Mit dem Sieg der Regierungstruppen über die Rebellen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) am 16. Mai 2009 hat in Sri Lanka die Nachkriegszeit begonnen. Seitdem steht das Land vor der Aufgabe, die Konflikte zu überwinden, die den Krieg verursacht haben. Das größte Problem bleibt die Aussöhnung zwischen der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit, ohne die eine tragfähige und dauerhafte nationale Einheit nicht zustande kommen kann. Daran sind beide Parteien seit der Unabhängigkeit des Landes immer wieder gescheitert. Doch dafür muss zunächst geklärt werden, wer für die während des Bürgerkriegs begangenen Verbrechen verantwortlich ist. Vor allem die Menschenrechtsverletzungen und die mutmaßlichen Kriegsverbrechen während der letzten Phase des Krieges müssen untersucht und vor Gericht gebracht werden.
Autor
Paikiasothy Saravanamuttu
ist geschäftsführender Direktor des Centre for Policy Alternatives in Colombo (Sri Lanka).Ungeklärt ist ferner der Umgang mit den tamilischen Zivilisten, die unmittelbar nach Kriegsende in Lager interniert und inzwischen freigelassen worden sind. Für sie ist es sehr schwierig, sich nach der Rückkehr in die Heimat wieder eine Existenz aufzubauen. Die srilankische Regierung weist immer wieder darauf hin, dass die Binnenvertriebenen die Lager verlassen haben, und damit scheint sich die internationale Gemeinschaft im Großen und Ganzen zufrieden zu geben. Dabei wird aber übersehen, dass die Flüchtlinge keine Hilfe bei der Wiedereingliederung erhalten. Viele mussten bei Freunden und Verwandten unterkommen oder sind in Übergangslagern untergebracht.
Das liegt angeblich daran, dass die Minenräumung noch nicht abgeschlossen ist. Doch es stellt sich die Frage, warum sie nicht zügiger vorangetrieben wird. Verschärfend kommt hinzu, dass im früheren Kriegsgebiet Flächen beschlagnahmt oder aus Sicherheitsgründen militärisch besetzt wurden. Vor besonderen Problemen stehen Frauen, die die Rolle des Familienoberhaupts übernehmen müssen. Viele wissen nicht, wo ihre männlichen Verwandten sind, und können deshalb nur schwer Ansprüche auf Land und andere Ressourcen geltend machen. Traumatisierte Menschen werden nicht ausreichend psychosozial betreut. Die Behörden verhindern, dass nichtstaatliche Organisationen (NGO) tätig werden, und es gibt wenig Anzeichen, dass die Regierung selbst dafür sorgt.
Besonders besorgniserregend ist die Militarisierung der tamilischen Siedlungsgebiete im Nordosten des Landes. Mehrere wichtige Posten in der Nord- und der Ostprovinz, darunter die des Gouverneurs und des Vertreters der Zentralregierung, wurden mit ehemaligen hochrangigen Militärs besetzt. Die Armee ist überall deutlich präsent und greift auch in die Verwaltung und das Schulwesen ein. Im öffentlichen Raum dominieren die religiösen und kulturellen Symbole der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit. Die Tamilen erleben das als Ausdruck der militärischen Besetzung und des Triumphgebarens der Sieger.
Die Regierung setzt in erster Linie auf wirtschaftliches Wachstum und dabei besonders auf die Entwicklung der Infrastruktur und des Tourismus. Präsident Mahinda Rajapaksa hat eine ihm unterstellte Arbeitsgruppe beauftragt, Entwicklungsprojekte im Norden und Osten des Landes zu planen und umzusetzen. Die einheimische Bevölkerung fühlt sich übergangen und in die Rolle von Zuschauern gedrängt, die auch für Vorhaben, die sie unmittelbar angehen, nicht selbst die Verantwortung übernehmen dürfen. Für die Tamilen sieht es so aus, als ob die Regierung die Nordprovinz kolonisieren und ihre ethnische Zusammensetzung verändern wolle unter dem Vorwand, für die geplante Entwicklung würden qualifizierte Arbeitskräfte aus anderen Provinzen benötigt. Dieser Eindruck hat sich kürzlich noch verdichtet: Der oberste Wahlleiter erklärte, im Distrikt Jaffna sollten mehr als 300.000 Personen aus dem Wählerverzeichnis gestrichen werden, weil sie nicht mehr auffindbar seien. In der Folge werden der Distrikt und die ganze Provinz im Parlament weniger stark vertreten sein.
