Fette Beats, magere Tantiemen

Joseph Okpako/Wireimage via Getty Images
Der nigerianische Sänger Rema (hier bei einem Auftritt mit Ayra Starr in London) hat einen der europäischen Sommerhits 2023 gelandet. Von den steigenden Gewinnen der Musikindustrie bekommen afrikanische Künstler zu wenig ab. 
Musikindustrie in Afrika
Musik ist weltweit ein Riesengeschäft. Verwertungsgesellschaften sollen dafür sorgen, dass Musikerinnen und Musiker einen fairen Anteil der Gewinne kriegen. In Afrika funktioniert das noch nicht so richtig; engagierte Künstler und Produzenten wollen das ändern.

Die gute Nachricht für Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt kam Ende Oktober 2023: „Weltweite Tantiemen für Kreativschaffende wachsen um 26,7 Prozent auf 12,1 Milliarden Euro im Jahr“, erklärte der Internationale Dachverband der Verwertungsgesellschaften für Autoren und Komponisten (CISAC). Er vertritt weltweit über fünf Millionen Künstler in den Bereichen Musik, Theater, Text und Visual Arts, die Mitglieder in nationalen Verwertungsgesellschaften sind. Auch die deutsche Gema, die Autorengesellschaft für Werke der Musik, ist dabei.  

Der Markt für Kreativschaffende habe sich „völlig von der Corona-Pandemie erholt“. Vor allem das „digitale Inkasso“, also Tantiemen aus dem digitalen Bereich, so die CISAC in ihrem Global Collection Report 2023, habe vom anhaltenden Wachstum beim Streaming profitiert und sei auf 4,2 Milliarden Euro gestiegen. Anders als vor der Pandemie bilden die digitalen Einnahmen mit 35 Prozent aller Erträge den größten Anteil an den Einnahmen von Kreativschaffenden und haben die Erträge aus Radio, Fernsehen und Live-Auftritten überholt. 

Allerdings profitieren rund um den Globus nicht alle Künstler von dieser Entwicklung. Vor allem an Musikern in Afrika gehen Profite aus Lizenzgebühren und Tantiemen weitgehend vorbei. Das zeigt die Übersicht nach Regionen im CISAC-Bericht. Danach sind die Tantiemen-Einnahmen in Europa um knapp 55 Prozent gewachsen, bereits mit deutlichem Abstand gefolgt von USA und Kanada mit 24,8 Prozent. Weit abgeschlagen indes liegt Afrika: Auf dem Kontinent wurden im vergangenen Jahr nur 0,6 Prozent Wachstum bei Nutzungsgebühren verzeichnet.

Musik aus Afrika erobert die Charts auch in Europa

An mangelnder Bedeutung afrikanischer Musik auf dem internationalen Markt liegt das nicht. Im Gegenteil: Musik aus Afrika wird zunehmend zum Export-Schlager und erobert die Charts auch in Europa. Der Hit des vergangenen Sommers etwa, „Calm Down“, stammt von dem nigerianischen Sänger Rema. Der Song nahm schnell Spitzenplätze auch in den europäischen und US-Charts ein und lief bei vielen Radiosendern rauf und runter. Und: Kein anderes Afro-Beat-Stück wurde jemals so oft beim Streaming-Dienst Spotify abgerufen oder häufiger als Video bei Youtube angeklickt, erklärt Eddington „Eddie“ Hatitye, Geschäftsführer der Online-Plattform „Music in Africa“ in Johannesburg. Die Plattform vernetzt afrikanische Musiker mit Managern, Produzenten und Vermarktern aus dem Musik-Business und wird unter anderem vom deutschen Goethe-Institut und der Siemens-Stiftung in München unterstützt.

Kultur, Musik und deren Vertrieb gehören in Afrika inzwischen zu den größten Arbeitgebern für junge Menschen zwischen 18 bis 35 Jahren, schätzt Hatitye mit Verweis auf Studien der UNESCO. Und doch könnte das enorme Potenzial für unternehmerisches Wachstum und Vermarktung des Musikgeschäftes auf dem Kontinent noch viel stärker ausgeschöpft werden. Von den gut zwölf Milliarden Euro Nutzungsgebühr, die 2023 weltweit gezahlt wurden, flossen laut „Music in Africa“ nur 74 Millionen in afrikanische Länder – allen voran nach Südafrika, das mit 50 Prozent das dickste Stück vom Kuchen abbekam. „Aber Afrika hat 54 Länder“, sagt Hatitye, „da kann man sich vorstellen, was für die anderen noch übrig bleibt.“ 

