Aufbruchstimmung in der Schuldenkrise

Ishara S. Kodikara/AFP via Getty Images
Die Wahlurnen sind versiegelt: Mitarbeiter der Wahl­behörde und Sicherheitspersonal bringen nach der Parlamentswahl im November 2024 die Stimmzettel zur Auszählung.
Sri Lanka
Das Wahlvolk in Sri Lanka hat die alte Elite und ihre Parteien vorerst in die Wüste geschickt. Die neue linke Regierung hat eine überwältigende Mehrheit im Parlament, doch sie erbt eine schwer angeschlagene Wirtschaft. Die Bevölkerung setzt dennoch große Hoffnung in die neuen Führer.

Präsident Anura Kumara Dissanayake (Mitte) geht zur Eröffnung des neu gewählten Parlaments im November, rechts der Parlamentsvorsitzende Ashoka Ranwala.

Die Präsidentschaftswahlen vom 21. September und die Parlamentswahlen vom 14. November 2024 haben Sri Lanka eine unerwartete Wende gebracht: Anura Kumara Dissanayake, genannt AKD, ist zum Präsidenten gewählt worden und seine Wahlplattform, die National People‘s Power (NPP), hat eine Zweidrittelmehrheit im Parlament errungen. Die NPP ist ein Mitte-links-Wahlbündnis aus 21 Gruppierungen, darunter politische Parteien, Gewerkschaften und soziale Bewegungen. Viele ihrer Abgeordneten gehören nicht zur politischen Elite und haben wenig oder gar keine Regierungserfahrung, aber sie sind entschlossen, dem Ruf des Volkes nach einem Systemwandel nachzukommen. Ihr Einzug in die Regierung hat das politische Ökosystem des Landes völlig umgekrempelt und neu ausgerichtet.

Hintergrund ist eine schwere Wirtschaftskrise. Sri Lanka kämpft mit einer ganzen Reihe von Problemen wie einem Leistungsbilanzdefizit, einem Haushaltsdefizit und Auslandsschulden, die sich auf eine untragbare Höhe angehäuft haben. „Seit 1977 die Wirtschaft in der Hoffnung auf Entwicklung geöffnet wurde, auch für die globalen Kapitalmärkte, hat nicht Entwicklung stattgefunden, sondern das Land ist in eine Schuldenfalle gedrängt worden. Das gipfelte darin, dass es im April 2022 seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen konnte“, sagt die Ökonomin Shafiya Rafaithu. 

Schulden, Kapitalflucht und Steuerhinterziehung

Nach dem Ende des Bürgerkrieges mit den tamilischen Rebellen 2009 nahm Sri Lanka Kredite auf, um korruptionsbehaftete große Prestigeprojekte wie den Flughafen Mattala und den Hafen Hambantota zu finanzieren. In der Folge hat sich ein Schuldenberg aufgetürmt. Hinzu kamen illegitime Kapitalflucht, eine Kultur der Steuerhinterziehung sowie die Abhängigkeit der Elite des Landes von Steuervergünstigungen. 

Dann haben in den vergangenen Jahren eine Reihe externer Schocks – die Dürre 2017–2018, die Anschläge auf Kirchen und Hotels im ganzen Land am Ostersonntag 2019 sowie die Corona-Pandemie seit 2020 – die ohnehin schwache Wirtschaft aus dem Gleichgewicht gebracht. Der damalige Präsident Gotabaya Rajapaksa hat Fehlentscheidungen gefällt wie die, Steuern zu senken, Reserven der Zentralbank zur Finanzierung der Auslandsschulden zu verwenden und Düngemittel zu verbieten beim Versuch, auf 100 Prozent organischen Landbau umzustellen. Dies hat zu einem Mangel an lebensnotwendigen Gütern geführt: Ab Anfang 2022 bildeten sich im ganzen Land Schlangen für Benzin, Kerosin und Gas. Medikamente waren nicht zu bekommen. Im heißesten Monat gab es Stromabschaltungen. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Gemüse und Fleisch schossen in die Höhe.