Obwohl die Regierung ständig versichert, dass der militärische Sieg um eine politische Einigung ergänzt werde müsse, gibt es dabei nur zögerliche Fortschritte. Im vergangenen Januar nahm sie Verhandlungen mit der Tamil National Alliance (TNA) auf, einem Zusammenschluss der Tamilenparteien. Die TNA hat mehrfach gefordert, dass eine Liste der ehemals Internierten erstellt und darüber informiert wird, wo sie sich befinden. Doch trotz mehrfacher Zusagen der Regierung stehen diese Listen immer noch aus. Im März hat die TNA ihre Vorschläge für eine politische Einigung vorgelegt und wartet seither auf eine Reaktion der Regierung. Inzwischen hat diese einen parlamentarischen Ausschuss eingesetzt, der sich damit beschäftigen soll.
All das bestätigt die Vermutung, dass die Regierung den militärischen Sieg als letztes Wort ansieht und Verhandlungen nur zustimmt, um die internationale Gemeinschaft zu beschwichtigen. Kritisch beobachtet man in Sri Lanka auch die Konzentration der Macht in der Zentralregierung bei der Familie von Präsident Rajapaksa. Es ist damit zu rechnen, dass die Regierung der von der TNA vorgeschlagenen Dezentralisierung und verstärkten lokalen Autonomie innerhalb des Landes nicht zustimmen wird. Im Zentrum der öffentlichen Diskussion steht das System der Provinzräte, die 1988 im Rahmen einer Verfassungsänderung eingeführt wurden. Strittig ist, ob die Zuständigkeit für die Polizei und die Landverteilung an die Provinzen abgetreten werden soll. Die Regierung spricht sich dagegen aus, die TNA möchte noch weiter gehende Befugnisse auf Provinzebene, was im Idealfall auf ein annähernd föderalistisches System hinauslaufen würde.
Nach 30 Jahren Bürgerkrieg ist die Aussöhnung zwischen Singhalesen und Tamilen die wichtigste Aufgabe, die Sri Lanka zu bewältigen hat. Wie schwierig das ist, zeigen die Wahlergebnisse seit 2009. In allen Wahlen auf nationaler und regionaler Ebene wurde ganz klar nach der ethnischen Zugehörigkeit abgestimmt, genau wie 1977 bei den letzten Wahlen vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs, als eine Partei alle Stimmen im Süden und eine andere alle Stimmen im Norden gewann.
Die politische Aussöhnung setzt die Aufarbeitung mutmaßlicher Kriegsvergehen voraus. Eine Expertengruppe der Vereinten Nationen wirft in einem Ende April veröffentlichten Bericht sowohl den Regierungstruppen als auch den tamilischen „Befreiungstigern“ schwere Menschenrechtsverletzungen in der Schlussphase des Bürgerkrieges vor. Gegen Präsident Rajapaksa und den ehemaligen General Shavendra Silva, der Sri Lanka bei den UN vertritt, wurden in Australien beziehungsweise in den USA Klagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingereicht. Sie wurden jedoch mit Hinweis auf die diplomatische Immunität der Beschuldigten abgewiesen. Auch gegen Jagath Dias, den srilankischen Vize-Botschafter für Deutschland und die Schweiz, wurden derartige Vorwürfe erhoben. Daraufhin wurde er zurückgezogen und die Schweizer Behörden gaben bekannt, dass er bei einer erneuten Einreise in die Schweiz verhaftet würde.
