Die Waldbewohner gehen leer aus

Den Wald und zugleich das Klima schützen – das soll die sogenannte REDD-Initiative bewirken. Investoren aus reichen Ländern finanzieren den Regenwaldschutz und erhalten im Gegenzug Kohlendioxid-Gutschriften. Doch das rettet weder den Wald noch das Klima: Von REDD dürften vor allem schmutzigen Industrien und findige Spekulanten profitieren – auf Kosten der Waldbewohner.

Regenwälder beherbergen die größte Artenvielfalt der Erde und sind Heimat vieler indigener Kulturen. Außerdem speichern sie Kohlendioxid und sind damit für den Kampf gegen den Klimawandel von großer Bedeutung. Doch mehr als die Hälfte der ursprünglichen Wälder wurde bereits vernichtet, und vom Rest ist nur noch ein Viertel weitgehend von den Menschen verschont geblieben. Die letzten Wald-Ökosysteme sind bedroht, aber die internationalen Bemühungen, sie zu retten, sind bestenfalls halbherzig. Auch ein Programm, das viele Milliarden Euro kosten soll, droht jetzt in die falsche Richtung zu laufen.

Autor

Peter Wood

ist unabhängiger Berater für Waldschutz und Forstwirtschaft.

2005 gab eine Koalition von Regenwaldländern beim Klimagipfel in Montreal den Anstoß zu einer Initiative, bei der reiche Staaten armen Ländern Geld zahlen sollten, damit diese ihre Wälder nicht weiter abholzen und schädigen und die dadurch verursachten CO2-Emissionen verringern (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation – REDD). Ähnliche Vorschläge waren zuvor auf taube Ohren gestoßen, doch diesmal zeigte die internationale Gemeinschaft Interesse. REDD schien eine relativ einfache und günstige Möglichkeit zu sein, den klimaschädigenden CO2-Ausstoß um immerhin etwa 15 Prozent zu drosseln.

Bei den folgenden Klimakonferenzen wurden die Details für das Programm erarbeitet. Es wurde zu REDD+ umbenannt und so erweitert, dass auch eine nachhaltige Waldbewirtschaftung als Beitrag zur Reduzierung von Emissionen berücksichtigt werden kann. Die Geberländer stellten dafür mehr als vier Milliarden US-Dollar in Aussicht. In der Zwischenzeit wurden mehrere Initiativen gestartet, um REDD+ zu verwirklichen. Die Weltbank, eine Reihe von UN-Organisationen und Anbieter freiwilliger Kompensationsmechanismen haben Projekte mit jeweils eigenen Vorgaben gestartet. Dutzende Entwicklungsländer haben Pläne ausgearbeitet, wie sie die Abholzung reduzieren wollen, wenn sie Geld dafür bekommen.

Wie Wald dem Klima nützt

Kohlenstoff fluktuiert kontinuierlich zwischen Speichern in den Ozeanen, auf dem Land und in der Atmosphäre. Ein Drittel der Erdoberfläche ist bewaldet und Wälder speichern insgesamt doppelt so viel Kohlenstoff wie die ...

Aber REDD+ stößt auf große Hindernisse, denn das Wald-Management ist mit zahlreichen Problemen verknüpft. Der Waldschutz konkurriert mit der Ernährungssicherung und dem Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen. Zudem beeinträchtigen Korruption und schlechte Regierungsführung die Entwicklungsbemühungen, und das Konsumverhalten im Norden wirkt sich schädlich auf die Entwicklungsländer aus. Und schließlich geht es um die prekäre Situation von mehr als einer Milliarde der ärmsten Menschen der Erde, die auf die Wälder angewiesen sind, aber von den politischen Entscheidungen ausgeschlossen bleiben, von denen ihre Zukunft abhängt.

Die REDD-Verhandlungen zeigen, dass die Lobby der Holzindustrie und die großen Agrarkonzerne die Entscheidungen der wichtigen internationalen Institutionen und der Politiker in Industrie- und Entwicklungsländern stark beeinflussen. Das wird daran deutlich, dass die „nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder“ im Rahmen von REDD für förderungswürdig erklärt wurde. Allerdings ist nirgends offiziell definiert, was „nachhaltiges Wirtschaften“ sein soll. Entsprechend lässt sich kaum begründen, dass gewisse Arten der Waldnutzung nicht dazugehören und nicht mit REDD-Geldern gefördert werden sollten.

