Mehr Selbstkritik, weniger Bevormundung

picture alliance/dpa/Kristin Palitza
Aktivist Laidlaw Peringanda (49) steht vor dem von ihm gegründeten Genozid Museum in der namibischen Küstenstadt Swakopmund. Erstmals behandeln die entwicklungspolitischen Leitlinien der Bundesregierung auch die kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in Afrika als „wichtiges Element für ein zukunftsgerichtetes Miteinander“.
Deutschland-Afrika
Mit Afrika statt für Afrika – das ist der Leitgedanke der neuen Politikleitlinien der Bundesregierung für den Kontinent. Von entwicklungspolitischen Organisationen kommt viel Zustimmung, die Wirtschaft hingegen sieht eine große Lücke.

Deutschland und Europa sind in einer multipolaren Welt auf Verbündete angewiesen, wollen sie weiter politischen und wirtschaftlichen Einfluss haben. Das prägt die aktualisierten afrikapolitischen Leitlinien, die die Rumpfregierung aus SPD und Grünen sieben Wochen vor der Bundestagswahl verabschiedet hat. Der Nachbarkontinent wird darin für seine wachsende Rolle als „Gravitationszentrum“ gewürdigt – also als eine Region, von der besondere Anziehungskraft und Einfluss auf globale politische und wirtschaftliche Entwicklungen ausgehen.

Das Dokument hat das grün geführte Auswärtige Amt (AA) federführend erstellt und es war dabei bemüht, inhaltlich und sprachlich stärker als im Vorläuferpapier von 2019 auf gemeinsame Interessen mit afrikanischen Partnern abzuheben. Diese sollen gemeinsam definiert werden, um in „gegenseitigem Respekt“ zur Lösung „globaler Herausforderungen“ an einem Strang zu ziehen. Dass es dabei auch darum geht, im Wettbewerb mit anderen Mächten in Afrika nicht abgehängt zu werden, bestätigt ein AA-Sprecher. Natürlich sehe man, mit welchen Instrumenten Russland und China Einfluss nähmen: „Wir sind gut beraten als deutsche Bundesregierung, aber auch als Europäer, dort andere partnerschaftliche, gleichberechtigte Angebote zu machen.“

Afrikanische Zivilgesellschaft berücksichtigt

Heimische Hilfsorganisationen und entwicklungspolitische Lobbyorganisationen merken wohlwollend an, Interessen der afrikanischer Zivilgesellschaft seien in die Leitlinien sichtbar eingeflossen. Die Welthungerhilfe begrüßt den deutlich verstärkten Fokus auf Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung und auf lokale Lösungen im ländlichen Raum. Ähnlich reagiert das Hilfswerk Brot für die Welt. Doch fänden sich in dem Papier auch paternalistische Tendenzen, sagt dessen Afrika-Referentin Imke-Friederike Tiemann, denn es werde darin weiter vorgeschlagen, was auf dem Kontinent passieren solle. Angesichts der aufgeführten deutschen Interessen, besonders zu Rohstoffversorgung, Energieimporten oder Migration, „scheint es in der Partnerschaft vor allem um die Stärkung der eigenen Rolle und weniger um die eigenständige Entwicklung des Kontinents zu gehen“, sagt sie. 

Als Handlungsfelder multilateraler Kooperation nennen die Leitlinien die „Dreifachkrise aus Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung“, die „Sicherung globaler Ernährungs- und Energiesicherheit“, den „Schutz des globalen Wasserkreislaufs“, den „Kampf gegen Pandemien“, das „kluge Management der fortschreitenden Urbanisierung“, den Umgang mit legaler und irregulärer Migration sowie die Reform von Strukturen globalen Regierens und – das ist neu – den Umgang mit künstlicher Intelligenz. Auch die Prävention und Bewältigung von Konflikten und die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität gehören dazu. 

Ausdrücklich unterstützt, statt wie im Papier von 2019 nur anerkannt, werden afrikanische Forderungen nach zwei ständigen Sitzen im UN-Sicherheitsrat und einer Reform der internationalen Finanzinstitutionen. Entwicklungspolitische Organisationen begrüßen außerdem, dass die Leitlinien sich auf die UN-Agenda 2030 und die Reformagenda 2063 der Afrikanischen Union beziehen – ebenso wie auf Werte wie die „Stärkung demokratischer Resilienz afrikanischer Partner“, gute Regierungsführung, die Achtung der Menschenrechte und die Freiheit von Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. 

Fehlende Strategie zur Stärkung von Demokratie

Für Kritik sorgt indes die Haltung zu autokratischen Regimen. Ihnen wolle man „mit offenem, kritischem Dialog“ begegnen, heißt es in dem Papier, man werde „auch mit Staaten kooperieren, mit denen wir Werte nicht in vollem Umfang teilen“. Das Papier bleibe eine Strategie zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten in autoritären Staaten schuldig, betont Tiemann. Hier wäre mehr Mut gefragt, um neue Wege zu gehen und einen Aufbruch und eine Wende in der Zusammenarbeit spürbar zu machen. 

Immerhin: Erstmals wird die kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in Afrika als „wichtiges Element für ein zukunftsgerichtetes Miteinander“ behandelt. 2019 kam das Thema nur in einem Nebensatz vor. Nun werden gar der Völkermord an den Nama und Herero Anfang des 20. Jahrhunderts uneingeschränkt anerkannt und die Aussöhnung mit Namibia ausdrücklich hervorgehoben. Zudem soll die Afrikapolitik der Bundesregierung selbstkritisch auf bleibende koloniale Denkmuster hin überprüft werden – auch das war stets ein Anliegen der entwicklungspolitischen Zivilgesellschaft. 

Hingegen bleiben die Leitlinien hinter den Erwartungen der Wirtschaftslobby zurück. Zwar heißt es darin, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, das der gesamten Bevölkerung zugutekomme, Ungleichheiten überwinde und vor allem der wachsenden Jugend Perspektiven gebe, liege sowohl für diversifizierte Lieferketten als auch sicherheits- und migrationspolitisch im deutschen Interesse. Doch der Afrika-Verein der Deutschen Wirtschaft bemängelt, es fehle eine Perspektive für die Unterstützung deutscher Unternehmen, die sich in Afrika engagieren. Geschildert werde nur der Status quo von Förderinstrumenten, ohne Hinweise darauf, wie sie weiterentwickelt werden könnten. Deutschland müsse entschlossener handeln, so die Kritik, um im globalen Wettbewerb mit Konkurrenten wie China, Indien oder der Türkei bestehen zu können.

Überhaupt bleibt offen, was die rot-grüne Koalition mit dem Strategiepapier noch bezwecken will. Eine neue Bundesregierung, vermutlich von der CDU/CSU geführt, wird die Leitlinien wohl kaum mit Leben füllen.

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