Die srilankische Regierung weist solche Anschuldigungen zurück; die Forderung nach einem internationalen Untersuchungsverfahren sei Teil einer internationalen Verschwörung der verbliebenen Mitglieder der LTTE und internationaler Kräfte, die auf diese Weise einen Regimewechsel in Sri Lanka herbeiführen wollten. Doch hat sie als Reaktion auf die Vorwürfe immerhin eine „Aussöhnungs-Kommission“ unter dem Namen „Lessons Learnt and Reconciliation (LLRC)“ eingesetzt, die dem Präsidenten Ende November Bericht erstatten sollte. Diesen Bericht soll er dann dem Parlament übergeben.
Von dem LLRC-Bericht hängt vieles ab, denn die Regierung verweist stets auf ihn, wenn sie im In- und Ausland kritisiert wird, vor allem vom UN-Menschenrechtsrat. Allerdings ist auch bei der LLRC-Kommission einiges zu beanstanden. Ihre Zusammensetzung entspricht nicht internationalen Standards – einige Mitglieder haben im Rahmen ihrer offiziellen Funktionen bestritten, dass die Regierung gegen die Menschenrechte verstoßen hat. Die Kommission hat außerdem nicht den ausdrücklichen Auftrag, die Aufarbeitung der Kriegsvergehen voranzutreiben. Und Erfahrungen mit früheren, vom Präsidenten einberufenen Arbeitsgruppen sind durchweg schlecht: Ihre Berichte wurden nie veröffentlicht, geschweige denn ihre Empfehlungen umgesetzt.
So erging es auch der Kommission, die unter Beteiligung einer internationalen Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten (Independent International Group of Eminent Persons, IIGEP) 16 Fälle von Menschenrechtsverletzungen untersuchen sollte. Die IIGEP zog sich frustriert aus der Kommission zurück, weil die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen behindert habe und die Regierung nicht an der Wahrheit interessiert gewesen sei. Der damalige Oberstaatsanwalt leitet jetzt die LLRC-Kommission. Aufgrund dieser Verwicklungen haben es nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen abgelehnt, vor der Kommission auszusagen. Vorläufige Empfehlungen der LLRC wurden bislang nicht befolgt. Außerdem wird kritisiert, dass Zeugen und Opfer nicht hinreichend geschützt werden. So seien Zivilpersonen nach ihrer Aussage vor der Kommission von Militärvertretern aufgesucht worden. Die Aussagen von Zeugen wurden nur unzureichend übersetzt, außerdem stand zu wenig Zeit für ihre Befragung zur Verfügung.
Auch andere Entwicklungen trüben die Aussichten auf eine nationale Aussöhnung. So wird die Nationalhymne bei offiziellen Anlässen nur noch in einer der beiden Amtssprachen gesungen, nämlich Singhala, der Sprache der Bevölkerungsmehrheit. Vor kurzem wurden in Navanthurai im Norden des Landes mehr als hundert tamilische Jugendliche angegriffen und festgenommen; im Oktober wurde der Vorsitzende der Studentenvertretung an der Universität Jaffna überfallen. Das macht den LLRC-Bericht so wichtig: Er kann die wesentlichen Faktoren benennen, die der Aussöhnung im Wege stehen. Er kann Gegenmaßnahmen vorschlagen und die Regierung auffordern, sie zu ergreifen.
Fortgesetzter Druck aus der internationalen Öffentlichkeit ist ebenfalls notwendig. Während des Bürgerkrieges bekamen die Streitkräfte der Regierung in ihrem Kampf gegen die tamilischen Befreiungstiger Hilfe aus dem Ausland, vor allem von China, Indien, Pakistan, Russland, Iran und den USA. Diese Länder lieferten Waffen und Geheimdienstinformationen, wobei der Beitrag Indiens und der USA aufgrund politischer Rücksichten und rechtlicher Hemmnisse etwas geringer ausfiel. Seit dem Ende des Bürgerkriegs verlässt sich die srilankische Regierung zunehmend auf wirtschaftliche und diplomatische Unterstützung von China, auch weil ihr – überwiegend aus dem Westen – Vorwürfe wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gemacht werden.
