Einmal Muslim, immer Muslim

Wer vom Islam zum Christentum übertreten will, muss in der arabischen Welt mit harten Strafen, Diskriminierung und Verfolgung rechnen. Aber auch für religiöse Minderheiten ist es schwierig bis unmöglich, ihren Glauben privat und öffentlich zu leben. Nach der Revolution in Ägypten hoffen Menschenrechtler nun auf eine Bürgergesellschaft, in der die Religionen gleichberechtigt sind.
Die Religionsfreiheit ist in der gesamten arabischen Welt eingeschränkt, doch zwischen den einzelnen Ländern bestehen erhebliche Unterschiede. Die Bandbreite reicht von weitgehend säkularen Rechtsauffassungen (Syrien) über juristische und praktische Defizite (Ägypten) bis zum völligen Fehlen rechtlicher Voraussetzungen für religiöse Minderheiten (Saudi-Arabien). Verletzt sind die Grundrechte nicht nur von Juden, Christen und Bahai, sondern auch von Atheisten und von Angehörigen islamischer Glaubensrichtungen, die von der jeweiligen Mehrheit abweichen.
 

Autorin

Claudia Mende

ist freie Journalistin in München und ständige Korrespondentin von „welt-sichten“. www.claudia-mende.de

Die meisten arabischen Rechtssysteme basieren laut dem Erlanger Juristen und Islamexperten Matthias Rohe auf einer Mischung von europäischem und islamischem Recht. Familien- und Erbrecht sowie Fragen des Glaubens werden auf der Basis der Scharia geregelt. Der Knackpunkt ist im ganzen Nahen Osten der Umgang mit Konvertiten.In Iran und Saudi-Arabien steht auf dem Religionswechsel zumindest theoretisch die Todesstrafe. Aber auch in Ägypten, wo mit den koptischen Christen die größte nicht islamische Minderheit im Nahen Osten lebt, ist das Recht, eine Glaubensgemeinschaft zu verlassen und gegebenenfalls in eine andere einzutreten, nicht garantiert. Laut ägyptischer Verfassung besteht zwar offiziell Religionsfreiheit für Juden und Christen. Gleichzeitig gilt aber seit 1972 die Scharia als Hauptquelle des Rechts, die traditionell keine negative Religionsfreiheit für Muslime kennt.

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Diesen Widerspruch lösen ägyptische Gerichte zugunsten der Scharia und argumentieren, der Übertritt vom Islam zum Christentum oder zu einer anderen Religion sei verboten, weil er gegen das 2008 erlassene „Gesetz gegen die Störung der öffentlichen Ordnung" und das „Gesetz gegen die Beleidigung der Religion" verstoße.

In jedem Personalausweis ist die Religionszugehörigkeit vermerkt, nur den Bahai ist es seit 2009 erlaubt, dieses Feld frei zu lassen. Gerichtliche Klagen von zum Christentum konvertierten Muslimen, die den Eintrag entsprechend ändern wollen, sind bis jetzt erfolglos geblieben. In ihren Pässen bleiben sie Muslime. Es gibt zwar keine festgelegten Strafen für Konvertiten, aber sie werden willkürlich verhaftet und von Sicherheitskräften in Verhören unter Druck gesetzt, damit sie ihre Konversion rückgängig machen. In der Regel bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ins Ausland zu gehen. Allerdings hat auch die koptische Kirche kein Interesse daran, Konversionen zu legalisieren. Einerseits befürchtet sie zunehmende Spannungen, auf der anderen Seite gibt es auch Christen, die zum Islam übertreten wollen, vor allem wegen der rigiden kirchlichen Scheidungsvorschriften.

Unter Präsident Hosni Mubarak hat der Islam das kulturelle Leben in Ägypten wieder stärker geprägt. Er nutzte antichristliche Ressentiments gezielt aus, um von der wachsenden Unzufriedenheit im Land abzulenken. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Christen zunehmend benachteiligt. Gemessen an ihrer Zahl sind sie in den Führungspositionen von Politik, Verwaltung und Wissenschaft unterrepräsentiert, eine Offizierslaufbahn in der Armee ist Muslimen vorbehalten.

