Im Meer baden wird zahlungspflichtig

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Zwei Touristinnen in Badebekleidung sitzen an einem Strand in der Karibik im Wasser, hinter ihnen mit etwas Abstand ein Souvenirverkäufer in einem gelben Schlauchboot, ganz im Hintergrund stehen Wasserbungalows auf Stelzen im Meer.
Sandra Weiss
Touristinnen am Strand eines Hotels von Montego Bay. Souvenirver­käufer dürfen nur per Boot vom Meer kommen und das Boot nicht verlassen.
Privatisierung von Meeresstrand
In der Karibik sind die schönsten Strände von Hotels und Superreichen privatisiert worden – zum Teil dank Gesetzen aus der Kolonialzeit. Dagegen regt sich jetzt Widerstand, unter anderem von Bob Marleys Kindern.

Luis López lenkt sein Auto vorsichtig über die versandete, mit Schlaglöchern übersäte Straße außerhalb von Miches, einem Fischerdorf im Osten der Dominikanischen Republik. Links eine türkisblaue, palmenbestandene, geschwungene Bucht, rechts ein Hain mit Kokospalmen. Doch beide Seiten sind mit einem Zaun abgetrennt. Plötzlich zweigt ein Feldweg in Richtung Strand ab. Baulaster wirbeln Staub auf, dunkelhäutige Arbeiter in gelb-orangenen Westen und Bauhelmen stehen vor einem Tor. „Haitianer“, sagt López. „Die sind billiger, vor allem diejenigen, die keine Papiere haben.“ Auch er habe früher auf dem Bau gearbeitet, aber das lohne sich nun nicht mehr, deshalb fahre er lieber Taxi. 

Der Taxifahrer Luis Lopez am Esmeralda-Strand von Miches in der Dominikanischen Republik, zu dem es nur noch einen öffentlichen Zugang gibt.

An der Playa Esmeralda, dem Traumstand außerhalb von Miches, schießen reihenweise neue Hotelkomplexe aus dem Boden. Die lokale Bevölkerung hofft auf einen wirtschaftlichen Aufschwung – doch momentan erlebt sie nur, wie sie immer mehr Land verliert. Denn kaum beginnt ein Immobilienprojekt, wird das Grundstück eingezäunt und bewacht. Erst nach gut fünf Kilometern hört der Zaun an einer Landzunge auf. 

Luis López parkt seinen Kleinwagen im Schatten unter einer Palme. Es ist der einzige noch verbliebene öffentliche Zugang zur Playa Esmeralda. Ein Ort wie aus dem Bilderbuch: Die Bucht ist leicht geschwungen und von grünen Hügeln gesäumt. Am weißen Sandstrand sorgen Kokospalmen für Schatten, das Wasser leuchtet türkisblau. An diesem Samstag im März haben nur wenige Besucher hierher gefunden. 

Noch kann man um die Landzunge herumlaufen. Doch nach ein paar hundert Metern kommt schon wieder ein Zaun. Dahinter haben Bagger große Sandberge aufgehäuft. Demnächst wird dort das Tropicalia-Resort gebaut. López fürchtet, dass damit dann der letzte Zugang zum Strand verlorengeht. „Unsere Politiker haben versprochen, dass das nicht passieren wird, aber wir sind wachsam“, sagt er. 

Preis der Übernachtung: mehr als ein hiesiger Mindestlohn

An der Straße zurück Richtung Miches liegen exklusive Resorts wie der Club Med und das Sunrise. Von der Straße aus sind sie nicht einzusehen, und biegt man in die Auffahrt, stoppen schon bald Schranken, Mauern und private Sicherheitsleute neugierige Passanten. Zugang zu diesen All-inklusive-Resorts erhält nur, wer eine Reservierung hat. Wo die Laster ein- und ausfahren, investiert das venezolanische Immobilienunternehmen Cisneros Real Estate 200 Millionen US-Dollar in ein neues Four-Seasons-Luxushotel, das 2026 fertig sein soll. 

Autorin

Sandra Weiss

ist Politologin und freie Journalistin in Mexiko-Stadt. Sie berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksender aus Lateinamerika.

