Neun Milliarden US-Dollar. Keine Ausschreibung, keine Bedingungen, keine lästigen Reformen. Die nigerianische Regierung zögerte nicht lange und griff zu: China erhielt den Auftrag, die Eisenbahn des westafrikanischen Staates neu zu bauen. Die Weltbank hingegen ging leer aus: Sie hatte sich zuvor mit Nigeria darauf verständigt, das bestehende Schienennetz für fünf Millionen Dollar zu sanieren. Bedingung: Ausschreibung des Auftrags an private Unternehmen und Schritte gegen die Korruption in der nigerianischen Eisenbahngesellschaft.
Schurkenhilfe – so nannte Moisés Naím, damals Chefredakteur der Zeitschrift „Foreign Policy“, in einem Artikel 2007 das Vorgehen Pekings im Ölstaat Nigeria und in anderen Ländern des Kontinents: Milliardenkredite für die Lieblingsprojekte afrikanischer Regierungen, ob demokratisch gewählt oder nicht, ohne Rücksicht darauf, ob davon etwas bei der Bevölkerung ankommt und ob das Land einen Nutzen davon hat. Peking schanzt heimischen Unternehmen im Gegenzug lukrative Aufträge zu und erhält Zugriff auf begehrte Rohstoffe, die im afrikanischen Boden lagern.
Schurkenhilfe? Naím hatte seine Geschichte über die Eisenbahn in Nigeria ein wenig aufgebauscht, wie sich später herausstellte. Horrormeldungen über das Treiben der Volksrepublik in Afrika waren vor wenigen Jahren noch an der Tagesordnung. Inzwischen hat sich die Aufregung etwas gelegt. Regierungen und Geschäftsleute in Afrika haben ohnehin keine Probleme damit. Bei einem kenianisch-deutschen Wirtschaftstreffen im vergangenen Herbst in Nairobi ging es immer auch um China. Ja, man arbeite sehr gern mit den Deutschen zusammen, betonten die Gastgeber bei jeder Gelegenheit – von wegen deutsche Gründlichkeit und Qualität „Made in Germany“. Aber die Chinesen seien oft eben einfach schneller. Und viel billiger.
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Schurkenhilfe? Auch im Westen, in den alten Geberländern sagt das heute niemand mehr so. Im Gegenteil: Die Chinesen und andere sogenannte neue Geber wie Brasilien, Indien, Venezuela oder Saudi-Arabien werden umworben, ihr Engagement in Afrika und anderswo doch mit anderen abzustimmen. Bei der vorerst letzten Großkonferenz über eine wirksamere Entwicklungshilfe Ende 2011 im südkoreanischen Busan gaben sich die Vertreter aus den westlichen Hauptstädten alle Mühe, die Neuen in ein gemeinsames Abkommen einzubinden. Sogar eine neue „Globale Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit“ wurde zu diesem Zweck geschaffen. Bisher ohne Erfolg. „China, Indien und Brasilien haben in Busan auf dem Zaun gesessen und zugeschaut. Alle haben gehofft, dass sie irgendwann herunterkommen. Aber sie sitzen dort heute noch“, sagt ein Mitarbeiter des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, der nicht genannt werden will. Die alten Geber aus Europa und Nordamerika nehmen das relativ gelassen: Es zeichnet sich bereits ab, dass sie ihre Zusammenarbeit mit Afrika eher den Regeln der neuen Geber anpassen als umgekehrt.
Neue Geber – der Begriff ist irreführend. Denn er schert eine Gruppe sehr unterschiedlicher Länder über einen Kamm. Jüngere Mitglieder der Europäischen Union oder der OECD wie Slowenien, Ungarn, Estland oder Polen entsprechen dem Modell der alten, im OECD-Entwicklungsausschuss (DAC) versammelten Länder; sie folgen weitgehend den DAC-Standards für Entwicklungshilfe. Die arabischen Länder bilden eine zweite Gruppe: Ihre Hilfe fließt vor allem in andere islamisch geprägte Länder, etwa im Nahen Osten oder in Nordafrika. Kuwait, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate berichten seit einigen Jahren dem DAC ihre jährlichen Entwicklungsleistungen – allerdings sind die Daten wenig aussagekräftig.