Paradoxerweise bekommen die Holzunternehmen nun die Chance, dass sie für das Abholzen bezahlt werden, wenn es auf eine etwas weniger schädigende Weise geschieht. REDD wird sie dafür belohnen, dass sie durch das angeblich ressourcenschonende Abholzen („reduced-impact logging“) die Emissionen reduzieren – statt sie für die Emissionen verantwortlich zu machen, die sie trotz allem verursachen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Wälder trotzdem völlig zerstört werden, auch wenn der Holzeinschlag schonend erfolgt. Denn wenn sie erst einmal durch Straßen erschlossen wurden, können sie abgebrannt und besiedelt werden.

Die Bevölkerungsgruppen, die von den Wäldern leben, hatten von Anfang an Bedenken gegenüber REDD. Denn sie haben schon mit früheren Projekten von REDD-Befürwortern schlechte Erfahrungen gemacht – etwa mit den Waldentwicklungsprogrammen der Weltbank und den Landschaftsschutzprojekten großer Umweltorganisationen. Sie fordern, dass ihre Grundrechte im REDD-Prozess berücksichtigt werden: Die einheimische Bevölkerung und die indigenen Gruppen mit offiziellen oder inoffiziellen Landrechten sollten mitentscheiden dürfen, wie die Wälder genutzt werden.

Diese Menschen sind bedroht, denn in vielen Ländern, die REDD unterstützen, werden sie seit langem an den Rand gedrängt. Wenn sie nicht wirksam geschützt werden, könnte REDD als Vorwand dienen, sie aus bestimmten Gebieten zu vertreiben (siehe den Beitrag von Melanie Hofmann in dieser Ausgabe). Doch von den Regierungen wird nur verlangt, die im REDD-Programm enthaltenen Schutzrechte zu „fördern und unterstützen“; eine Pflicht dazu besteht nicht. Außerdem ist kaum anzunehmen, dass die ärmsten Bevölkerungsgruppen von dem Geld etwas bekommen, das die Regierungen für den Waldschutz erhalten.

Für REDD engagieren sich nicht nur Menschen mit lauteren Absichten, sondern auch skrupellose Spekulanten. Sie wollen daran verdienen, etwa indem sie den anvisierten Emissionsrückgang zu hoch ansetzen oder indem sie die Waldbewohner auf unredliche Weise dazu bringen, ihre Ansprüche im CO2-Handel an sie abzutreten.

Für die Finanzierung von REDD gibt es derzeit zwei Möglichkeiten: Entweder wird ein öffentlicher Fonds geschaffen, in den die Geberländer einzahlen, oder es werden Gutschriften über die erreichten Emissionsminderungen privaten Investoren zum Kauf angeboten. Aus mehreren Gründen ist die zweite Option, über CO2-Kompensationsprojekte REDD zu finanzieren, keine gute Idee. Zum einen werden dadurch die Emissionen nicht verringert, sondern einfach in einen anderen Teil der Welt verschoben: Die reichen Länder können darauf verzichten, ihren Ausstoß von Treibhausgasen ausreichend zu reduzieren, da sie ja für REDD bezahlen. Laut der Klimaforschung müssen aber die Emissionen sowohl aus der Industrie als auch aus den Wäldern deutlich verringert werden. Zum anderen stünde die Finanzierung von REDD auf der Kippe, sollten die Länder im Norden ihre Emissionen tatsächlich ausreichend verringern und keine Ausgleichszahlungen mehr leisten müssen.

Trotz dieser Einwände vertreten viele Regierungen – auch in der Europäischen Union – weiter die Ansicht, REDD solle auf diese Weise gefördert werden. Große Industrien, die viel CO2 emittieren, sind an REDD interessiert, weil das Verfahren eine kostengünstige Möglichkeit verspricht, die Luftverschmutzung zu kompensieren, ohne wirklich etwas zu verändern. Bislang sind in den Klimaverhandlungen viele Details zu REDD+ offen geblieben – etwa woher die benötigten Gelder kommen und ob auch schädliche und zerstörerische Formen der Waldnutzung gefördert werden sollen.