Zwischen 200 und 500 US-Dollar kostet eine Übernachtung für zwei Personen in solchen Luxusresorts. Luis López wird sich das nie leisten können. Der Mindestlohn in der Dominikanischen Republik liegt bei rund 200 US-Dollar pro Monat. Viele haitianische Bauarbeiter verdienen noch weniger, denn wer illegal im Land ist, kann sich nicht beschweren. Die Regierung schiebt Haitianer ohne Papiere rigoros ab. Mit dem Mindestlohn komme man nicht mehr über die Runden, sagt López. „Das Leben ist seit der Pandemie teuer geworden, aber die Löhne sind nicht gestiegen.“ 

Im neuen Four-Seasons-Hotel in Miches sollen den Investoren zufolge 400 Arbeitsplätze entstehen. López hofft, dass vielleicht eines seiner Kinder dort eine Anstellung findet. „Denn hier gibt es sonst nicht viel Arbeit. Der Fischfang ist zurückgegangen, davon können wir nicht mehr leben.“ Dass für den Tourismus immer mehr Strände privatisiert werden, sei eben der Preis des Fortschritts, sagt er und zuckt mit den Schultern. 

Er ist nicht der einzige, der so denkt. Die Cisneros-Gruppe finanziert Kulturveranstaltungen und Bildungsprojekte, Müllsammelaktionen und Sommercamps in Miches. Es ist ein kleiner Trostpreis für die lokale Bevölkerung. Aber nicht alle geben sich damit zufrieden. „Die schönsten Ecken in unserem Land stehen zum Ausverkauf, und wir Einheimische werden immer weiter verdrängt“, kritisiert die Frauen- und Umweltaktivistin Sergia Galván. Dabei garantiere die Verfassung freien Zugang zu den Stränden, die Staatsbesitz sind und nicht privatisiert werden könnten, schimpft sie. 
In 15 Jahren sind rund 200 neue Hotels dazugekommen

Gummiparagraf schützt Investoren-Privilegien

Der entsprechende Artikel war 2009 nach Protesten in die Verfassung aufgenommen worden – doch ins Ausführungsgesetz schmuggelte die unternehmerfreundliche Regierung folgenden Gummiparagrafen: „Innerhalb des öffentlichen Bereichs der Strände muss das Privatrecht respektiert werden.“ Der damalige Präsident Leonel Fernández betonte, das Land brauche den Tourismus, und seine Regierung werde die Privilegien der ausländischen Investoren nicht beschneiden. 

In den 15 Jahren seit der Verfassungsänderung sind rund 200 neue Hotels landesweit hinzugekommen. Hundert Kilometer der schönsten Strände sind Aktivistinnen zufolge inzwischen nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich. Wo die Investoren kommen, steigen bald Mieten und Lebensmittelpreise, hat Galván beobachtet. Das vertieft die soziale Kluft zusätzlich, denn wer sich das nicht mehr leisten kann, zieht weg. Derzeit kostet in Miches beispielsweise ein Fischgericht noch 35 Prozent weniger als in der 80 Kilometer entfernten Touristenhochburg Punta Cana. Der Kampf um den Zugang zu den Stränden ist daher auch ein Kampf gegen die Gentrifizierung.

2022 haben Aktivisten und Aktivistinnen eine Kampagne für ein Gesetz gestartet, um den Zugang zu den Stränden des Landes ein für alle Mal zu sichern. Der Vorschlag sieht vor, dass Hotels und private Besitzer von Ufergrundstücken ein Wegerecht zum Strand einräumen müssen. Andernfalls drohen hohe Geldstrafen. 35 Abgeordnete diverser Parteien von insgesamt 190 unterstützen den Vorschlag. Doch er kommt nicht voran, denn der Hotelverband Asonahores macht Druck. Die Einheimischen belästigten die Urlauber, sagen sie. Der Tourismus, der fast ein Fünftel zum Wirtschaftsaufkommen der Dominikanischen Republik beiträgt, würde durch solche Vorschriften Schaden nehmen.

Eine Villa versperrt den Weg zum Naturerbe

Dieser Konflikt wiederholt sich gerade in vielen Varianten in der ganzen Karibik. Auf der Insel Canouan, die zu St. Vincent und Grenadinen gehört, etwa liegen Einwohner im Clinch mit den Luxushotels im Norden, die die schönsten Strände vereinnahmt haben. Nach Vermittlung der Regierung sollen die Einheimischen zwar an die Strände dürfen, müssten sich aber vorher anmelden und dürften zur Anfahrt ausschließlich Golfkarts oder einen hoteleigenen Bus benützen. In St. Lucia hat die Regierung ein Stück Land verkauft, das an zwei markante Vulkangipfel angrenzt, die Unesco-Weltnaturerbe sind. Der kanadische Multimillionär Geoffrey Robillard hat dort eine Villa errichten lassen, die den Blick und den Zugang zu dem beliebten Wahrzeichen versperrt, und damit Empörung ausgelöst.

