Von Extremwetter, traditionellem Saatgut und tiefen Brunnen

Zum Thema
Ein 45-jähriger indischer Bauer in Jeans und kariertem Hemd, mit langem grauem Bart und schwarzem Turban sitzt im Führerstand eines grünen Traktors vor der Wand eines strohgedeckten Hauses.
Jörg Böthling
Harpreet Singh ist 45 Jahre alt. Sein Familienbetrieb befindet sich in der Ortschaft Jodhan. Er bewirtschaftet eigene und gepachtete Flächen und ist mit seinen Geräten als landwirtschaftlicher Lohnunternehmer tätig.
Landwirtschaft
Überall auf der Welt haben Landwirte, Kleinbauern und Viehhirten mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Vier in der Landwirtschaft tätige Frauen und Männer aus Afrika, Indien und Brasilien erzählen, welche Probleme sie haben – und wie sie sie lösen wollen.

„Wir müssen immer tiefer nach Wasser bohren“

„Wir pumpen Wasser aus fast 80 Metern Tiefe hoch und sammeln es in einem Becken. Von dort bewässern wir über ein weit verzweigtes Kanalsystem unsere umliegenden Weizenfelder. Wenngleich das für meine Ernten gut ist, hat der überall im Punjab stattfindende Brunnenbau sehr schädliche Folgen. Fallende Grundwasserpegel bedeuten für viele Landwirte, dass sie noch tiefer und damit noch aufwendiger bohren müssen. Viele Geologen und Agrarexperten warnen mittlerweile vor einem Teufelskreis. Mir ist die Problematik durchaus bewusst, doch ich brauche ausreichend Wasser für meine 32 Hektar großen Äcker, auf denen ich in einem Jahr zwei Ernten einfahre, eine mit Weizen und eine mit Reis. In der Erntespitze arbeiten wir mit Saisonarbeitern regelmäßig in die Nacht hinein. 

In den Zeiten meines Vaters, der inzwischen nach Kanada ausgewandert ist und dort seinen Lebensabend verbringt, wurden auf unserem Hof außerdem noch 50 Kühe gemolken. Das ist jedoch vorbei. Denn auch in Punjab ist der Strukturwandel überall zu erkennen. Überall steigen die Land- und Pachtpreise unaufhörlich, während die Löhne auf sehr niedrigem Niveau dümpeln. Für viele junge Menschen im ländlichen Indien ist das ein Grund, ins Ausland zu emigrieren. Deshalb beobachte ich die Entwicklung kritisch. Auch die Erzeugerpreise sind sehr bescheiden, weshalb ich mich auch bei Protesten unter dem Slogan ‚No Farmer, No Food‘ beteilige.“

Aufgezeichnet von Dierk Jensen.

„Wir haben die indigene Landwirtschaft gerettet“

Jera Guarani, 43, gehört zur ethnischen Gruppe der Guarani. Ihr Dorf Tekoa Kalipe-Kalipety liegt im Tenondé-Porã-Indigenenland im äußersten Süden der Stadt São Paulo.

Früher hat unsere Dorfgemeinschaft auf einem winzigen Stück Land gelebt, und es gab keinen Platz, etwas anzupflanzen. Nachdem wir lange für unser Landrecht gekämpft hatten, hat die Regierung uns dann vor zehn Jahren ein größeres Stück Land zugestanden – 16.000 Hek­tar. Nach diesem Sieg mussten wir uns erst einmal wieder neu auf unsere traditionellen Nahrungsmittel besinnen. Denn dadurch, dass wir jahrzehntelang kein Getreide, Gemüse und Obst anbauen konnten, waren sie für uns verloren. Mit Unterstützung der Regierungen von São Paulo und Brasilien haben wir damit begonnen, nach Guarani-Saatgut zu suchen. Wir nehmen an Messen teil und reisen nach Paraguay, Argentinien und in die brasilianischen Bundesstaaten Paraná, Rio Grande do Sul und Rio de Janeiro, wo traditionelle Gemeinschaften und Kleinbauern gentechnikfreie Samen und Setzlinge austauschen. So ist es uns gelungen, 50 Kartoffel­sorten, 10 Maissorten, Erdnüsse, Bananen und viele andere Arten, die andernorts weiter gezüchtet wurden, in unser Volk zurückzuholen.

Heute verteilen wir das Saatgut auch an andere Dörfer, an Quilombolas, also die schwarzen Gemeinschaften, die Nachkommen der früheren Sklaven sind, und an Kleinbauern. Wir lassen uns von ihnen garantieren, dass sie das Saatgut nicht kommerziell verwerten, denn in unserer Kultur ist es verboten, Nahrungsmittel zu verkaufen. Die Samen sind Teil unserer Spiritualität. Es ist uns gelungen, wieder unsere Identität zu stärken, die Gemeinschaftsarbeit auf dem Land zu retten und uns selbst um unsere Gesundheit, unsere Spiritualität und unsere Ernährung zu kümmern. 

