Zuhören, Unterstützen, Wiederaufbauen

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Die Kinder in der Ukraine erleben Gewalt, Not und den Zerfall schützender Strukturen. Wer das Land wieder aufbauen möchte, muss vor allem sie stärken, meint Katrin Weidemann, Vorsitzende der Kindernothilfe.

Katrin Weidemann ist Vorsitzende der Kindernothilfe.

Seit über zwei Jahren sind für die Kinder in der Ukraine Unsicherheit und Zerstörung allgegenwärtig. Schützende gesellschaftliche Strukturen wie Nachbarschaft, Schule oder die erweiterte Familie sind oftmals zerbrochen, Bombenalarm, Luftschutzkeller und Gewalt prägen ihren neuen Alltag. Eine besonders schlimme Auswirkung des Krieges, den Russland der Ukraine aufgezwungen hat, ist sexualisierte Gewalt – auch gegen Kinder. Die Angreifer setzen sie gezielt als Kriegsstrategie gegen die Zivilbevölkerung ein, um möglichst großen Schaden anzurichten und Macht zu demonstrieren. Laut den Vereinten Nationen ist sexualisierte Gewalt eine der sechs schwerwiegendsten Kinderrechtsverletzungen in Gewaltkonflikten.  

Mit unserer im Februar erschienenen Studie „Kindern ermöglichen, darüber zu sprechen“ haben wir als Kindernothilfe das Thema der sexualisierten Gewalt gegen Mädchen und Jungen in der Ukraine aufgegriffen. Wir haben dazu 15 Interviews geführt: mit Mitgliedern von Organisationen in der Ukraine, die mit betroffenen Kindern arbeiten und sie unterstützen, aber auch mit weiteren Fachleuten, etwa der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft. Die Ergebnisse zeigen das Ausmaß der Gewalt. 

Das jüngste Opfer ist vier Jahre alt

Die Auswirkungen auf die Betroffenen und ihre Familien sind vielschichtig und reichen von körperlichen Verletzungen bis hin zu langfristigen psychischen Belastungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen. So berichtet die Ukraine-Untersuchungskommission der UN von Vergewaltigungen durch russische Soldaten. Das jüngste Opfer sei gerade einmal vier Jahre alt gewesen. Die ukrainische Staatsanwaltschaft hat eine eigene Abteilung eingerichtet, die sich mit konfliktbezogener sexualisierter Gewalt befasst – hier wurden bisher 13 Fälle gegen Kinder registriert. Im Jahr 2023 dokumentierte die Staatsanwaltschaft zudem 915 Fälle allgemeiner sexualisierter Gewalt gegen Kinder in der Gesamtbevölkerung der Ukraine. Denn in der gesamten Gesellschaft steigt durch den Gewaltkonflikt die sexualisierte Gewalt: durch den gesellschaftlichen Krisenmodus, das Absinken der Hemmschwellen  und Fluchtbewegungen. Die Dunkelziffer ist dabei laut Staatsanwaltschaften noch viel höher. Das liegt zum einen daran, dass vielen Betroffenen in der Ukraine zunächst nicht bewusst ist, dass das, was sie erlebt haben, sexualisierte Gewalt ist. Zum anderen fehlen Daten aus den ukrainischen Provinzen nahe der Kriegsfront und aus den von Russland besetzten Gebieten, Ermittler genießen kein Vertrauen genießen, Betroffene werden stigmatisiert („du hast mit dem russischen Feind kollaboriert“) und Überlebende fürchten, dass russische Soldaten wieder zurückkehren.

Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen vor Ort setzen wir uns dafür ein, dass insbesondere Kinder, die Gewalt erlebt haben oder immer noch erleben, versorgt und unterstützt werden. Es braucht aber auch noch mehr.

Am 11.-12. Juni findet die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine (URC) in Berlin statt. Der Aufbau von Brücken, Straßen und Häusern ist wichtig, aber er hilft nur dann, wenn die Menschen stabil und gestärkt genug sind, um sie zu nutzen. Die Unterstützung der Kinder und ihrer Familien vor Ort, die schreckliches Leid erlebt haben und mit größten Anstrengungen ihr Überleben sichern, muss auch Teil des Wiederaufbaus in der Ukraine sein. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass wir gerade Kindern und Jugendlichen zuhören und sie an den wichtigen Entscheidungen für den Wiederaufbau der Ukraine wo möglich beteiligen. 

Im Austausch für den Wiederaufbau

Deswegen hat sich die Kindernothilfe bereits im Vorfeld der URC für einen Austausch mit Organisationen der deutschen und der ukrainischen Zivilgesellschaft zu Jugendpartizipation im Wiederaufbau eingesetzt. Am 7. Mai konnten Jugendliche aus der Ukraine in einer Veranstaltung der Kindernothilfe gemeinsam mit der auf Initiative der deutschen Bundesregierung entstandenen „Plattform Wiederaufbau Ukraine“  von ihrem Engagement berichten. Es entstand ein reger Austausch zur besseren Einbindung von Jugendlichen. Denn es ist an der Zeit, mit den Kindern und Jugendlichen statt über sie zu sprechen, wenn wir wissen wollen, welche Weichen für einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wiederaufbau in der Ukraine gestellt werden müssen und wo der Bedarf für Unterstützung und Veränderung am größten ist. 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2024: Wer hat, dem wird gegeben
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