In Antigua und Barbuda führte 2017 der Barbuda Beach Club zu Streit. Wie Anwohner berichten, begann der US-Milliardär John Paul DeJoria kurz nach der fast kompletten Zerstörung der Infrastruktur durch den Hurrikan Irma mit dem Bau. Zu diesem Zeitpunkt war die Insel Barbuda noch evakuiert. Man habe sie vor vollendete Tatsachen gestellt, beschwerten sich die Anwohner nach ihrer Rückkehr. Eine Gruppe von UN-Experten erklärte 2022, der Bau habe den örtlichen Feuchtgebieten und der Tierwelt geschadet. Zudem sei unklar, ob die Bewohner in vollem Umfang konsultiert worden seien. „So schafft man Luxusenklaven für das Privatvergnügen von Superreichen, während die lokale Bevölkerung ausgeschlossen wird“, kritisiert der dort lebende Umweltaktivist und Meeresbiologe John Mussington. 

Anders sieht das Ronald Sanders, der Botschafter von Antigua und Barbuda in den USA. Die Steuern auf private Luxusimmobilien und die Geschäfte von Superreichen, die mit Privatjets einflögen, hätten geholfen, den Tourismuseinbruch während der Pandemie abzufedern, sagt er. „Der Luxustourismus ist der Tourismus der Zukunft für die Karibik.“ 

Bob Marleys Kinder sind vor Gericht gezogen

In Jamaika haben sich inzwischen die Erben des Reggaesängers Bob Marley eingeschaltet. Wenn Marley Entspannung suchte, ging er oft mit seiner Band nach Bull Bay östlich der jamaikanischen Hauptstadt Kingston. Deshalb ist der Strand mit dem schwarzen Sand nach dem verstorbenen Sänger benannt und unter den Anhängern der Rasta­fari-Tradition eine Art Wallfahrtsort. Ein anliegendes Gelände an der einzigen Zufahrtstraße ist nun an Investoren der in Großbritannien ansässigen Woof-Gruppe verkauft worden, die dort ein Luxushotel bauen wollen. Anwohner und Rastafaris fürchten, dass ihnen dadurch der Zugang zum Strand versperrt wird und einige der dort niedergelassenen Rastafaris und Fischer ihre Bleibe verlieren. 

Zwei der prominentesten Kinder Marleys, sein Sohn Ziggy und seine Tochter Cedella, haben sich der Bewegung angeschlossen, die sich Jabbem nennt und für den Schutz, die Bewahrung und den Zugang der Strände der Insel kämpft. Zusammen mit der Vereinigung der jamaikanischen Surfer ist Jabbem nun im Mai 2023 vor Gericht gezogen und fordert eine Garantie von Investoren und dem Staat, dass der freie Zugang zum Strand erhalten bleibt. Hoteliers halten dagegen: Die Abschottung diene der Kontrolle, Sicherheit und Ruhe der Gäste vor Belästigungen durch fliegende Händler oder als Schutz vor gefährlichem Wassersport wie Jetski. Sie weisen zudem auf die hohe Kriminalitätsrate hin. Jamaika war 2023 mit 60,9 Morden auf 100.000 Einwohner das zweitgefährlichste Land Lateinamerikas nach der Karibikinsel St. Kitts and Nevis

Ein noch aus der britischen Kolonialzeit stammendes und noch immer geltendes Gesetz über Land-, See- und Fischereirechte von 1956 sieht auf Jamaika keinerlei allgemeines Zugangs- oder Baderecht für Strände vor. Während der Kolonialzeit wurde unter Berufung darauf schwarzen Sklaven der Zugang zu Stränden untersagt. Jabbem kritisiert dies deshalb als rassistisches, diskriminierendes Überbleibsel, das dringend durch ein modernes Gesetz ersetzt werden müsse. Die Petition ist an Premierminister Andrew Holness und an König Charles gegangen, der nominell Staatsoberhaupt des Commonwealth-Landes ist. Holness hat sich der Forderung verbal angeschlossen; bislang sind jedoch keine Taten gefolgt.

Ziggy Marley fordert auf Instagram seine Landsleute auf, die Kampagne zu unterstützen. Nicht jeder könne es sich leisten, für ein Bad im Meer oder am Fluss Eintritt zu bezahlen. Außerdem würden für Immobilienprojekte Menschen vertrieben, und Fischer verlören ihren Lebensunterhalt. 
Sogar für Touristen ist die Privatisierung manchmal unangenehm. Die Kontrolle geht an den Stränden von Montego Bay im Norden so weit, dass selbst Gästen aus dem Nachbarhotel – oft erkennbar am bunten All-inclusive-Plastikbändchen – der Zutritt zum Strand daneben verweigert wird, was Strandspaziergänge ziemlich unerfreulich macht. Fliegende Händler finden trotzdem einen Weg, ihre Souvenirs feilzubieten: Sie beladen kleine Holzboote und kommen übers Meer fast bis ans Ufer.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2024: Wer hat, dem wird gegeben
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