Rückzug ist nicht die Antwort

Kaum im Amt, hat der neue Entwicklungsminister Dirk Niebel schon eine erste weitreichende Weichenstellung angekündigt: Der FDP-Mann will die Entwicklungszusammenarbeit mit China beenden. Der Schritt geht in die falsche Richtung, denn die Kooperation mit der Volksrepublik und anderen Schwellenländern ist wichtig – auch wenn diese längst über eigene große Entwicklungsbudgets verfügen. Zu hoffen bleibt außerdem, dass die neue Regierung Kohärenz nicht als Leistung nur der Entwicklungspolitik zugunsten der deutschen Wirtschaft versteht.

 

Die Verwunderung war groß, dass die Leitung des Entwicklungsministeriums gerade an den Koalitionspartner ging, der zuvor erklärt hatte, das BMZ gehöre ins Auswärtige Amt eingegliedert. Umso mehr darf man nun gespannt sein, welche Akzente Minister Dirk Niebel und die FDP setzen werden.

Das Kapitel zu Entwicklungspolitik im Koalitionsvertrag ist in weiten Teilen wenig strittig: Demnach geht es auch der neuen Regierung vor allem um die Bekämpfung der Armut und den Abbau von Strukturdefiziten im Sinne der Millenniumserklärung. Als wichtige Bereiche nennt der Vertrag gute Regierungsführung, Bildung und Ausbildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung, Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz sowie den Ausbau des Privatsektors und Infrastrukturförderung. In der entwicklungspolitischen Szene besteht weithin Einigkeit, dass das Schlüsselbereiche sind – soweit also keine Überraschung. Auch dass der Vertrag die Stärkung der Menschenrechte betont und an den Zielen zur Steigerung der Entwicklungshilfe festhält, stößt auf Zustimmung. Anlass zur Sorge bereitet allerdings, dass für diese Ziele keine Fristen gesetzt sind.

Die Geister scheiden sich vor allem an der Frage der Schwellenländer. In der FDP wird schon lange die Frage gestellt, warum Deutschland Ländern wie China und Indien immer noch „Entwicklungshilfe“ leistet. Diese Länder verfügen über beträchtliche eigene finanzielle Mittel und sind zudem zunehmend Konkurrenten auf dem Weltmarkt. So war es denn auch eine der ersten öffentlichen Äußerungen des neuen Ministers, er wolle die Zusammenarbeit mit China einstellen. Es stimmt: China und Indien, aber auch Südafrika und Brasilien sind wirtschaftlich starke Nationen mit großen Staatshaushalten und riesigen Entwicklungsetats, die unsere Beiträge weit in den Schatten stellen. Trotzdem lebt allein in China und Indien zusammen die Hälfte der Armen weltweit. Unruhen und Gewalt nehmen in beiden Ländern zu – ein deutliches Zeichen, dass dort nicht alles zum Besten bestellt ist.

Autorin

Claudia Warning

leitet den Vorstandsbereich „Internationale Programme und Inlandsförderung“ von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst.

Die Herausforderung für uns liegt darin, mit Hilfe der vergleichsweise bescheidenen Finanzmittel und mit intelligenten Wegen der Zusammenarbeit Anreize für eine bessere Armutsbekämpfung zu setzen. Wo, wenn nicht in einem Land mit 800 Millionen Armen, kann die Armut besser und wirkungsvoller bekämpft werden als in Indien? Ja, das Land hat bereits eines der größten Armutsbekämpfungsprogramme weltweit. Nur leider kommt davon viel zu wenig bei den Armen an. Hier kann die deutsche Bundesregierung viel bieten: Verwaltungsreformen oder die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung beispielsweise sind Bereiche, in denen die föderale Bundesrepublik der ähnlich strukturierten föderalen Republik Indien Hilfestellung leisten kann.

Ich erwarte von der neuen Leitung des Entwicklungsministeriums, dass sie sich differenziert mit der Schwellenlandproblematik auseinandersetzt und angepasste Instrumente entwickelt. Rückzug ist nicht die Antwort, um wachsende Demokratien wie Indien, Brasilien und Südafrika zu stärken und in China die demokratischen Spielräume zu erweitern sowie die Armen dort zu unterstützen. Wenn gute Regierungsführung zum Koalitionsprogramm gehört, dann eröffnet sich hier ein lohnendes Anwendungsfeld mit hohem Wirkungsgrad.

Andere Kapitel im Koalitionsvertrag müssen Sorgen bereiten: Was zum Beispiel ist damit gemeint, dass Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit „besser aufeinander aufbauen und optimal ineinander greifen“ und entwicklungspolitische Entscheidungen „die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes angemessen berücksichtigen“ müssen? Will die neue Regierung Entwicklungszusammenarbeit zum Instrument deutscher Außenwirtschaftsförderung umfunktionieren?

Die Koalition fordert mehr Kohärenz. Bedeutet das umgekehrt, dass auch die deutsche Wirtschaft künftig die Interessen der Entwicklungszusammenarbeit besser berücksichtigen soll? Das allerdings wäre ein spannendes und lohnendes Unterfangen. Die deutsche Wirtschaft hat viel zu bieten und könnte mit ihrem Know-how und mit Auslandsinvestitionen vermutlich deutlich mehr Entwicklungsimpulse setzen, als sie es bisher getan hat. Es würde sich lohnen, zu dieser Frage einen Dialog zu beginnen und die Erfahrungen und Bedürfnisse beider Politikbereiche abzugleichen. Kohärenz ist nämlich keine Einbahnstraße.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2009: Klimawandel: Warten auf die Katastrophe
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