Die dritte Gruppe bilden Schwellenländer und aufstrebende Mächte wie China, Indien, Brasilien, Südafrika und Venezuela. Die meisten von ihnen engagieren sich vorwiegend in ihrer jeweiligen Nachbarschaft, doch einige wie China oder Brasilien erweitern ihren Radius kontinuierlich. Laut dem ersten Weißbuch für Entwicklungshilfe, das die Regierung in Peking vor zwei Jahren vorgelegt hat, floss 2009 knapp die Hälfte der chinesischen Hilfe nach Afrika und ein Drittel in Länder in Asien. Wobei schwer durchschaubar ist, was China unter „Hilfe“ versteht: Mit den Kriterien des DAC hat die Volksrepublik so wie viele andere der Süd-Süd-Geber wenig am Hut.
Der Begriff „neue Geber“ stimmt auch deshalb nicht ganz, weil viele von ihnen gar nicht neu sind: Ihre Entwicklungshilfe ist teilweise so alt wie die der alten Geber. Indien gründete bereits 1954 eine Agentur für Hilfsprojekte in Nepal, Kuwait schuf 1961 einen Entwicklungsfonds für arabische Staaten, im selben Jahr nahm auch das deutsche Entwicklungsministerium seine Arbeit auf. Und China finanziert schon seit Jahrzehnten Infrastruktur in Afrika, in den 1970er Jahren zum Beispiel die 2000 Kilometer lange Eisenbahnlinie von Daressalaam in Tansania bis nach Kapiri Mposhi in Sambia.
Früher war der Anteil der „neuen“ Geber sogar größer als heute. Laut Schätzungen haben die Länder, die nicht zum DAC gehören, in den vergangenen zwanzig Jahren nur fünf Prozent zur weltweiten Entwicklungshilfe beigetragen. In den 1970er und 1980er Jahren war ihr Anteil dreimal so groß; vor allem die arabischen Länder überwiesen damals beträchtliche Summen ihrer reichlich sprudelnden Petrodollars in Entwicklungsländer. Erst in den 1990er Jahren schrumpfte der Anteil der Süd-Süd-Kooperation an der internationalen Entwicklungshilfe: Schuldenkrisen, steigende Inflationsraten und schrumpfende Staatseinnahmen bei den Süd-Gebern waren die Ursachen dafür. Der frühere Chef des OECD-Entwicklungsausschusses, Richard Manning, drückte es vor einigen Jahren so aus: Die Dominanz der westlichen Geber seit den 1990er Jahren ist eine Ausnahme; historisch betrachtet hatte die Süd-Süd-Zusammenarbeit schon immer einiges Gewicht.
Warum dann die Nervosität bei den alten Gebern? Ginge es nur um Entwicklungshilfe, dann wären Europa und Nordamerika wohl weniger besorgt. Doch die Süd-Geber sind in den vergangenen dreißig Jahren zu ernsthaften wirtschaftlichen Konkurrenten für den Westen herangewachsen. Und ihre Zusammenarbeit mit ärmeren Ländern dient nicht zuletzt dem Zweck, diese Position auszubauen: Entwicklungszusammenarbeit, Außenwirtschaftsförderung, Markterschließung und Rohstoffsicherung – das alles fließt bei Ländern wie China oder Brasilien zusammen. Sie verstehen sich nicht als „Geber“ der armen Länder, sondern als Partner auf Augenhöhe. „Beijing Consensus“ statt „Washington Consensus“ – gleichberechtigte wirtschaftliche Zusammenarbeit statt vermeintlich selbstloser Hilfe zu Bedingungen, die der Westen diktiert.
