Der Angriff auf die Ukraine wird in Europa als Zeitenwende gesehen. Viele Fachleute aus dem globalen Süden teilen diese Sicht nicht, sondern sehen darin ein Problem. Das zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert- und der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung mit einem ungewöhnlichen Ansatz: Die beiden Stiftungen haben dreizehn Fachleute aus Ländern zusammengebracht, die von Konflikten betroffen sind oder unlängst waren wie Kolumbien, Kenia, Äthiopien, Kosovo und Syrien. Die Fachleute schätzen die weltweiten Folgen des Ukraine-Krieges, die neuen Bedingungen für Friedensförderung und Europas Einsatz für diese ein. Der Krieg in Gaza konnte in der Studie nicht mehr berücksichtigt werden.
Ihr Befund ist für Entscheidungsträger und Meinungsbildner in Europa wenig schmeichelhaft. Der Krieg in der Ukraine ist aus ihrer Sicht nicht die Ursache vieler Krisen, sondern verschärft sie nur. So habe er zwar Nahrungsmittelimporte kurzfristig behindert und verteuert, aber Ernährungskrisen im Süden hätten längerfristige, strukturelle Ursachen, darunter die Ausrichtung der Landwirtschaft auf Exporte und Großproduzenten, Landprivatisierungen sowie die Last der Staatsschulden. Auf all das hätten internationale Institutionen unter der Kontrolle der Industrieländer gedrängt, etwa die Weltbank. Doch in Europa verharre man im „Silodenken“, statt die Wirkungen des eigenen Handelns insgesamt auf Länder im Süden zu sehen, und verstehe die Folgen des eigenen Tuns für Konfliktländer nicht angemessen.
Silodenken und Bevormundung werden beklagt
Die Fachleute erwarten, dass Europa infolge des Kriegs in der Ukraine seine humanitäre Hilfe für Länder im Süden verringert und seine Friedensförderung stärker an eigenen geopolitischen Interessen ausrichtet. Die sei auch deshalb in der Krise, weil Lehren aus früheren Einsätzen nicht beherzigt würden, darunter das Prinzip der lokalen Eigenverantwortung. Europa lege vielmehr weiter eine „bevormundende Haltung“ an den Tag und folge doppelten Standards im Umgang mit Ländern im Süden. Fällig sei eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen neokolonialen Denken, das die Legitimität der europäischen Politik untergrabe.
Damit die Folgen der eigenen Politik für Länder im Süden besser begriffen werden, fordert die Studie mehr „Fähigkeiten für Analyse, Monitoring und Evaluation“. Das überzeugt nicht, stellt sie doch selbst fest, dass in der Friedensförderung wichtige Lehren bekannt sind, aber ignoriert werden.
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