Wenn Staaten oder Unternehmen auf den internationalen Kapitalmärkten Geld aufnehmen wollen, müssen sie vorher ihre Kreditwürdigkeit begutachten lassen. Das erledigt in den allermeisten Fällen eine der drei großen, den internationalen Markt dominierenden Agenturen Moody’s, Standard & Poors oder Fitch. Sie bewerten das Risiko, dass ein Staat oder ein Unternehmen seine Kredit- oder Anleiheschulden nicht bedienen kann, und vergeben entsprechende Ratings.
Auch viele afrikanische Staaten versorgen sich mittlerweile auf den internationalen Finanzmärkten mit Kapital. 1994 hatte nur Südafrika ein Rating, heute sind es bereits 32 Staaten auf dem Kontinent. Davon sind allerdings laut einem Bericht des UN-Entwicklungsprogramms UNDP alle bis auf Mauritius und Botswana auf „Ramschniveau“ – das heißt: Die Agenturen beurteilen die Kreditwürdigkeit dieser Staaten denkbar schlecht und raten Anlegern letztlich von Investitionen ab. Das wiederum treibt die Zinsen nach oben, die afrikanische Staaten auf ihre Anleihen und Kredite zahlen müssen.
Für Misheck Mutize vom African Peer Review Mechanism (APRM) der Afrikanischen Union ist das nicht mehr akzeptabel. Der APRM beurteilt die Wirtschaftspolitik afrikanischer Staaten, und der Südafrikaner berät in diesem Rahmen Regierungen, die sich um ein Rating bei einer der drei großen Agenturen bemühen. Laut Mutize bewerten die Agenturen Staaten in Afrika in der Regel schlechter, als ihre wirtschaftliche Lage tatsächlich ist. Ein Grund dafür sei, dass sie zu wenig über die politische und wirtschaftliche Dynamik in Afrika wissen. „Das kommt unter anderem daher“, sagt Mutize, „dass sie kaum Analysten auf dem Kontinent haben: Moody's und Standard & Poors haben nur jeweils ein Büro in Südafrika, Fitch hat seins geschlossen. Die Analysten, die afrikanische Staaten bewerten, sitzen in Hongkong, Singapur oder in London. Diese Distanz führt dazu, dass sie lieber übervorsichtige Ratings vergeben, um keine Fehler zu machen.“
Ratingagenturen zweifeln an Wirtschaftsdaten
Nach Ansicht von Mutize berücksichtigen die Ratingagenturen wirtschaftliche Kerndaten zu wenig und fokussieren zu stark auf Faktoren, die sich nicht quantifizieren lassen. So würden etwa Korruption, eine inkonsistente Finanzpolitik und sozioökonomische Instabilität immer wieder als Risikofaktor genannt. „Aber letztlich fließt in das Rating nur ein, wie der Analyst diese Faktoren wahrnimmt – und das entspricht nicht unbedingt der Wirklichkeit. Zugleich ziehen die Ratingagenturen die Wirtschaftsdaten in Zweifel, die ihnen die staatlichen Behörden liefern. Sie behaupten, sie seien unzuverlässig.“
So habe Moody's die Regierung von Kenia im Mai mit dem nicht überzeugenden Argument einer drohenden Zahlungsunfähigkeit abgestuft, obwohl das den Analysen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds zur wirtschaftlichen Lage in Kenia widersprochen habe. „Die Afrikanische Union hat das Rating von Moody's offiziell kritisiert, weil es die Märkte verunsichere“, sagt Mutize.
Das UNDP schätzt, dass die afrikanischen Staaten jährlich mehrere Milliarden US-Dollar zusätzlich zur Verfügung hätten, wären die Urteile der Ratingagenturen weniger subjektiv und stärker an wirtschaftlichen Daten orientiert. Sie bekämen dann höhere Investitionen und müssten weniger Zinsen zahlen. Mutize nennt Ghana als Beispiel: „Fitch und Moody's haben vor zwei Jahren eine Warnung ausgegeben, Ghana könne den Zugang zu internationalen Finanzmärkten verlieren, weil sich das ghanaische Parlament nicht auf ein Gesetz zur Besteuerung digitaler Geschäfte einigen könne. Kaum hatten sie diese Warnung ausgesprochen, haben Anleger massenhaft ghanaische Anleihen verkauft. Alle wollten raus aus Ghana – aus einem Land, das noch vor zwei Jahren wirtschaftlich bestens dastand.“ Heute sei Ghana als Folge der Warnung der Ratingagenturen völlig paralysiert.
Die neue Agenture soll das Informationsangebot erweitern
Jetzt wollen die AU-Mitglieder eine eigene afrikanische Ratingagentur schaffen, und Mutize hat das Konzept dafür mit ausgearbeitet. Ziel sei, für Investoren das Angebot an Meinungen und Informationen zu erweitern. „Wir wollen die drei großen Agenturen nicht ersetzen, sondern Informationen bieten, die die anderen offenbar nicht bieten können oder wollen“, erklärt Mutize. Die neue Agentur soll privatwirtschaftlich betrieben werden, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Der laufende Betrieb würde genauso finanziert wie bei den anderen Ratingagenturen: Wenn eine Regierung oder ein Unternehmen ein Rating wollen, müssen sie dafür bezahlen.
Auf die Frage, ob die AU Moody’s, Standard & Poors und Fitch nicht anbieten könnte, die Zusammenarbeit mit ihnen zu vertiefen, statt gleich eine neue Agentur zu schaffen, antwortet Mutize: „Das versuchen wir seit Jahren, aber sie lassen sich nicht wirklich darauf ein.“ Die Agenturen lehnen es laut Mutize unter anderem deshalb ab, wenigstens in Südafrika dauerhaft Analysten zu beschäftigen, weil sie dann die Einkünfte aus den erstellten Ratings auch in Südafrika versteuern müssten. Zurzeit würde ein Analyst häufig nur für zwei Tage eingeflogen und müsse dann rund zehn Länder beurteilen. Das sei unmöglich zu schaffen. „Die großen drei akzeptieren grundsätzlich, dass wir legitime Anliegen vorbringen, aber es ändert sich nichts“, sagt Mutize.
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