Ein Arbeiter entlädt in Colombo im März 2023 Säcke mit Reis. Unter der nun abgewählten Regierung sind die Preise für Nahrungsmittel stark gestiegen.

Daraufhin protestierten Menschen erst in kleinen Gruppen auf der Straße, dann an markanten Orten und schließlich mit einem Camp auf der Galle Face Green, einer beliebten Grünfläche am Indischen Ozean in der Hauptstadt Colombo. Sie errichteten ein provisorisches Krankenhaus, ein Verpflegungszelt, eine Volksuniversität und ein Freilufttheater. Am 9. Mai stürmte ein von der Regierung gesponserter Mob das Gelände, während Polizei und Armee untätig zusahen oder den Angriff unterstützten. Daraufhin strömten Bürger aus ganz Colombo herbei, um das Gelände zu schützen, umzingelten wenig später die Residenz des damaligen Premierministers Mahinda Rajapaksa (Gotabayas Bruder) und forderten seinen Rücktritt. Am nächsten Tag floh Mahinda und wurde von Ranil Wickremasinghe von der United National Party (UNP) abgelöst.

Am 9. Juli kam das Land zum Stillstand, weil der Treibstoff ausging. Die Bürger zogen zur Galle Face Green, trotzten den bewaffneten Kräften, drangen in die Residenz des Präsidenten ein und zwangen Gotabaya Rajapaksa zur Flucht auf die Malediven. Am 20. Juli wählte das Parlament Ranil Wickremasinghe von der UNP zu seinem Nachfolger.

Autorin

Devana Senanayake

ist Journalistin in Colombo, Sri Lanka.

Anders als die Brüder Rajapaksa ging Wickremasinghe mit Repression gegen die Proteste vor. Am 22. Juli wurden die Demonstranten von staatlichen Sicherheitskräften gewaltsam vertrieben, obwohl sie versprochen hatten, das Gebäude im Laufe des Tages zu räumen. Der Staat unterdrückte auch Proteste von Studentenverbänden und Gewerkschaften. So wird verständlich, dass die NPP zur echten politischen Alternative aufsteigen konnte. 

Bei den Präsidentschaftswahlen standen 39 Kandidaten zur Wahl. Unter dem sri-lankischen Wahlsystem kann man drei Stimmen abgeben, jeweils für die erste, die zweite und die dritte Präferenz. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes brachte es kein Kandidat auf 50 Prozent der Stimmen für die erste Präferenz; Dissanayake gewann aufgrund der meisten Zweitstimmen. 

Ein gespaltenes Land

Die Wahl macht sichtbar, dass das Land gespalten ist. Während der Südwesten für Dissanayake stimmte, stießen er und seine Wahlplattform im Nordosten auf Ablehnung. Das hat mehrere Gründe. Die wichtigste Partei in der NPP-Koalition ist die Volksbefreiungsfront, deren Vorsitzender Dissanayake seit 2014 ist, und sie ist für Rassismus bekannt: 1987 initiierte sie einen Aufstand gegen das indisch-sri-lankische Abkommen, das den Bürgerkrieg mit den tamilischen Rebellen in Sri Lanka mit Hilfe von Provinzräten beilegen sollte. Die Volksbefreiungsfront trat auch für die Teilung des tamilischen Nordostens in zwei Provinzen ein und unterstützte in den letzten Jahren des Bürgerkrieges Mahinda Rajapaksa, der für die Vorherrschaft der Singhalesen stand.

Prozession von Hindus beim Pongal-Fest im Januar 2025. Das Fest ist eines der wichtigsten für die Tamilen, die in Sri Lanka die größte Minderheit stellen.