China ist der bedeutendste Geldgeber für Sri Lanka. Um Kritik westlicher Regierungen an ihrer Menschenrechtsbilanz abzuwehren, nutzt die srilankische Regierung die globale Machtverschiebung von Westen nach Osten und die Nord-Süd-Spaltung in der internationalen Politik. Das war zuletzt vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und beim Gipfeltreffen der Regierungschefs des Commonwealth zu beobachten. Sri Lankas Regierung verteidigt energisch ihre staatliche Souveränität und kontert, hinter der Kritik aus dem Westen stecke die Absicht, einen neokolonialen Regimewechsel herbeizuführen.
Der Faktor China wirkt sich auch auf die indische und die amerikanische Politik aus. Wegen seiner eigenen tamilischen Bevölkerung im Süden ist Indien sehr daran interessiert, dass auf die Belange der Tamilen in Sri Lanka Rücksicht genommen wird. Doch es will nicht zu viel Druck auf die srilankische Regierung ausüben, um sie nicht noch weiter in die Arme der Chinesen zu treiben. Nach längerem Schweigen zum Thema Menschenrechte in Sri Lanka hat Indien kürzlich wieder offiziell Stellung bezogen und betont, dass es nicht nur internationale, sondern auch nationale Strukturen für die Durchsetzung dieser Rechte geben müsse. Indien hat stets auf die Bedeutung einer politischen Aussöhnung hingewiesen, und es bleibt abzuwarten, wie es reagieren wird, wenn es kaum oder nur geringe Fortschritte gibt. Sri Lankas Regierung wiederum betont, welch günstige Möglichkeiten sich für indische Investoren in Sri Lanka vor allem im Nordosten bieten, und Indien hat Mittel für den Wiederaufbau in dieser Region zur Verfügung gestellt.
Die US-amerikanische Regierung steckt in einer Zwickmühle: Angesichts des internationalen Drucks muss sie für die Aufarbeitung der Kriegsvergehen eintreten. Gleichzeitig strebt sie eine intensive militärische Zusammenarbeit mit Sri Lanka an, um den Einfluss Chinas zurückzudrängen. Washington erhofft sich viel von den Gesprächen der srilankischen Regierung mit der TNA und ebenso von dem Bericht der LLRC-Kommission. Es wird allgemein angenommen, dass die Amerikaner und Europäer auch deshalb auf die Aufarbeitung der Kriegsvergehen drängen, um eine größere Bereitschaft zur politischen Einigung zu erzwingen. Nach ihren Reaktionen auf den LLRC-Bericht wird sich deutlicher herausstellen, wie die Perspektive des Westens für Sri Lanka aussieht.
Sri Lankas Regierung konzentriert sich einseitig auf die Förderung des Wirtschaftswachstums und hofft, dass der Forderung nach politischen Rechten dadurch der Wind aus den Segeln genommen wird. Zwar ist ein gewisser wirtschaftlicher Aufschwung erkennbar, doch kann die Regierungspolitik nur dann Erfolg haben, wenn Direktinvestitionen aus dem Ausland beträchtlich zunehmen und sich auch Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit sichtbar verbessern. Angesichts der dynastischen Bestrebungen des Präsidenten und seiner Familie, der Straflosigkeit bei Verstößen gegen die Grundrechte, der schleichenden Militarisierung des Landes und des autoritären Umgangs mit Kritik und abweichenden Meinungen ist zu befürchten, dass der Weg zu einem echten Frieden sich als lang und steinig erweisen wird.
Aus dem Englischen von Anna Latz.
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