Die Vorlage der EU-Kommission markiert den vorläufigen Endpunkt einer langen, heftigen und von intensiver Lobby-Arbeit begleiteten Debatte. Noch vor einem Jahr hatte der für Steuern und Haushalt zuständige Kommissar Algirdas Šemeta jedwede Steuer auf Finanzgeschäfte oder auf spekulative Transaktionen rundweg abgelehnt. Als Hilfsargument diente ihm und anderen Kommissionsmitgliedern die Behauptung, die Steuer sei nicht machbar, wenn nicht auch alle anderen Geldmächte, voran die USA, mitmachten.
Autor
Heimo Claasen
ist freier Journalist in Brüssel und ständiger Mitarbeiter von "welt-sichten".Noch im Juni dieses Jahres lavierte die Bundesregierung zwischen der französischen Position für eine Finanzmarktsteuer und der starren Ablehnung seitens eines Teils der Regierungskoalition, voran des Außenministers Guido Westerwelle, der sich damit schroff gegen seine liberalen Parteifreunde im EU-Parlament stellte. Erst in einer Reihe von deutsch-französischen Regierungstreffen und aufgrund der sich verschärfenden Euro-Krise verständigten sich Berlin und Paris auf eine Richtung, der nun auch die Kommissionsvorlage folgt.
Noch offen ist, wie Einnahmen aus der Steuer verteilt werden
Zuvorderst geht es um dringend benötigte Einnahmen. Der Finanzsektor, der ohnehin keine Mehrwertsteuer abführt und somit auch nichts an den EU-Haushalt, solle nun doch wenigstens etwas beitragen, nachdem die EU-Staaten aus Steuergeldern 4,6 Billionen Euro zur Rettung der Banken zugesagt hätten, sagte Barroso in Straßburg. Die Kommission veranschlagt das Aufkommen aus der Steuer auf jährlich 57 Milliarden Euro. Etwa die Hälfte davon solle direkt in den EU-Haushalt fließen, wobei die Kommission es nicht gewagt hat, schon jetzt einen Verteilungsschlüssel festzuschreiben. Die Folge dürften einerseits langwierige Grabenkämpfe zwischen den EU-Staaten sein. Andererseits hat Brüssel damit den Briten, die bislang strikt gegen eine Finanzmarktsteuer sind, eine Hintertür offen gelassen, doch für die Kommissionsvorlage zu stimmen – unter der Maßgabe, von den Einnahmen nichts an die EU abgeben zu müssen. Da Steuern in der EU einstimmig beschlossen werden müssen, ist es dennoch fraglich, ob die Finanzmarktsteuer wie geplant 2014 in Kraft treten wird.
Die Kommission sieht zwei unterschiedliche Steuersätze vor: 0,1 Prozent für „echte“ Finanzgeschäfte wie den An- und Verkauf von Wertpapieren und 0,01 Prozent auf spekulative Transaktionen, wie den Handel zwischen Banken und Brokern mit Termingeschäften und anderen Derivaten. Für beide Bereiche sind allerlei Ausnahmen zugelassen; so soll der Devisenhandel beispielsweise nicht besteuert werden. In der Fachdiskussion gilt ein Satz von wenigstens 0,05 Prozent auf spekulative Geschäfte als angemessen und als wirksame Abwehr gegen die Flut an Derivaten. Zwar geht es bei diesen Geschäften oft nur um sehr geringe Preisdifferenzen, aber allein ihre Menge und ihre Beschleunigung durch Computerprogramme, die inzwischen über 40 Prozent der Transaktionen abwickeln, destabilisiert das gesamte Finanzsystem.
Entwicklungsorganisationen fordern schon seit langem eine Finanzmarktsteuer und plädieren dafür, die Einnahmen für Entwicklungshilfe und zur Bewältigung des Klimawandels zu verwenden. Doch dazu finde sich in der EU-Vorlage noch nicht einmal eine Andeutung, kritisiert das Netzwerk katholischer Entwicklungsorganisationen CIDSE. Ein Grund dafür ist freilich, dass Steuern nach herkömmlicher und juristischer Auffassung nicht zweckgebunden erhoben werden dürfen, da Parlamente und Regierungen die Möglichkeit haben müssen, das Aufkommen nach wechselndem Bedarf zu verwenden. Dennoch wäre eine Bemerkung beispielsweise in der Präambel oder der Begründung der Vorlage zur entwicklungspolitischen Verwendung der Finanzmarktsteuer ein Signal gewesen, auf das sich Parlamentarier und Regierende in Haushaltsdebatten berufen könnten.
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