Wenig erfolgreich waren bisher die Bemühungen der alten Industrieländer, die neue Konkurrenz entwicklungspolitisch stärker an sich zu binden, ihre Finanzströme in Entwicklungsländer durchschaubarer zu machen oder sich sogar mit ihnen auf gemeinsame Regeln und Standards zu verständigen. Manche Fachleute bezweifeln ohnehin, dass diese Versuche ernst gemeint sind: „Der Westen hat über Jahrzehnte eine riesige Hilfebürokratie aufgebaut. Die will beschäftigt werden“, sagt der frühere Leiter des OECD Development Centre, Helmut Reisen, zur neuen „Globalen Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit“, in der Entwicklungsländer, alte und einige neue Geber seit dem vergangenen Jahr an einem Tisch sitzen.
Andere bei der OECD in Paris, die namentlich nicht zitiert werden wollen, sehen das weniger zynisch, räumen aber ein, dass es nur langsame Fortschritte gibt – wenn überhaupt. Am weitesten gehen die Kontakte mit einigen arabischen Staaten. Brasilien arbeitet mit einigen alten Gebern in sogenannten Dreieckspartnerschaften zusammen (Brasilien plus ein Industrieland plus ein Entwicklungsland), hält politisch aber Distanz zum Geberclub der OECD. Bei China ist es ähnlich: Seit 2009 gibt es eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit Vertretern Pekings und der DAC-Länder – eine „Kennenlern-Gruppe“, so ein OECD-Mitarbeiter, die sinnvoll sei, in der es aber politisch sehr korrekt zugehe und beide Seiten zurückhaltend aufträten.
In Ländern wie China, Brasilien und Indien wird über die neue entwicklungspolitische Verantwortung debattiert, Fachleute aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft fordern mehr Transparenz und Rechenschaft. China hat ein Weißbuch zur Auslandshilfe vorgelegt, Indien und Südafrika haben im vergangenen Jahr neue staatliche Entwicklungsagenturen geschaffen. Aber die Regierungen schrecken davor zurück, sich zu sehr mit den alten Gebern einzulassen, weil das ihre Sprecherrolle in der Gruppe der Entwicklungsländer schwächen könnte.
Das steht auch ihrer Mitarbeit in der Globalen Partnerschaft im Weg. Die wurde auf dem entwicklungspolitischen Gipfeltreffen Ende 2011 in Busan gegründet, auf dem die neuen Geber in die internationale Hilfearchitektur eingebunden werden sollten. Um ihnen das schmackhaft zu machen, wurde in Busan das UN-Entwicklungsprogramm UNDP mit ins Boot geholt – als Signal, dass die Globale Partnerschaft keine reine OECD-Angelegenheit sei. Funktioniert hat das nur teilweise: Einige Schwellenländer sind dabei, nicht aber die Schwergewichte China, Brasilien und Indien. „Das zeigt, dass man bei der OECD das UN-System nicht versteht“, sagt ein OECD-Mitarbeiter, der auch bei den Vereinten Nationen und bei der Weltbank gearbeitet hat: „Das UNDP ist nur eine große Entwicklungsagentur, vertritt aber nicht die ganze Welt wie die UN-Generalversammlung. Dass das UNDP dabei ist, gibt der Globalen Partnerschaft nicht mehr Legitimität.“
Fachleute sind sich einig, dass die alte Wirksamkeitsdebatte in der neuen Welt der Entwicklungshilfe tot ist
Die OECD dämpft denn auch die Erwartungen an die Globale Partnerschaft. „Sie sollte nie eine neue Bürokratie werden, sondern nur ein loses Netzwerk“, sagt Robin Ogilvy, der in Paris dafür zuständig ist. „Sie kann ein Forum bieten, um voneinander zu lernen.“ Wie stark davon Gebrauch gemacht werde, könne man heute noch nicht sagen. Die Debatte im DAC über eine wirksamere Entwicklungshilfe habe immerhin auch fast ein Jahrzehnt gedauert – von der ersten Konferenz in Rom 2003 bis Busan 2011.
