25 Jahre sind seit der Katastrophe von Bhopal vergangen – seit jener Nacht, in der giftige Gase aus einem Werk des US-Chemiekonzerns Union Carbide austraten und tausende Menschen töteten oder für Generationen versehrten. Die Frage ist, ob aus diesem Desaster Lehren gezogen worden sind, wie auf einen chemischen Unfall reagiert werden muss, wie toxische Abfälle entsorgt werden sollten und wie die Menschen medizinisch zu versorgen sind. Wurden Vorkehrungen getroffen, dass Betroffene schnell finanziell entschädigt und die Verschmutzer in die Pflicht genommen werden, so dass solche Unfälle nicht wieder vorkommen?
Ich war in Bhopal, als dort vor kurzem der 25. Jahrestag des Unglücks begangen wurde. Eine Ausstellung führte den Horror jener Nacht noch einmal vor Augen. Menschen fielen wie die Fliegen zu Boden, als die Giftgas-Wolke sie traf. Tausende Tierkadaver verfaulten auf den Straßen. Krankenhäuser wussten nicht, wie sie all die Opfer behandeln sollten, und niemand – insbesondere Union Carbide nicht – fühlte sich für das Leiden und die Behandlung verantwortlich.
Noch schlimmer ist, dass dieser Horror in Teilen von Bhopal noch heute allgegenwärtig ist. Laut Menschenrechtlern leiden seit dem Unfall geborene Kinder unverhältnismäßig oft unter Deformierungen und Krankheiten. Ein Teil der giftigen Chemikalien befindet sich noch immer in der Fabrik. Sie lecken aus den Behältern und verseuchen das Trinkwasser der alten und neuen Opfer dieses Industrie-Desasters.
Autorin
Sunita Narain
ist Direktorin des Zentrums für Wissenschaft und Umwelt in Neu-Delhi und Herausgeberin der indischen Zeitschrift „Down to Earth“.Nach dem Unfall sollte der indische Rat für medizinische Forschung untersuchen, wie die ausgetretenen Chemikalien den Menschen kurz- und langfristig schaden werden. In den 1990er Jahren stoppte die Regierung jedoch ohne Angabe von Gründen die Untersuchung. Deshalb gibt es nun keine amtliche empirische Forschung mehr zum Gesundheitszustand der alten und neuen Opfer – und die Regierung kann abstreiten, dass die Katastrophe bis heute nachwirkt. Sie schiebt die hohe Zahl von kranken und deformierten Kindern in Bhopal auf die Armut; das sei nicht ungewöhnlich. Das ist kriminell und unverantwortlich.
Auch bei der Frage der Entsorgung von giftigem Müll auf dem Gelände der Fabrik wiegelt die Regierung ab. Am Obersten Gericht von Madhya Pradesh wurde Klage gegen die Regierung eingereicht, sie möge für eine zügige Beseitigung des Giftmülls sorgen. Rund zwei Jahre haben die Regierung in Delhi und die Regierung des Bundesstaats weitgehend erfolglos darüber verhandelt, ob die 340 Tonnen Müll auf einer Halde gelagert oder verbrannt werden sollen. Doch dann änderte die Regierung den Kurs. Jetzt sagt sie, der Müll sei gar nicht giftig und das Grundwasser rund um die Fabrik sei nicht verseucht; das hätten ihre Wissenschaftler herausgefunden. Daraufhin haben meine Kollegen beschlossen, selbst zu ermitteln.
Die Ergebnisse waren erschreckend. Im Boden und im Wasser der Fabrik fanden wir unzumutbar große Mengen von Chemikalien wie Quecksilber und chloriertes Benzol sowie die drei Pestizide, die Union Carbide hergestellt hat. Auch fast drei Kilometer von Bhopal entfernt fanden wir diese Stoffe im Grundwasser – zwar in geringerer Konzentration, aber noch genug, um bei langfristigem Kontakt tödliche Krankheiten auszulösen. Das Gelände muss gründlich saniert werden – eine riesige Aufgabe, denn es geht ja nicht nur um den Müll, sondern auch um den Boden und das Grundwasser.
Wissenschaftliche Ergebnisse sind Interpretationssache. Die Studien, die von der Regierung für die Behauptung herangezogen worden sind, es gebe keine oder nur eine zu vernachlässigende Gefahr, haben sich nur auf die akute Giftigkeit bezogen – also auf die Menge, die ein Mensch essen müsste, um zu sterben. Die Studien, laut denen das Grundwasser nicht verseucht ist, haben nicht einmal die von Union Carbide produzierten Pestizide in die Untersuchung einbezogen. Sie haben nichts gefunden, weil sie gar nicht nach dem gesucht haben, was hätte gefunden werden müssen. Verwirren und abstreiten heißt dieses Spiel. Die Opfer sind vergessen – bis der nächste Gedenktag ansteht.