Beim Bau von Kirchen gibt es immer wieder Probleme. Ein Gesetz von 1934 knüpft den Kirchenbau an die Zustimmung der muslimischen Nachbarn. Ein neues Gesetz, das Kirchenbauten erleichtern soll, konnte noch nicht verabschiedet werden, angeblich weil man die religiösen Gefühle konservativer Muslime nicht verletzen will. Zwischen Januar 2008 und Januar 2010 wurden nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung mehr als fünfzig gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen in Ägypten gemeldet.Während der ägyptischen Revolte demonstrierten Christen und Muslime gemeinsam für Freiheit und demokratische Rechte. „Das ist ein neuer Geist der Gemeinschaft", meint Nabil Abdel Fattah vom Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien in Kairo. „Es bedeutet Bewegung hin zu einer Bürgergesellschaft von Christen und Muslimen in Ägypten." Nach dem Sturz von Mubarak forderten prominente christliche Aktivisten, aber auch Künstler und Intellektuelle eine säkulare Verfassung ohne die Scharia. In einem Referendum wurden im März 2011 aber nur die Zulassung politischer Parteien erleichtert und die Amtsperioden des Präsidenten beschränkt.

In Syrien ist das rechtliche und soziale Umfeld für religiöse Minderheiten laut dem US-amerikanischen Bericht über die weltweite Religionsfreiheit 2010 besser als in Ländern wie Ägypten oder Saudi-Arabien. Das liegt daran, dass die syrische Verfassung die Freiheit des Glaubens garantiert. Zudem ist die Religionszugehörigkeit nicht in Pässen und Geburtsurkunden vermerkt; Konvertiten müssen keine rechtlichen Einschränkungen befürchten. Doch auch in Syrien ist der Glaubenswechsel sozial nicht akzeptiert. Die zehn Prozent syrischen Christen sind zwar vom Amt des Staatspräsidenten ausgeschlossen, aber nach Angaben einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Lage der christlichen Minderheit sind viele hochrangige Berater des Präsidenten Bashar al-Assad Christen. Die jüngsten Proteste gegen die Assad-Diktatur verstärken die Ängste der Christen vor einer Änderung der Machtverhältnisse.

Auch im zu 95 Prozent sunnitisch-islamischen Jordanien verbieten weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilrecht den Übertritt eines Muslims zu einer anderen Religion, aber de facto gilt er eben doch als untersagt. Die Religionszugehörigkeit steht auf allen offiziellen Dokumenten, und die Behörden weigern sich, den entsprechenden Eintrag zu ändern. Klagen vor Gericht waren bis jetzt aussichtslos. Auch Atheisten müssen sich einer Glaubensgemeinschaft zuordnen.

Einen Sonderfall stellt Saudi-Arabien dar. In dem Golfstaat hat die Verbindung von wahabitischem Islam mit der Monarchie zu einer besonders rigiden Praxis geführt. Religionsfreiheit existiert weder in der Verfassung noch in der Praxis, Blasphemie gilt als strafwürdiges Verbrechen. Die Regierung von König Abdullah behauptet zwar, die Ausübung anderer Religionen als des Islam zu garantieren, es gibt aber keine Rechtsgrundlage dafür. Christen dürfen ihre Religion nicht öffentlich praktizieren. Es gibt weder Kirchen noch christliche Feiertage oder Priester im Land. Eine Art Religionspolizei überwacht das Verbot.

Doch nicht nur Christen werden diskriminiert. Die rund zwei Millionen saudischen Schiiten in der ölreichen Ostprovinz des Landes dürfen nach Angaben von Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik erst seit 2001 neue Moscheen bauen. Über Jahrzehnte mussten sie ihre religiösen Zeremonien wie das Aschura-Fest im Verborgenen feiern. Schiitischer Religionsunterricht ist an den Schulen des Landes verboten. König Abdullah versuchte einen „Nationalen Dialog", zu dem er auch schiitische Geistliche einlud, aber das wahabitische Establishment kritisierte seine Bemühungen scharf. Der populäre schiitische Prediger und Aktivist Taufiq al-Amir wurde Ende Februar verhaftet, nachdem er die Einführung einer konstitutionellen Monarchie und ein Ende der Diskriminierung seiner Glaubensgemeinschaft gefordert hatte.

„Islamisches Recht ist prinzipiell mit Religionsfreiheit vereinbar", sagt der Jurist Matthias Rohe. Es komme auf die Interpretation an. Reformtheologen aus Ägypten, der Türkei oder westlichen Ländern formulieren Lesarten, nach denen moderne Verfassungsrechte und islamische Tradition zusammengehen. Aber es fehlt in vielen Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit der politische Wille, sie umzusetzen.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2011: Die Freiheit des Glaubens
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