Die Zyklen der Gewalt durchbrechen

AFP via Getty Images
Kriegsschauplatz Khartum: Im Juni 2023 inspiziert ein Mann ein zerstörtes Haus in der sudanesischen Hauptstadt. Seitdem hat sich der Krieg auf große Teile des Landes ausgeweitet.
Krieg im Sudan
Der Sudan steht am Abgrund, Millionen Menschen sind auf der Flucht vor den brutalen Kämpfen zwischen der Armee und der RSF-Miliz. Hätte sich die internationale Gemeinschaft stärker engagiert und wäre die zivile Elite weniger naiv gewesen, hätte der Krieg vielleicht verhindert werden können.

Hala al-Karib ist eine Feministin und Demokratie-Aktivistin aus dem Sudan und seit 20 Jahren am Horn von Afrika und im Sudan tätig. Sie ist die Regionaldirektorin der Strategischen Initiative für Frauen am Horn von Afrika (SIHA).

Vor fünf Jahren herrschte im Sudan Optimismus angesichts eines möglichen Übergangs zu Demokratie und Stabilität. Heute hingegen ist das Land Schauplatz von Gräueltaten und Blutbädern, es herrschen Hunger und Krankheiten. Der gewaltsame Konflikt weitet sich aus, und die Zahl der zivilen Opfer könnte 30.000 übersteigen. Wir haben das Gefühl, dafür bestraft zu werden, dass wir mit friedlichen Mitteln Demokratie und Frieden erreichen wollten.

Das geopolitische Umfeld war für die sudanesische Demokratiebewegung nicht günstig. Die meisten Nachbarstaaten standen der Möglichkeit eines demokratischen Wandels im Sudan misstrauisch gegenüber und wollten die Geschichte von Gerechtigkeit und Freiheit anhalten, bevor sie in der Region ansteckend würde.

Am 15. April 2023, als der Krieg zwischen der RSF-Miliz und den sudanesischen Streitkräften begann, fand sich das sudanesische Volk zwischen brutalen bewaffneten Milizen, einem schwachen und korrupten Militär und lokalen politischen Kräften gefangen, die polarisiert und nicht darauf vorbereitet waren, das Ausmaß der Krise zu bewältigen oder auch nur zu begreifen.

Gegen Ende seiner Diktatur im Jahr 2019 begann Omar al-Bashir das Vertrauen in seine Verbündeten zu verlieren und arbeitete daraufhin an der Schwächung der sudanesischen Armee. Gleichzeitig verstärkte er sein Bündnis mit den Dschandschawid/RSF, der berüchtigten Stammesmiliz, die seit 2003 maßgeblich an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen war. Al-Bashir stand dem RSF-Kommandeur Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemedti) so nahe, dass er begann, ihn mit dem Spitznamen „Hemaity, mein Beschützer“ anzusprechen. Diese kriminelle Allianz basierte auf der Erpressung von Ressourcen und auf illegalen Geschäften.

Die unheilvolle Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate

Am Morgen des 11. April 2019, als das Al-Bashir-Regime gestürzt wurde, schauten mehrere bewaffnete Gruppen im Land genau hin, um zu sehen, was sie gewinnen konnten. Aufgrund ihrer historischen Beziehung zum Militär ging die damalige islamistische Regierungspartei NCP davon aus, dass ein reibungsloser Machtwechsel ihre Kontrolle über die nationale Wirtschaft nicht beeinträchtigen würde. Dies war eine Fehleinschätzung, denn die Bevölkerung hatte sich mit Nachdruck gegen die NCP und die meisten anderen regionalen Kräfte gewandt.

Die Nachbarn des Sudan und andere Länder, die mit dem Regime von al-Bashir vertraut waren, verfolgten die Ereignisse rund um die Revolution von 2019 aufmerksam und wägten ihre Optionen für mögliche künftige Allianzen ab. Unter ihnen kristallisierten sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten als wichtige Spieler heraus. Vor allem die ägyptische und die sudanesische Armee waren eng miteinander verbunden, da sie vor der vollständigen Unabhängigkeit des Sudan von der gemeinsamen ägyptischen und britischen Herrschaft im Jahr 1956 eine gemeinsame Truppe gebildet hatten. 

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Die VAE mischen erst seit den 1970er und 1980er Jahren im Sudan mit, als sudanesische Fachkräfte als Beamte und Technokraten die wachsende Wirtschaft der Emirate unterstützten, vor allem im Bausektor. Später entwickelten die VAE und das Königreich Saudi-Arabien ganz andere Beziehungen zum Sudan, als das Al-Bashir-Regime begann, Soldaten für die saudi-emiratische Intervention in den Bürgerkrieg im Jemen zu liefern. Die VAE beobachteten jedoch aktiver die politische Szene im Sudan und schmiedeten Allianzen mit den neu entstehenden Kräften dort.