Aufgezeichnet von Sarah Fernandes. 

„Extremwetter ist inzwischen an der Tagesordnung“

Felix Kamassah, 44, ist Eigentümer des Unternehmens Maphlix Trust, das auf über 100 Hektar Ackerland in der ghanaischen Voltaregion alle Arten von Gemüse anbaut.

Schon immer habe ich davon geträumt, den Agrarsektor in Ghana zu verändern. 2013 habe ich meinen Job bei einer Bank aufgegeben, um die heute größte Gemüsefarm Westafrikas zu gründen. Wir exportieren frisches Gemüse wie Kartoffeln, Tomaten, Chili­schoten, Ingwer und Okra, aber auch Früchte in andere Teile Afrikas sowie nach Europa, Asien und die USA. 

So weit zu kommen, war nicht leicht. Das Wetter ist unberechenbar, wir kämpfen gegen Schädlinge und Pflanzenkrankheiten. Zudem mangelt es uns an Bewässerungsanlagen, aber auch an Maschinen und Werkzeugen. Das schmälert unsere Ernte. Und wir sind auf teures Saatgut und Düngemittel angewiesen. Manchmal verlieren wir auch Teile unserer Ernte, weil wir sie nicht richtig lagern können und sie verderben. Deshalb baue ich gerade neue, große Lager auf meinem Gelände. 

Ich habe dafür gesorgt, dass wir unsere Produkte wöchentlich abtransportieren und so direkt nach der Ernte exportieren können. Dafür muss ich aber hohe Frachtkosten bezahlen und Gebühren für Zertifizierungen. Über die Preise, die wir für unsere Produkte erhalten, haben wir leider wenig Kontrolle, so ist das Einkommen unsicher.

Ich glaube, dass Technologie die Landwirtschaft verändern kann. Zum Beispiel habe ich Gewächshäuser mit einem ausgefeilten Bewässerungssystem, und ich will noch mehr in Drohnen zur Überwachung der Pflanzen oder in Smartphones für Marktdaten investieren. 
Leider ist Extremwetter inzwischen an der Tagesordnung. Erst im Mai hat Starkregen zum Verlust von Erzeugnissen und Anlagen im Wert von über 1,5 Millionen Dollar geführt. Aber ich will nicht aufgeben, auch weil meine Farm Hunderte von Ghanaern entlang der Wertschöpfungskette beschäftigt. Die Farm ist die Lebensgrundlage für mich und meine Arbeiter. 

Aufgezeichnet von Isaac Kaledzi. 

„Viele Bauern und Hirten sind aus ihren Dörfern geflohen“ 

Abdullahi Babayo, 43, ist Fulani-Rinderhirte in Nigeria

Wie viele andere Angehörige der Fulani-Volksgruppe komme ich aus einer Familie, in der die Viehzucht eine lange Tradition hat. Das ist unsere Kultur. Ich habe schon vor meiner Einschulung damit begonnen, Rinder großzuziehen. Eine meiner Kindheitserinnerungen ist, dass Hirten und Bauern friedlich zusammenlebten. Es schmerzt mich, dass diese Beziehung nun zerbrochen ist.

Teilweise ist dafür der Klimawandel verantwortlich, der der Region Dürre und Regenmangel gebracht hat. Rinderhirten und Bauern finden sich in einem erbitterten Konflikt um fruchtbares Land, der jedes Jahr Hunderte Menschenleben fordert. Einige Fulani haben die Viehzucht aufgegeben und bewaffnete Gruppen gebildet, die Bauern und Hirten töten und deren Vieh stehlen. Viele Bauern und Hirten sind aus ihren Dörfern geflohen. Ich selbst habe den Großteil meiner Kühe verkauft, um sie nicht an Viehdiebe zu verlieren. 

Wer wird Lebensmittel für Nigeria produzieren, wenn viele Viehhirten und Bauern es nicht mehr tun? Sie gehören zu den wichtigsten Akteuren im Agrarsektor. Die Regierung meines Bundesstaates Niger arbeitet daran, Weidereservate einzurichten, damit Viehhirten nicht mit Bauern um Land streiten. Doch die Unsicherheit hat unsere Fulani-Tradition unterbrochen, das Wissen der Viehhirten über Generationen hinweg weiterzugeben. Denn wenn das Viehgeschäft nicht läuft, kann ich die Fertigkeiten, die ich von meinem Vater gelernt habe, nicht an meine Kinder weitergeben.

Aufgezeichnet von Sam Olukoya. 

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Schiff aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.
erschienen in Ausgabe 4 / 2024: Zurück zu den Wurzeln?
Dies ist keine Paywall.
Aber Geld brauchen wir schon:
Unseren Journalismus, der vernachlässigte Themen und Sichtweisen aus dem globalen Süden aufgreift, gibt es nicht für lau. Wir brauchen dafür Ihre Unterstützung – schon 3 Euro im Monat helfen!
Ja, ich unterstütze die Arbeit von welt-sichten mit einem freiwilligen Beitrag.
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!