Bei den Parlamentswahlen am 4. November errang die NPP 159 von 225 Sitzen – eine Supermehrheit, die in Systemen mit Verhältniswahlrecht selten vorkommt. Und anders als bei den Präsidentschaftswahlen stimmten auch die nördlichen und östlichen Provinzen für die NPP. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit des Landes votierte der mehrheitlich tamilische Distrikt Jaffna massenhaft für eine Partei aus dem Süden. Nur der Distrikt Batticaloa im Osten unterstützte weiter die größte tamilisch-nationalistische Partei ITAK. 

Was sind die Gründe für diese Verschiebung? Die tamilisch-nationalistischen Parteien erlebten zuletzt eine Führungskrise. Ihre Forderungen nach Selbstbestimmung und Dezentralisierung des Staates, die die ältere Generation ansprechen, konnten die Jugend nicht mobilisieren oder radikalisieren. Und der tamilische Nationalismus als politisches Projekt bietet keine Lösungen für die Wirtschaft an. Ein Bericht des UN-Entwicklungsprogramms UNDP aus dem Jahr 2023 stellt fest, dass gut zwölf Millionen Menschen in Sri Lanka – über die Hälfte der Bevölkerung – von mehrdimensionaler Armut bedroht sind und dass ein beträchtlicher Teil von ihnen in den nördlichen und östlichen Provinzen lebt. 

Dissanayakes Besuch kam bei den Tamilen gut an

Man kann zwar noch nicht sagen, ob der tamilische Nationalismus endgültig seine Popularität verloren hat, aber ihm wird offenbar angesichts der Wirtschaftskrise und der Armut im Nordosten kein Vorrang beigemessen. Obwohl er bei den Präsidentschaftswahlen in der Region schlecht abgeschnitten hatte, hat Dissanayake das Gebiet besucht und mit Tamilen gesprochen, um Vertrauen zu gewinnen. „Nicht viele Präsidenten oder Präsidentschaftskandidaten besuchen Gegenden wie Killinochi, und dann normalerweise vor Wahlen. Ich habe mit Studenten und Ladenbesitzern darüber geredet. Die Leute fanden Dissanayakes Aussagen durchdacht und ermutigend“, sagt Sinthuja Sritharan, ein Forscher aus der Nordprovinz.

Das Ergebnis der Parlamentswahlen verdeutlicht auch den Niedergang der alten Eliteparteien des Südens wie der UNP im ganzen Land. Einen Verlust an Sitzen mussten auch die tamilisch-nationalistische Partei ITAK in der Nordprovinz, der Muslimkongress Sri Lankas in der Ostprovinz und der Arbeiterkongress von Ceylon in der Zentralprovinz hinnehmen. Der Anteil weiblicher Abgeordneter ist von 6 auf 23 gestiegen, 21 davon kommen von der NPP.

Analysten haben nun Sorge, dass eine solide und starke Opposition fehlt. Doch der Journalist und Aktivist Chirantha Amarasinghe denkt, dass die Bürgerbeteiligung, die bei den Protesten 2022 zu beobachten war, wohl anhalten wird: „Die Opposition ist da, sie ist nur nicht im Parlament“, sagt er. 

Viele Baustellen für die neue Regierung

Trotz ihres hohen Sieges steht die NPP aber vor großen Schwierigkeiten. Rückzahlungen der Kredite von anderen Staaten sollen zwar erst ab 2028 beginnen. Aber schon 2025 sind Zinsen für solche umgeschuldeten bilateralen Kredite fällig, dazu eine Milliarde US-Dollar aus einer Vereinbarung mit der indischen Zentralbank und insgesamt 1,43 Milliarden Dollar an Zins- und Tilgungszahlungen für Staatsanleihen. Zudem braucht das Land 1,5 bis 1,8 Milliarden Dollar an Devisen, weil das Importverbot für Kraftfahrzeuge beendet ist. Ökonomen wie Dhanusha Pathirana sind skeptisch, ob die Regierung der NPP diese Zahlungen stemmen kann. „Das Land hat Reserven von fünf Milliarden Dollar. Wenn die geopolitische Lage eskaliert und der Preis für Ölimporte auf 80 bis 90 Dollar pro Barrel steigt, wird es wahrscheinlich ein großes Zahlungsbilanzproblem geben.“

