Mit Studenten kreativ die Entwicklungshilfe steigern

Ralf Brunner/laif
Studentinnen und Studenten beim sommerlichen Chillen in Innsbruck. Österreich rechnet sich die Studienplatzkosten für Studierende aus Entwicklungsländern großzügig als Entwicklungshilfe an. Fachleute bezweifeln, dass das sinnvoll ist.
Österreich
Österreich rechnet Kosten für Studierende aus Entwicklungsländern in großem Umfang in seine Entwicklungshilfe ein. Diese Meldepraxis ist erlaubt, doch die entwicklungspolitische Wirkung nicht erwiesen.

Zu Semesterbeginn im Oktober heißt es auch in Österreich wieder für viele Studierende: zurück in den Vorlesungssaal. Für die österreichische Entwicklungszusammenarbeit ist der Hochschulbereich unter anderem relevant, da Österreich die Kosten, die Studierende aus Entwicklungsländern für Universitäten und Hochschulen verursachen, in die ODA-Quote einberechnet. Die Quote gibt den Anteil öffentlicher Ausgaben für globale Entwicklung (Official Development Assistance, ODA) an der nationalen Wirtschaftsleistung an.

2022 beliefen sich die sogenannten errechneten Studienplatzkosten auf insgesamt 139 Millionen Euro, also acht Prozent der österreichischen ODA. Im Vergleich dazu belief sich etwa das operative Budget der Austrian Development Agency (ADA), die österreichische Entwicklungsprogramme und -projekte plant, finanziert und begleitet, auf nur 112,75 Millionen Euro, knapp 6,5 Prozent der ODA. Der Löwenanteil der österreichischen ODA entfällt unter anderem auf Beiträge zu multilateralen Organisationen und auf die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen.

Das Bildungsministerium berechnet die ODA-relevanten Kosten für einen Studienplatz an einer österreichischen Universität im vergangenen Jahr mit 12.000 bis knapp 13.000 Euro pro Person, an Fachhochschulen etwas weniger. 2023 studierten rund 11.500 Personen aus Ländern, die die OECD als Entwicklungsländer einstuft, an österreichischen Universitäten, rund 3500 an Fachhochschulen. 

Serbien und Türkei als Hauptempfängerländer

Die österreichische ODA-Anrechnungspraxis führt dazu, dass auf dem Papier zuletzt etwa Serbien und die Türkei unter anderem wegen der indirekten Studienplatzkosten die Hauptempfängerländer der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit Österreichs waren. Die Anrechnung dieser Kosten ist im Rahmen des OECD-Regelwerks zur Berechnung der ODA-Quote erlaubt, doch nicht alle Mitgliedsstaaten tun dies. In der EU sind es laut des Berichts Aid Watch 2023 des europäischen NGO-Netzwerks Concord nur acht Länder, außer Österreich noch Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Portugal, Spanien und Slowenien. Unter ihnen meldete nur Slowenien mit zehn Prozent einen höheren Anteil an indirekten Studienplatzkosten an der ODA als Österreich.

Lukas Schlögl, Senior Researcher der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE), sagt, Österreich reize die Melderichtlinien voll aus, um den Eindruck eines möglichst hohen ODA-Volumens zu verstärken. Das zuständige Außenministerium rechtfertigt die Praxis damit, die indirekten Studienplatzkosten stellten „einen wichtigen Beitrag zum Kapazitätsaufbau in den Partnerländern dar“. Das Bundeministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung ermittle die Kosten in einem mehrstufigen Verfahren und melde sie gemäß den Richtlinien an die OECD.

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Schlögl bezweifelt indes, dass sich die gemeldeten Studienplatzkosten sämtlich entwicklungspolitisch begründen lassen, wie die OECD das verlangt. Dies wäre seiner Ansicht nur der Fall, wenn die Studierenden wieder in ihre Herkunftsländer zurückgehen und dort ihr erworbenes Wissen und ihre Fähigkeiten einsetzen. Dem Bildungsministerium zufolge wird nicht ermittelt, wie viele der Studierenden, deren Studienplatzkosten in die ODA-Quote einberechnet werden, nach ihrem Studium Österreich wieder verlassen; die OECD verlangt einen solchen Nachweis auch nicht. Das Ministerium verweist aber auf eine Auswertung aus dem Jahr 2021, die gezeigt habe, dass rund die Hälfte der ausländischen Masterabsolventinnen und -absolventen – Studierende aus Deutschland ausgenommen – fünf Jahre nach Studienabschluss nicht mehr in Österreich wohnhaft sind. Umgekehrt bedeutet das: Die Hälfte blieb in Österreich. 

Die Melderegeln sollten geändert werden

Das Kernproblem sieht Lukas Schlögl in einer Meldepraxis, die zwar formal den OECD-Regeln genügt, nicht aber deren Geist, dass die Studienplatzkosten entwicklungspolitisch relevant sein sollten. Der zuständige Ausschuss für Entwicklungshilfe (DAC) der OECD akzeptiere diese Praxis bislang. Schlögl sagt, der DAC sollte nur solche Studienplatzkosten akzeptieren, bei denen ein Transfer von Wissen und Fähigkeiten in den globalen Süden plausibel sei. 

Zu begrüßen ist laut Schlögl, dass Österreich von Studierenden aus vielen Ländern des globalen Südens keine Studiengebühren verlangt und dass es Kooperations- und Stipendienprogrammen wie APPEAR mit Partnerländern betreibt. Doch die auf die ODA angerechneten Studienplatzkosten sind deutlich höher als die Kosten dieser Programme und die Kluft wird größer: In den Jahren 2021 und 2022 sind die Studienplatzkosten um 14 Millionen Euro gestiegen, während die Ausgaben für Stipendienprogramme für Studierende aus Entwicklungsländern von neun auf vier Millionen Euro gesunken sind.

Die Anrechnung der Kosten von Studienplätzen ausländischer Studierender hat zur Folge, dass Mittel für Entwicklungshilfe in Österreich bleiben und nicht in den Partnerländern eingesetzt werden. Die OECD appelliert in einem Zwischenbericht zum Peer Review zu Österreich an die österreichische Regierung, sie solle im neuen entwicklungspolitischen Dreijahresprogramm die bilateralen Mittel auf die Schwerpunktländer der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit konzentrieren. Bisher ist noch kein neues Dreijahresprogramm beschlossen; das aktuelle läuft Ende des Jahres aus.

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