Kriegsverbrechen kommen endlich vor Gericht

Eine Gruppe vorwiegend afrikanischer Menschen im Eingang eines großen alten Gebäudes.
ELODIE LE MAOU/AFP via Getty Images
Eine Gruppe Nebenkläger verlangt Anfang 2024 in Bellinzona, zu Beginn des Prozesses gegen Ousman Sonko: Bringt den Diktator Yahya Jammeh und seine Komplizen vor Gericht!
Schweiz
Lange hat die Schweiz bei der internationalen Strafverfolgung hinterhergehinkt, doch nun kommen immer mehr Fälle vor Gericht. Mitunter dauert es allerdings Jahre, bis die Verfahren in Gang kommen.

Mitte März hat die Schweizer Bundesanwaltschaft vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona Anklage gegen Rifaat al-Assad erhoben, den Onkel des amtierenden syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Sie wirft ihm vor, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Damals, 1982, schlug das Regime einen Aufstand der Muslimbruderschaft in der Stadt Hama gewaltsam nieder. Zwischen 3000 und 60.000 Menschen wurden getötet, die Mehrheit Zivilisten. Rifaat al-Assad soll als Kommandant der Verteidigungsbrigaden die Tötungen, Verhaftungen und Folterungen angeordnet haben.  

„Die Anklage ist ein wichtiger Schritt für die Verfolgung internationaler Verbrechen in Syrien“, berichtet Benoit Meystre, juristischer Berater bei TRIAL International. Die nichtstaatliche Organisation hatte Assad 2013 bei der Bundesanwaltschaft angezeigt. „Das Massaker von Hama ist ein zentrales Ereignis, das zu Jahrzehnten der Gewalt in Syrien führte. Dass Rifaat al-Assad angeklagt wurde, ist ein Erfolg. Wir glauben, dass das für die syrische Zivilgesellschaft und die Opfer des Regimes von grosser Bedeutung ist“, so Meystre.

Illegale Vermögen einfrieren hatte lange Vorrang

Die Anklage ist ein Zeichen dafür, dass die Strafverfolgung internationaler Verbrechen in der Schweiz an Bedeutung gewinnt. Aber sie wirft auch die Frage auf, weshalb die Schweiz in diesem Bereich so lange hinterhergehinkt ist. „Die Schweiz scheint sich lange auf internationale Verfahren konzentriert zu haben, bei denen es um das Einfrieren von Vermögen ging“, sagt Etienne Cottier von der nichtstaatlichen Organisation Aktion der Christen gegen Folter (ACAT). Internationale Strafjustiz habe lange keine Priorität genossen.

2013 weilte Rifaat al-Assad für einige Tage in einem Hotel in Genf. Weil er sich auf Schweizer Boden befand, International ihn unter dem Weltrechtsprinzip an, weil er unter Verdacht stand, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Doch die Ermittlungen zogen sich über Jahre. Erst im November 2021 stellte die Bundesstaatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen al-Assad aus, nachdem er ein Jahr zuvor in Frankreich wegen Geldwäscherei und Veruntreuung verurteilt worden war. Dort hatte Rifaat al-Assad jahrelang gelebt, nachdem er sich mit dem Regime in Syrien überworfen hatte. Seine Anwälte gingen in Berufung – in der Zwischenzeit versöhnte sich Rifaat mit dem Regime floh zurück nach Syrien.

Al-Assads Flucht wäre vermeidbar gewesen, ist Meystre überzeugt. „Die Anzeige, die TRIAL International eingereicht hatte, war sehr gut dokumentiert. „Auf ihrer Grundlage und mit den darauffolgenden Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft hätten ihn die Behörden verhaften können, spätestens 2015, als er sich erneut für kurze Zeit in der Schweiz aufgehalten hat.“ Warum wurde Rifaat al-Assad nicht verhaftet? Eine mögliche Erklärung ist der Ressourcenmangel der Behörden. 2012 bildete die Bundesanwaltschaft zwar eine Spezialeinheit, die sich mit der Verfolgung internationaler Verbrechen beschäftigt. Doch diese ist verglichen mit anderen Ländern klein aufgestellt: anfangs mit nur einer Vollzeitstelle, inzwischen immerhin mit fünf.

Die Mittel für solch komplizierte Verfahren sind begrenzt

Dabei ist internationale Strafverfolgung komplex und braucht Ressourcen: Die Verbrechen fanden außerhalb der Schweiz statt und liegen häufig Jahrzehnte zurück. Nicht immer kooperieren die betroffenen Staaten mit den Schweizer Behörden, sagt Etienne Cottier von ACAT. „Zudem hat die Schweiz keine Möglichkeit, Zeugen und ihre Angehörigen, die oft noch in ihren Heimatländern leben, vor Repression zu schützen.“

2018 kritisierte auch der UN-Sonderberichterstatter für Folter Nils Melzer die Schweiz: Er habe Informationen darüber, dass die Behörden aus politischen Erwägungen die Ermittlungen gegen Assad verschleppten. Außenminister Ignazio Cassis wies die Vorwürfe damals zurück.

Der frühere Leiter der Bundesanwaltschaft Michael Lauber habe der Verfolgung internationaler Verbrechen nicht viel Aufmerksamkeit gegeben, sagt Etienne Cottier. Sein Nachfolger Stefan Blättler jedoch, der das Amt 2022 übernommen hat, habe diese explizit zu einer Priorität erklärt.

Im April 2023 hat die Bundesanwaltschaft den ehemaligen gambischen Innenminister Ousman Sonko wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Er hatte 2016 nach dem Fall des Regimes von Yahya Jammeh in der Schweiz Asyl beantragt. Anders als al-Assad wurde Sonko in Untersuchungshaft genommen. Im August 2023 wurde der frühere algerische Verteidigungsminister Khaled Nezzar von der Bundesanwaltschaft angeklagt, der zwischen 1992 und 1994 zur Zeit des algerischen Bürgerkriegs (1991-2002), wegen Kriegsvölkerrecht verstoßen haben soll. Auch dieser Fall lag davor schon seit Jahren bei der Bundesanwaltschaft. Als er schließlich angeklagt wurde, verstarb er wenige Monate später. „Deswegen fordern wir, dass das Verfahren gegen Assad so schnell wie möglich eröffnet wird“, so Benoit Meystre. 

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