Um der Entwaldung ein Ende zu setzen, müssen die tiefer liegenden Ursachen angegangen und die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass stabile Gemeinschaften im Urwald gedeihen können. Die besten Lösungsansätze wurden bisher am wenigsten beachtet, weil sie den Interessen der Reichen und Mächtigen zuwiderlaufen. Dazu gehört, dass die Menschen, die in den Wäldern leben, das Recht zugesichert bekommen, nach ihren traditionellen Regeln und Gepflogenheiten über sie zu verfügen.

Die wenigen intakten Wälder, die noch geblieben sind, dürfen nicht von Straßen erschlossen werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass auf den Flächen, auf denen bereits Holz geschlagen wurde, stabile Siedlungen entstehen können, in denen nur auf schonende Weise Holz geerntet wird. Die Waldbewohner brauchen Schulen und Gesundheitsstationen, deren Einrichtung nicht von Konzessionen zum Holzeinschlag abhängig gemacht werden darf. Die Gemeinschaften müssen an den Entscheidungen, die ihre Zukunft betreffen, beteiligt werden.

Die Regierungen wiederum müssen dazu verpflichtet werden, dass sie auf nachvollziehbare und verantwortliche Weise über die Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen einschließlich der Wälder verfügen und die langfristigen Interessen der gesamten Bevölkerung berücksichtigen. Doch sind solche Lösungen für den Emissionshandel, die Großindustrie und die politischen Eliten in vielen dieser Länder nicht besonders attraktiv.

Statt die Entwicklungsländer moralisch zu verurteilen, weil sie ihre Wälder abholzen, sollten die Industrieländer den Verbrauch von Holz und landwirtschaftlichen Produkten reduzieren, der die Entwaldung verursacht. Die EU will in diesem Jahr eine Studie veröffentlichen, die die Auswirkung des Konsums auf die weltweiten Waldbestände nachzeichnet. Laut den vorläufigen Ergebnissen hatten Importe in die EU zwischen 1990 und 2005 die Entwaldung von 13 Millionen Hektar Land zur Folge. Das bedeutet, dass etwa ein Drittel der weltweiten Abholzung auf das Konto des Konsums in der EU geht. Das muss sich grundlegend ändern. Auch zahlreiche Auslandsinvestitionen der Industrieländer beschleunigen den Waldverlust in den Entwicklungsländern. So investieren Rentenfonds vielfach in Unternehmungen, die den Bestand der Wälder gefährden. Dazu zählen Ölpalmpflanzungen, die Öl- und Gasförderung, der Bergbau, die Rinderhaltung, die Holz- und Papierindustrie, der Anbau von Soja sowie Staudämme.

Zweifellos wird viel Geld gebraucht, um der Entwaldung Herr zu werden. Doch manche der wichtigsten Maßnahmen kosten gar nichts außer politischen Willen. Man könnte zum Beispiel Subventionen für Unternehmen streichen, die zum Raubbau an Wäldern beitragen. Außerdem gäbe es Geldquellen für die REDD-Finanzierung, die vom Emissionshandel unabhängig sind, etwa eine Finanztransaktionssteuer, eine Steuer auf die internationale Seefahrt und den Luftverkehr sowie zusätzliche öffentliche Mittel. Zwar leiden viele Staaten unter Geldmangel, doch es gibt nicht viele öffentliche Aufgaben, die wichtiger wären als eine der wichtigsten Lebensgrundlagen der Erde zu schützen.

Der Kampf gegen die Entwaldung wurde einmal als billige, schnelle und einfache Möglichkeit propagiert, den Klimawandel zu stoppen. Doch das hat sich als Irrtum herausgestellt. Echter Waldschutz erfordert großen Kräfteeinsatz und die Auseinandersetzung mit wichtigen Themen künftiger globaler Entwicklung: Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung, den Menschenrechten, guter Regierungsführung und dem Konsumverhalten in den reichen Ländern. Das ist nicht zu leisten, indem man einzelne Projekte fördert und blind dem freien Markt vertraut, sondern setzt tiefgreifende Reformen im Umgang mit natürlichen Ressourcen und ein anderes Konsumverhaltens voraus. Solche Reformen würden nicht nur den Wäldern zugutekommen, sondern könnten dazu beitragen, die Lebensqualität von Millionen bisher vernachlässigten Menschen zu verbessern.

Aus dem Englischen von Anna Latz.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2012: Holz: Sägen am eigenen Ast
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