Allerdings könnte die Globale Partnerschaft, in der die Wirksamkeitsdebatte nach neuen Regeln fortgesetzt werden soll, schon wieder einschlafen, bevor sie richtig zum Leben erwacht. Der Grund: die Beratungen bei den Vereinten Nationen über die sogenannte Post-2015-Agenda, also über neue globale Ziele für eine umwelt- und sozialverträgliche Entwicklungspolitik. Diese Beratungen schieben sich auf der entwicklungspolitischen Tagesordnung immer weiter nach vorn, und Fachleute raten davon ab, sie mit der Globalen Partnerschaft zu verknüpfen – wenn man denn die Schwellenländer mit dabei haben wolle.
Wie stark sich die neuen Wirtschaftsmächte an der Suche nach neuen Zielen beteiligen werden, sei noch unklar, sagt Jens Martens vom Global Policy Forum Europe. Es gebe noch keine offizielle Linie, alle warteten zunächst den Bericht ab, den ein vom UN-Generalsekretär bestelltes Gremium im Mai vorlegen soll. Laut Stephan Klingebiel vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn sind die großen neuen Geber aber auch gegenüber dem Post-2015-Prozess bislang eher skeptisch eingestellt. Das sei auf einer gemeinsam vom DIE und dem Shanghai Institute for International Studies veranstalteten Konferenz im Januar deutlich geworden.
Einig sind sich die meisten Fachleute darin, dass die alte Wirksamkeitsdebatte in der neuen Welt der Entwicklungshilfe im Grunde tot ist. Das eine oder andere Prinzip – zum Beispiel die Hilfe durchschaubarer zu machen – werde vielleicht überleben, weil auch die neuen Geber sich damit anfreunden können, sagt ein OECD-Mitarbeiter. Andere Vorsätze hingegen würden wahrscheinlich in den Hintergrund gedrängt, etwa die, dass sich die Geber untereinander stärker abstimmen oder ihre Hilfe nicht an Geschäfte für eigene Firmen knüpfen (Lieferbindung).
Vielen Mitgliedern im Club der alten Geber dürfte das nicht ungelegen kommen. Ihre Zusagen, die Wirksamkeit der Hilfe zu verbessern, haben sie in den vergangenen Jahren ohnehin kaum eingehalten. Und im DAC wird verstärkt darüber diskutiert, die Definition für „offizielle Entwicklungshilfe“ auszudehnen – nicht nur, um den neuen Gebern zu gefallen. In einigen europäischen Hauptstädten würde man selbst gern die eine oder andere Leistung, die der eigenen Wirtschaft nutzt, als Hilfe verbuchen dürfen, etwa Exportversicherungen für Unternehmen, die mit Entwicklungsländern Geschäfte machen wollen.
Die beiden früheren Weltbank-Mitarbeiter Homi Kharas und Andrew Rogerson sagen in einem Ausblick auf die „Hilfeindustrie“ im Jahr 2025 voraus, in der Zusammenarbeit zwischen Staaten werde sich das Modell China durchsetzen: Hilfe und Investitionen vor allem für solche Entwicklungsländer, die wirtschaftlich interessant sind, weil sie Rohstoffe haben oder vielversprechende Absatzmärkte bieten. Die Aufgabe internationaler Organisationen wie der Weltbank oder der Vereinten Nationen werde sein, sich um die übrigen armen Länder zu kümmern, die durch diesen Raster fallen. Insgesamt werde Entwicklungshilfe viel stärker als heute den Zweck haben, private Kapitalflüsse in Entwicklungsländer anzuregen.
Wie zuverlässig, transparent, wirksam und auf ihre Nachfrage zugeschnitten die Hilfe dann sein wird, darum müssen die Entwicklungsländer sich selbst kümmern. Auf die Geber sollten sie nicht zu sehr hoffen, weder auf die alten noch auf die neuen. Dass das geht, hat Ruanda vorgemacht: Die Regierung dort formuliert ihre eigenen Projekte und Programme und lädt die Geber ein, sich daran zu beteiligen – aber zu ihren Bedingungen. Die armen Länder dabei zu unterstützen, sei der eigentliche Zweck der Globalen Partnerschaft, sagt Robin Ogilvy von der OECD. So dass sie zwischen Schurkenhilfe und echter Unterstützung wählen können.
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