der städtischen Wasserversorgung und den Slumbewohnern und unterstützt diese bei der Bildung und der Arbeit der Komitees. Als Sicherheit verlangen die Behörden pro Wasseranschluss, den sie einrichten, eine Depotzahlung von rund 50 Euro. Diese Summe können sich die Slumbewohner knapp leisten, weil sie sich meistens in größeren Gruppen um einen Wasseranschluss bewerben. Korrupte Beamte versuchen immer wieder, die Gebühren in die Höhe zu treiben. Dann schreiten die Leute von DSK ein und wenden sich notfalls an die Presse.
DSK hat bereits 110 Slums zu legalen Wasseranschlüssen verholfen. Auch andere NGOs wie Water Aid engagieren sich auf diesem Gebiet. Laut der städtischen Wasserversorgung DWASA haben gegenwärtig 204 Slums in Dhaka eine legale Wasserversorgung. Insgesamt existieren in Bangla-deschs Hauptstadt allerdings einige Tausend Armenviertel. Sie beherbergen nach Schätzungen der Weltbank rund die Hälfte der 16 Millionen Einwohner von Dhaka.
Die reichen Stadtbewohner lehnen neue Leitungen ab
Auch für die Einwohner von Korail Bosti wird die Wassermisere wohl bald ein Ende haben. In den nächsten Wochen sollen die ersten Wasserhähne in Betrieb genommen werden. Künftig werden sich rund 30 Familien eine Leitung und einen Hahn teilen. Die Umgebung der Wasserstellen, zu denen auch ein neues Reservoir aus Beton gehört, ist zubetoniert und kann einfach sauber gehalten werden. Um das zu erreichen, musste lange und hart verhandelt werden, wie Akhil Chandra Das sagt. Vor allem die „Water Lords“ wehrten sich heftig. Sie bestachen Hunderte Slumbewohner und organisierten Demonstrationen gegen den legalen Wasseranschluss, die für Außenstehende geradezu grotesk anmuteten.
Die Mitarbeiter von DSK konnten sich zu Beginn des Projektes kaum ohne Sicherheitskräfte im Slum bewegen. Weil die städtische Wasserversorgung aber in den nächsten ein bis zwei Jahren alle Leitungen in der gesamten Gegend ersetzen muss, ist das Geschäft mit dem illegalen Wasserverkauf dort sowieso gefährdet. Diese Tatsache sowie das Versprechen, dass sie als Erste einen neuen Wasseranschluss erhalten, haben die „Water Lords“ schließlich zu einem Einlenken bewegt.
Gegenwehr kam aber auch von anderer Seite: Die Einwohner des benachbarten reichen Diplomatenviertels Banani wehrten sich vehement gegen die Wasserleitungen zum Slum. Sie befürchteten, ihre eigene Versorgung würde eingeschränkt. An ihrem Widerstand war vor einigen Jahren bereits ein Projekt von DSK gescheitert. Damals wollte die NGO statt eigener Wasseranschlüsse in Korail Bosti einige Pumpen installieren, die das Wasser aus Reservoirs von Banani bezogen hätten. Beides zusammen – das florierende Geschäft mit den illegalen Wasserleitungen und die zunehmende Wasserknappheit – würden auch in den nächsten Jahren eine flächendeckende legale Wasserversorgung Dhakas verhindern, befürchtet Akhil Chandra Das.
Die Slumbewohnerin Nurunnahar Begum wird in Korail Bosti zwar auch künftig nicht nach westlichen Vorstellungen duschen können. Immerhin weiß sie nun, dass sie sich mit sauberem Wasser wäscht, und sie kann ihren Kindern sauberes Trinkwasser geben. „Ein Traum geht in Erfüllung“, sagt sie.
Von flächendeckender Gerechtigkeit in puncto Wasserversorgung ist Bangladesch allerdings nach wie vor meilenweit entfernt: Zurzeit leben in dem Land mit rund 160 Millionen Einwohnern über 28 Millionen Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser. Und die geografische Lage des extrem dicht besiedelten, armen Landes erschwert die Situation zusätzlich. Monsunregen und Zyklone zerstören regelmäßig vor allem die küstennahen Gebiete und ihre Infrastruktur.
Zudem vergiftet natürliches Arsen das Grundwasser in manchen Regionen des Landes. Nach dem Bau Hunderttausender Brunnen seit den 1970er Jahren mussten Anfang der 2000er Jahre, als das Arsen im Boden entdeckt worden war, große Teile der ländlichen Bevölkerung wieder auf die Nutzung des Oberflächenwassers, also der Teiche und Flüsse, umstellen. Und das ist – selbst für die Verhältnisse in Bangladesch – alles andere als sauber.
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