Die Erpressung von Gold und anderen Ressourcen durch die RSF, die anschließend in die Emirate ausgeführt werden, hat die Position der Miliz als bevorzugter Verbündeten der VAE gestärkt. Die Emirate haben nach 2019 auch Allianzen mit zivilen Kräften im Sudan geschmiedet, in der Hoffnung, dass diese als eine Art Führungskraft für die Miliz fungieren und sie selbst ihren Einfluss in der zivilen Elite stärken und so ihre strategische Allianz mit der RSF konsolidieren könnten.

Die Ignoranz der Internationalen Gemeinschaft

Wäre der Übergang im Sudan ernsthaft und umfassend politisch unterstützt worden, hätte der Krieg vielleicht verhindert werden können. Leider war das nicht der Fall. Die internationale Gemeinschaft hat sich nach dem Sturz von Omar al-Bashir kaum und nur oberflächlich engagiert und die Komplexität des drittgrößten Landes Afrikas heruntergespielt. Diese Ohnmacht und Gleichgültigkeit internationaler Kräfte, gepaart mit einer gefährlichen militärischen Aufrüstung einerseits und den begrenzten Kapazitäten der zivilen Mitglieder der Übergangsregierung andererseits, haben sich in dem schlecht ausgearbeiteten Abkommen über die Machtteilung niedergeschlagen – dem Abkommen, das es sowohl SAF-General Abdel Fattah al-Burhan als auch RSF-Führer Hemedti ermöglicht hat, die Oberhand zu behalten.

Darüber hinaus hat die zivile Regierung einen großen Fehler begangen, indem sie es versäumt hat, al‑Bashir und andere wichtige Mitglieder seines Regimes zur Rechenschaft zu ziehen oder sie auf der Grundlage der 2008 erhobenen Anklage an den Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern. Das hätte den zivilen Akteuren damals helfen können, die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen und sich als Kräfte des Wandels zu etablieren. Nichts von alledem ist geschehen, und deshalb ist die RSF immer selbstbewusster geworden, während sie weiterhin ungestraft Gräueltaten begeht.

General al-Burhan wiederum glaubte, RSF-Führer Hemedti würde ihm weiterhin als Beschützer dienen – ähnlich, wie er es für al-Bashir getan hatte. Gleichzeitig ging das zivile Kontingent der Übergangsregierung davon aus, dass die RSF helfen würde, die Macht der politischen Islamisten im Sudan, einschließlich der Armee, zu beschneiden. Beide – die zivilen Kräfte und Burhan – haben es versäumt, die wachsende Autorität der RSF und die von ihrer Führung erlangte Macht in Frage zu stellen. 

Die Fehler der zivilen Kräfte

So nutzte die RSF-Führung die Schwächen der militärischen und zivilen Eliten aus und wurde zur stärksten Kraft, was vor allem auf ihre Brutalität und die Unterstützung durch die VAE zurückzuführen ist. Die RSF hat dem Sudan nichts weiter zu bieten als eklatante Zerstörungen und Gräueltaten, die in der sudanesischen Bevölkerung Hass und Ablehnung hervorrufen.

Es ist verwunderlich, dass viele zivile Politiker im Sudan und einige internationale Akteure das anhaltende Blutvergießen als eine rein politische Krise betrachten. Sie scheinen zu glauben, dass die beiden Generäle die Lösung in der Hand haben. Sie hoffen daher, die alte Formel der Machtteilung würde neu angewandt, nach der die Sitze am politischen Tisch für die Männer in Uniform reserviert sind, die für die Gewalt und die Gräueltaten verantwortlich sind, während einige untergeordnete Zivilisten zugefügt werden, um dem Anspruch des politischen Übergangs zu genügen. Meiner Meinung nach ist jedes Abkommen über die Machtteilung, das die alten Gesichter zurückbringt, ein Rezept für den Krieg.

Für jede politische Neuordnung des Sudan müssen der militarisierte Zustand des Landes als Ursache für seine Instabilität betont und die Rechte der sudanesischen Bürgerinnen und Bürger auf Mitsprache bei der Führung ihres Landes geachtet werden. In den sudanesischen Teilstaaten außerhalb der Regionen, in denen gekämpft wird, schwebt zivilen Kräften eine Zukunft mit mehr regionaler Souveränität und Selbstbestimmung vor. Die Realität ist, dass der Sudan nach diesem brutalen Krieg nicht mehr dasselbe Land sein wird. Deshalb müssen wir vorausschauend planen, um zu verhindern, dass sich dieselben Zyklen der Gewalt wiederholen.

Aus dem Englischen von Tillmann Elliesen.

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