Neues Europaparlament, neue Entwicklungspolitik?

picture alliance / Hans Lucas/Union Europeenne
Charles Goerens, Europaparlamentarier der liberalen Renew-Gruppe, sorgt sich um die Integrität der EU-Entwicklungspolitik. Aus derem Budget wird zunehmend Geld für andere Zwecke abgezwackt, etwa für Migrationspolitik.
Brüssel
Diese Woche wählen die Europäer ein neues Parlament, im Herbst wird es eine neue EU-Kommission geben. Was bedeutet das voraussichtlich für die Entwicklungspolitik der Europäischen Union in den kommenden Jahren?

Demoskopen rechnen damit, dass bei den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament rechtsgerichtete und populistische Parteien wie die AfD zulegen werden – auf Kosten vor allem linker Parteien und der Grünen. Fachleute sehen die Gefahr, dass als Folge die EU-Entwicklungspolitik noch stärker als bisher an europäischen Interessen wie der Begrenzung von Migration und weniger an globalen Aufgaben wie den Kampf gegen Hunger und Armut ausgerichtet werden könnte. „Das Problem ist, dass die Parteien der Mitte derzeit keine Idee oder Vision für europäische Entwicklungspolitik anzubieten haben. Rechtspopulistische Parteien könnten dann mit ihren Vorstellungen die Lücke füllen und den Diskurs bestimmen“, sagt Christine Hackenesch von der entwicklungspolitischen Denkfabrik IDOS in Bonn.

Genau darauf setzen die Rechtspopulisten. Bernhard Zimniok, der für die AfD im Europäischen Parlament sitzt und bis zum Ausschluss seiner Partei aus der Fraktion für die rechtsextreme Identity and Democracy (ID) die Arbeit im Entwicklungsausschuss koordiniert, sagt, in Deutschland hätten andere Parteien bereits „aus Panik“ rechtsgerichtete Positionen übernommen. Das werde im übrigen Europa ebenso geschehen. Die großen Parteien müssten hungrige Wähler mit einem wechselnden Geschmack zufriedenstellen, sagte Zimniok dem Onlinedienst „Devex“: Die anderen Parteien wüssten, „dass sie den Tiger füttern müssen, wenn sie nicht von ihm gefressen werden wollen“. Gegenüber „Devex“ regte sich Zimniok darüber auf, dass sich zu viele Europaparlamentarier „mehr um den Rest der Welt kümmern als um Europas Bürger“.

Solche Position könnten auch bei gemäßigten Parteien auf Akzeptanz stoßen und die Entwicklungspolitik der Union künftig stärker an eigenen Interessen orientiert sein, fürchtet neben der IDOS-Wissenschaftlerin Hackenesch auch der EU-Entwicklungspolitiker Charles Goerens von der liberalen Renew-Fraktion. Erst kürzlich hat die EU im Rahmen ihrer Halbzeitbilanz des Haushalts 2021–2027 die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit um zwei Milliarden gekürzt und das Geld unter anderem in Programme zur Kontrolle von Migration umgeschichtet. Das sei möglicherweise erst der Anfang, sagte Goerens zu „Devex“

Migrationspolitik auf Kosten von Entwicklungspolitik

Nach geltenden Regeln darf Brüssel nicht mehr als zehn Prozent des Haushalts für Nachbarschaft und Internationale Zusammenarbeit (NDICI) für die Kontrolle von Migration ausgeben. Dieses Limit sei ein naheliegendes Angriffsziel rechtspopulistischer Parteien, sagte Goerens. Das sei „sehr gefährlich für die künftige Entwicklungspolitik, denn diese soll doch Probleme in Entwicklungsländern und nicht in den reichen Ländern lösen helfen“. Laut „Devex“ hat die EU bereits in den Jahren 2021 und 2022 das Limit von zehn Prozent gerissen und jeweils 14 Prozent der NDICI-Mittel für die Migrationskontrolle ausgegeben. Die Grünen im Europäische Parlament haben den Europäischen Rechnungshof angerufen, er möge die Angelegenheit untersuchen, berichtet „Devex“.

Einem möglichen Rechtsruck gelassener entgegen sieht der schwedische Europaparlamentarier Tomas Tobé von der Fraktion der Europäischen Volkspartei, zugleich Vorsitzender des Entwicklungsausschusses des Parlaments. Es werde sich nach den Wahlen nicht viel ändern, sagte er zu „Devex“. Die EU-Entwicklungspolitik habe sich bereits in den vergangenen zehn Jahren stark gewandelt – weg von einer Geber-Nehmer-Mentalität und hin zu einem partnerschaftlichen Ansatz, bei dem alle Beteiligten ihre Interessen einbringen. Sie stehe auf einem soliden Fundament. Es gehe schon längst nicht mehr nur um Armutsbekämpfung. Manchen mache das Sorge, sagte Tobé, „aber ich denke, sie müssen sich an die neue Situation anpassen“.

Mit Blick auf Global Gateway, die vor drei Jahren gestartete EU-Initiative für Infrastruktur-Investitionen in Afrika, Asien und Lateinamerika, sieht Niels Keijzer vom IDOS-Institut das ähnlich. Global Gateway sei nicht der entwicklungspolitische Paradigmenwechsel, als der die Initiative oft dargestellt werde. „Mit Global Gateway hat die EU im Wesentlichen die Art geändert, wie sie über ihre Entwicklungspolitik spricht. In der Praxis ist vieles gleich geblieben.“ Ein grundlegender Wandel habe bereits vor rund 15 Jahren stattgefunden, als Brüssel den Fokus verstärkt auf die Mobilisierung von Privatkapital für die Entwicklungsfinanzierung und auf die Mischung von öffentlichem und privatem Geld (blending) gerichtet habe. Keijzer: „Die Entwicklungspolitik ist schon lange geopolitisch orientiert. Neu ist, dass die EU es jetzt zugibt.“

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