Auch Hussein Masimbi, ein Gitarrist und Sänger aus Tansania, sagt, dass afrikanische Staaten bei Nutzungsrechten und dem Eintreiben von Lizenzgebühren noch sehr weit hinterherhinken. „Die einheimischen Verwertungsgesellschaften müssten personell und technisch weit besser ausgerüstet werden, um ihre Arbeit effektiv machen zu können.“ Außerdem sei bei vielen Nutzern in Afrika noch kein Bewusstsein für die Bedeutung von Urheberrecht und Lizenzen vorhanden, meint Masimbi: „Da bräuchten wir Medienkampagnen.“ 

Der Musiker J.C. Kibombo singt mit seiner Band in einer Bar in Goma im Osten der DR Kongo. Fachleute fordern ein abgestuftes Entgeltsystem, da viele Kneipenbesitzer die hohen Musikgebühren nicht zahlen können.

Samuel Sangwa, Regionaldirektor Afrika des Dachverbands CISAC, ist mit dem Problem bestens vertraut. Von wenigen Ausnahmen wie Südafrika oder Senegal abgesehen, mangele es in den meisten afrikanischen Ländern an einer professionellen Infrastruktur, um Lizenzgebühren einzutreiben, sagt Sangwa. Und auch er will das ändern. „Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die korrekte Zahlung der Nutzungsgebühren einen wirtschaftlichen Mehrwert hat.“ Um das zu schaffen, möchte er ein Siegel entwickeln, mit dem Unternehmen ausgezeichnet werden, die sich an das Urheberrecht halten. 

„Copyright-freundlich“-Siegel für Bars oder auch Sportstadien

Ein „Copyright-freundliches“ Festival gab es Ende November vergangenen Jahres in Marokko. Beim Festival Visa for Music in Rabat erhielten Bars, Hotels und andere Event-Beteiligte die entsprechende Auszeichnung, wenn sie die Nutzungsgebühren für die Musik zahlten, die sie während der Veranstaltungen spielten. Sangwa ist überzeugt: „Wenn es ein solches internationales Siegel gäbe, dann wäre das ein gutes Marketing-Instrument im Event- und Tourismus-Bereich.“ Denn gerade Besucher aus Europa seien durch Siegel wie Fairtrade für sozialverträgliche Produkte und Dienstleistungen sensibilisiert und verlangten zunehmend danach. Der Hinweis „Copyright-freundlich“ könne da in die gleiche Kerbe schlagen.

Autorin

Monika Hoegen

ist entwicklungspolitische Fachjournalistin in Köln und regelmäßig in Afrika, Asien und Lateinamerika unterwegs.

Erst einmal aber steht das große afrikanische Fußballereignis an, der African Cup of Nations vom 13. Januar bis 11. Februar in der Elfenbeinküste. Ihn gilt es, so zu gestalten, dass alle beteiligten Veranstalter – Sportstadien, Hotels, Bars, Diskotheken – die geforderten Tantiemen für gespielte Musik zahlen. Das könnte schon für den Geschäftserfolg des Eröffnungssongs einen deutlichen Unterschied machen. Das Stück mit dem Titel „Akwaba“ (für „Willkommen“ in der lokalen Sprache Baoulé) ist eine Fusion aus Afrobeat, Rap und Zouglou, einer populären ivorischen Musikrichtung aus den 1990er Jahren. Eingespielt hat den Song die ivorische Band Magic System zusammen mit dem nigerianischen Künstler Yemi Alade und dem ägyptischen Rapper Mohamed Ramadan. 

„Wir wollen Sportereignisse mehr nutzen, um den Marktwert von Musik zu steigern“, sagt Sangwa. „Denn Sport und Musik gehören zusammen und wenden sich an verwandte Zielgruppen. Da lassen sich die entsprechenden Algorithmen von Facebook gut verknüpfen.“ 

Die entscheidende Frage allerdings bleibt, wie sich das Eintreiben von Nutzungsgebühren in Zukunft effektiver und zugleich für alle Beteiligten verträglich gestalten lässt. Denn gerade in Afrika sind es oft kleine Kneipen, Restaurants oder Hotels, die heimische Musik spielen – und die können sich hohe Nutzungsgebühren meistens nicht leisten. „Wir brauchen ein abgestuftes Entgeltsystem“, sagt Sangwa. Kleinere Unternehmer sollten deutlich weniger zur Kasse gebeten werden als große Nutzer wie etwa internationale Hotelketten.  