Ein weiteres heißes Eisen ist die Frage der Nationalitäten. Bei ihrer Kandidatur für das Parlament hat die NPP lediglich erklärt, dass sie sich für die Gleichbehandlung aller Ethnien einsetzt. In ihrem Manifest jedoch verspricht sie eine Verfassungsreform, die Freilassung politischer Gefangener, Hilfen für die Opfer des Bürgerkrieges und eine Kommission für Landfragen. 

„Dass die verschiedenen Gruppen und Regionen im Votum für die NPP vereint sind, ist eine historische und sehr erfreuliche Entwicklung. Aber es ist nun an der Regierung, den versprochenen Wandel einzuleiten. Nur weil die Tamilen in großer Zahl für die NPP gestimmt haben, heißt das noch nicht, dass die tamilische Forderung nach Dezentralisierung und Autonomie vom Tisch ist. Wir haben einen Regimewechsel, aber keinen Wandel im Charakter des Staates“, sagt Mahendran Thiruvarangan, ein Dozent an der Universität von Jaffna. Er glaubt, dass ein Mandat aus dem tamilischen Norden ein Grund ist, eine Reihe von Forderungen des tamilischen Volkes endlich zu erfüllen.

Im Kampf gegen Korruption ist ein Anfang gemacht

Die Bevölkerung fordert vor allem, die Korruption in Regierung und Verwaltung zu beenden. Korruption durchzieht alle Gesellschaftsschichten, stellt das Manifest der NPP fest. Es verspricht daher insbesondere die Wiederbeschaffung gestohlener Vermögenswerte, die Einrichtung eines ständigen Gerichts für Korruptionsfälle und eine Antikorruptionskommission in jedem Bezirk. Weiter sollen Gesetze erlassen werden, die Finanzmissbrauch, Bestechung und Korruption verhindern sollen. Das Manifest enthält jedoch keine Definition von Korruption und geht nicht auf die zahlreichen korruptionsgefährdeten Schwachstellen ein, auf die Berichte des Internationalen Währungsfonds (IWF) und von Transparency International hinweisen.

Die Vorgängerregierung unter Wickremasinghe hat 2023 ein Antikorruptionsgesetz verabschiedet. Es sieht eine unabhängige Kommission mit Ermittlungs- und Strafverfolgungsbefugnissen vor, außerdem ein System zur Offenlegung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten von Staatsbediensteten im In- und Ausland. Der IWF hat in einem Bericht 2023 empfohlen, dieses Gesetz durch ein modernes Gesetz über die Wiederbeschaffung von Vermögenswerten zu ergänzen. Die neue Regierung möchte im Parlament einen Gesetzentwurf einbringen, der ausgewählten Mitgliedern die Befugnis gibt, komplexe Ermittlungen zu Finanzkriminalität zu führen. Dies ist ein Anfang.

Helfen könnte der Regierung, dass das Land noch ungenutzte Potenziale ausschöpfen kann. Zum Beispiel die des Meeresgebiets rund um die Insel: „Wir haben eine Meeresfläche unter unserer Hoheit, die siebenmal so groß ist wie unser Land und reich an Mineralien, Fisch und maritimer Artenvielfalt. Das ist für andere Länder von Interesse angesichts geopolitischer Faktoren wie Rohstoffknappheit. Die Lage und der Ressourcenreichtum könnten Sri Lanka eine stärkere Position in der Region verschaffen. Es ist an der Regierung, zu entscheiden, wie sie diese Chance nutzt“, sagt der politische Analyst Chulanee Attanayake. Das Vertrauen und die Hoffnung in die neue NPP-Regierung sind groß.

Aus dem Englischen von Anja Ruf.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2025: Abwehrkräfte stärken
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