Die neue Koalition gibt deutschen Interessen Vorrang

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Frau im lila Blazer spricht in die Kamera und zeigt eine Grafik zur feministischen Entwicklungspolitik.
Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance
Svenja Schulze stellt Ende 2024 den Entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung vor. Sie könnte Chefin des BMZ bleiben, aber die Leitlinien der Entwicklungspolitik werden sich nun ändern.
Entwicklungspolitik
Es wird wohl keinen Kahlschlag geben, aber sonst sehen Fachleute nicht viel Gutes in den entwicklungspolitischen Plänen der neuen Bundesregierung. Deutsche Interessen stehen künftig im Vordergrund.

Noch im Januar war Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) mit einem Programmpapier in den Wahlkampf gezogen, das die Bekämpfung von Hunger, Armut und Ungleichheit als Kernauftrag der Entwicklungszusammenarbeit darstellt. Drei Monate später ist klar, dass zwar das zuständige Ministerium in SPD-Hand bleibt, womöglich weiter mit Schulze als Ressortchefin. Von dem von ihr formulierten Anspruch rückt die nächste Bundesregierung aber deutlich ab: Der Koalitionsvertrag trägt eine andere Handschrift.

Die schwarz-rote Koalition bekennt sich in ihrem Vertrag zwar zur UN-Nachhaltigkeitsagenda 2030, verabschiedet sich aber von dem Auftrag einer globalen Strukturpolitik, also dem Auftrag, sich für bessere soziale, ökonomische und ökologische Rahmenbedingungen in ärmeren Ländern einzusetzen. Stattdessen soll Entwicklungspolitik viel stärker deutschen Interessen dienen, vorrangig in der Wirtschafts- und Energiekooperation, dem Zugang zu Rohstoffen und der Abwehr von Migranten. Unternehmen aus Deutschland und der EU sollen stärker von finanzieller Zusammenarbeit profitieren. Die nächste Bundesregierung unter einem Kanzler Friedrich Merz (CDU) will sich dabei auch nicht von Länderlisten einengen lassen, die bislang bevorzugte Partnerstaaten festlegen.

Die Fachleute sind entgeistert

Die Grundzüge dieser Wende und ihre Signale in die Welt stoßen bei Fachleuten und nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen auf Ablehnung. Der Koalitionsvertrag enthalte „transaktionale Teile“ – ich gebe dir was, wenn du mir was gibst –, missachte damit aber die Bedürfnisse und Perspektiven von Partnerländern, heißt es vom Fachinstitut IDOS. Die „Logik der Solidarität kommt im Koalitionsvertrag zu kurz“, sagt IDOS-Direktorin Anna-Katharina Hornidge. Ähnlich bedauert der Ökonom und Afrikawissenschaftler Robert Kappel gegenüber „welt-sichten“ den „Abschied“ von einer Entwicklungszusammenarbeit, die auch die Interessen der Entwicklungsländer einbezieht, wie etwa Industrieentwicklung, den Kampf gegen die Folgen des Klimawandels oder Armutsbekämpfung. „Der eigentliche Sinn von Entwicklungskooperation wird ad acta gelegt“, sagt Kappel.

Der im Koalitionsvertrag skizzierte entwicklungspolitische Kurs zeuge grundsätzlich von programmatischer Schwäche, so der Tenor der Kritiker. Stephan Klingebiel vom IDOS befürchtet eine entwicklungspolitische „Verzwergung“ Deutschlands im Hinblick sowohl auf das Finanzvolumen als auch auf inhaltliche Spielräume. In einer Zeit, in der Washington eigenmächtig die globale Handelsordnung zerbricht, findet Klingebiel, Deutschland könne viel deutlicher machen, wie Entwicklungspolitik als moderner, gestaltender Soft-Power-Ansatz zu nutzen wäre, um als „Gegenmodell zum Trumpismus zu punkten“ und Gleichgesinnte zu binden. 

Das Ministerium bleibt erhalten

Immerhin plant die künftige Regierung offenbar keinen radikalen Kahlschlag an der deutschen Entwicklungspolitik. Dafür spricht auch der Fortbestand des Entwicklungsministeriums (BMZ). Auch will die Koalition die Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden durchaus aufwerten. „Wir werden die bilateralen Beziehungen zu den Ländern des Globalen Südens intensivieren und zu einem globalen Netzwerk ausbauen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Dafür sieht er auf Drängen von SPD-Chef Lars Klingbeil eine neue "Nord-Süd-Kommission" vor, die dieser vor einem Jahr, an Willy Brandt anknüpfend, in einem Parteipapier vorgeschlagen hatte. Unklar bleibt, was Deutschland in diese Kooperation einbringen will und woran ein selbstbewusster Süden, der kein Bittsteller mehr ist, Interesse haben könnte. 

So wie viele andere ihrer Absichten stellen die Koalitionäre auch die Entwicklungspolitik und die humanitäre Hilfe unter den Vorbehalt der Finanzierbarkeit. Im Koalitionsvertrag heißt es, es müsse eine „angemessene Absenkung der ODA-Quote“ erfolgen. Unter anderem sollen freiwillige Beiträge an internationale Organisationen gekürzt werden. Der humanitären Hilfe wird eine „auskömmliche Finanzierung“ zugesichert, der internationalen Klimafinanzierung „unser fairer Anteil“. 

Mehr Krisenbewältigung mit weniger Geld?

Das Hilfswerk Brot für die Welt moniert diese Art Unverbindlichkeit. Und der Dachverband Venro kritisiert, der grundsätzlich erfreulichen Treue der Koalitionäre zu Klima- und Nachhaltigkeitszielen stehe eine Reihe von problematischen Signalen an internationale Partner gegenüber, dass deren Belange keine Rolle spielten und Verpflichtungen nicht erfüllt würden. Es sollte dann nicht verwundern, wenn autokratische Mächte an Einfluss gewinnen. Die Organisation Germanwatch fragt, wie der Widerspruch zu lösen sei, mit weniger Geld internationale Kooperation und Krisenbewältigung zu stärken. 

Wie stark die deutsche ODA-Quote, die im vergangenen Jahr bei 0,82 Prozent des Bruttonationaleinkommens lag, sinken soll, werden die anstehenden Verhandlungen für den Bundeshaushalt 2025 und 2026 zeigen. Robert Kappel befürchtet, dass die Entwicklungszusammenarbeit erheblich geschwächt wird, einhergehend mit einem Aderlass an Kompetenz in Durchführungsorganisationen, Hilfsorganisationen und Thinktanks. 

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„Gerade weil das BMZ weniger Geld haben wird, wäre ein Nachdenken über eine Reform der Entwicklungszusammenarbeit fällig, wäre die Evaluierung der Politik erforderlich, um sich dann strategisch mit fokussierten Maßnahmen neu aufzustellen“, rät Kappel. Doch diese Chance werde verpasst – und damit auch die Gelegenheit, den grundsätzlichen „Holzhammerargumenten“ gegen Entwicklungszusammenarbeit entgegenzutreten. Auch nichtstaatliche Hilfsorganisationen und die Kirchen bleiben nach Ansicht von Kappel Reformideen schuldig. Weil sie nicht bereit seien, sich der Kritik an Entwicklungszusammenarbeit zu stellen, schwächten und entmachteten sich die entwicklungspolitischen Institutionen zusätzlich selbst. 

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