Afrikaweit soll ein Knotenpunkt für Nutzungsrechte entstehen

Schwieriger indes wird es gegenüber professionellen Nutzern, die auf einem ganz anderen Niveau arbeiten. So zahlen laut Sangwa Radio- und Fernsehstationen in Afrika nur etwa 30 bis 40 Prozent der Tantiemen, die sie eigentlich abführen müssten. An korrekten Dokumentationen, wann was und von wem im Programm gespielt wurde, fehlt es oft. Umgekehrt und damit sogar noch komplizierter verhält es sich bei Streaming-Diensten wie Spotify und Youtube. „Wenn man dort Lizenzgebühren kassieren möchte, wird man erst mal mit einer riesigen Datenmenge überflutet und aufgefordert, genau anzugeben, welche Musik von welchen Künstlern überhaupt als gebührenpflichtig registriert ist“, sagt Sangwa. Das können schlechter ausgerüstete Verwertungsgesellschaften nicht leisten, einzelne Künstler oder Bands schon gar nicht. 

Die Lösung: Afrikaweit soll ein professioneller Knotenpunkt für Nutzungsrechte entstehen. Wie das genau funktionieren kann, ist noch nicht ganz klar. Nur so viel: Kleinere Verwertungsgesellschaften sollen von den großen und bereits erfolgreicheren wie etwa der South African Music Performance Rights Association lernen.  

Bessere Zusammenarbeit, Vernetzung und Wissensaustausch bei der Vermarktung und Verwertung von Musik sowie der Nutzung von Copyright war daher ein zentrales Thema der Musikkonferenz „Acces“ im November vergangenen Jahres in Tansanias Wirtschaftsmetropole Daressalam, organisiert von der Online-Plattform „Music in Africa“. Rund 1500 Musiker, Manager, Produzenten und Vermarkter aus ganz Afrika sowie internationale Vertreter der Branche kamen da zusammen, um neueste Trends zu diskutieren. 

Afrikanische Talente kennen zunehmend ihren Marktwert

Der feste Wille der afrikanischen Musikerinnen und Musiker war unverkennbar, endlich ein größeres Stück vom weltweiten Vermarktungskuchen abzubekommen. Jens Cording, deutscher Experte für zeitgenössische Musik und als Kulturmanager der Siemens-Stiftung mitverantwortlich für die Organisation der Konferenz, drückte es so aus: „Die vielen Talente der Musikszenen Afrikas arbeiten an ihrer Professionalisierung. Und sie tun es mit einem neuen Selbstbewusstsein. Sie gehen mit Themen wie Urheberrecht jetzt auch auf ihre Regierungen und auf internationale Organisationen zu, denn sie kennen ihren Marktwert.“ 

Auf der begleitenden Messe zur Acces-Konferenz machte etwa ein Stand mit jungen Musikern von sich reden. Sie präsentierten die gerade erst gegründete Tanzanian Music Right Society (TAMRISO). Es ist der erste Versuch, die bisher über die staatliche tansanische Verwertungsgesellschaft COSOTA organisierte Eintreibung von Lizenzgebühren in die Hände der Künstler zu übertragen und kollektiv auszugestalten. Ein ehrgeiziges Vorhaben, bei dem sich erst zeigen muss, ob es auf Dauer funktioniert. Derzeit ist die Website von TAMRISO abgeschaltet. 

Die nächste große Herausforderung für die Branche und die Verwertungsgesellschaften weltweit kommt mit der zunehmenden Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI) in der Musik. Der Dachverband CISAC wandte sich letzten Dezember mit einem offenen Brief an die EU, die sich Ende des Jahres im Grundsatz auf eine Regulierung künstlicher Intelligenz geeinigt hat, den EU AI Act. 

Die EU solle sicherstellen, dass KI „menschliche Kreativität fördert und ihr dient, statt sie zu verdrängen“, heißt es im CISAC-Aufruf. Künstler, deren Werke für die Kreation von KI-basierter Musik genutzt werden, müssten auch dafür bezahlt werden. „Wir fordern die EU auf, dafür zu sorgen, dass der AI Act in Einklang mit dem Urheberrecht steht“, so die CISAC. Das Thema Copyright wird Musiker in Afrika – und nicht nur dort – also weiterhin heftig beschäftigen.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2024: Krieg ohne Ende?
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